Skandal im EM-Gastgeberland Ukraine:"Hundemassaker" im Namen des Fußballs

EM-Gastgeber Ukraine soll die massenhafte Liquidierung von streunenden Hunden angeordnet haben. Tierschützer attackieren in ihrer Wut nun auch die Sponsoren des sportlichen Mega-Events. Dabei könnte es sich nach Ansicht von Beobachtern auch um eine Medienkampagne handeln, die Einzelfälle gezielt aufbauscht.

Uwe Ritzer und Thomas Urban

Der Proteststurm tobt seit Tagen; ob er bald abebbt, ist zweifelhaft. Anfangs gingen die wütenden E-Mails in der Adidas-Zentrale in Herzogenaurach fast im Minutentakt ein. Auf den Facebook-Seiten des Sportartikelherstellers im Internet posteten Nutzer ihren Ärger nicht minder drastisch und zahlreich.

Skandal im EM-Gastgeberland Ukraine: In Kiew protestieren Tierschützer gegen den vermeintlich gezielten und systematischen Hunde-Mord im EM-Gastgeberland Ukraine.

In Kiew protestieren Tierschützer gegen den vermeintlich gezielten und systematischen Hunde-Mord im EM-Gastgeberland Ukraine.

(Foto: AP)

Von bestialischen Tiermassakern in der Ukraine ist die Rede, sogar vom "Hunde-Holocaust". Brutal seien streunende Hunde betäubt, gefangen, getötet worden. Teilweise würden sie bei lebendigem Leib in fahrenden Krematorien verbrannt. Andere würden nicht minder qualvoll an Giftködern verenden, vergast, erdrosselt, lebendig begraben oder in Müllpressen zerquetscht. Und alles nur wegen Fußball.

Ein Sportartikelhersteller als Zielscheibe von Protestaktionen

Adidas, so die einhellige Meinung, müsse sofort etwas dagegen tun.

Im kommenden Jahr findet in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft (EM) statt. Weswegen die Stadtverwaltungen in den ukrainischen Spielorten Kiew, Lemberg (Lviv), Charkow und Donezk damit begonnen haben, systematisch streunende Hunde zu entfernen. Nach Berichten von Medien und Tierschützern werden die Tiere angeblich mit den beschriebenen Methoden getötet.

Diese Berichte entfachten den Sturm, der vor allem im Internet und in den sozialen Netzwerken tobt. "Adidas erlebt den Social-Media-Super-GAU", titelte ein Online-Medienmagazin.

Die Marke mit den drei Streifen ist seit vielen Jahren Hauptsponsor und Ausrüster von Fußball-Welt- und Europameisterschaften, sowie von Olympischen Spielen. Jedes Mal ist sie Zielscheibe von Protestaktionen. Mal geht es um Arbeitsbedingungen in fernöstlichen oder mittelamerikanischen Textilfabriken, mal um Menschenrechte in China. Sportliches Mega-Event plus prominenter Hauptsponsor garantieren jeder Protestorganisation hohe öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen.

Zumal die Weltereignisse des Sports für die Sportartikelhersteller die perfekten, größten und wichtigsten Laufstege sind, um neue Produkte zu präsentieren und am eigenen Image zu feilen. Allein Adidas gibt im Zuge der EM 2012 viele hundert Millionen Euro für begleitende Marketingkampagnen aus. Hässliche Vorwürfe wie jener der Tierquälerei sind nicht nur schlecht fürs Geschäft - sie versauen auch das Image, wenn man tatenlos zusieht.

Tut etwas, oder wir boykottieren eure Produkte

Das müssen auch alle anderen EM-Hauptsponsoren erleben. Der Brausekonzern Coca-Cola, der Autobauer Hyundai und Kia, McDonald's, der Autozulieferer Continental, Canon, Sharp, Castrol und die Carlsberg-Brauerei geben ebenfalls viel Geld aus, um die EM als Werbeplattform zu nutzen. Auch sie werden in Generalhaftung genommen und sind Adressaten von Internet-Protesten von Tierschützern.

Der Tenor der Protestler: Tut etwas gegen das Tiermassaker, oder wir kaufen eure Produkte nicht mehr.

Was ist dran an der mutmaßlichen Tierquälerei?

Das zeigt Wirkung. Reihum verurteilen inzwischen die meisten der EM-Sponsoren etwaige Tiermassaker. "Wir sind strikt gegen jede Form der Tierquälerei und erwarten von der ukrainischen Regierung, diesen Vorwürfen gewissenhaft nachzugehen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen", heißt es bei Adidas. Dem Vernehmen nach liefen die Drähte in den vergangenen Tagen heiß.

Sponsoren intervenierten beim europäischen Fußballverband Uefa, dem EM-Veranstalter. Dieser wiederum übte Druck auf die Regierung in Kiew aus. Selbige verbot nun die Tötung streunender Hunde. Man solle sie besser in Tierheime stecken - wer sich daran nicht halte, werde bestraft, sagte Ministerpräsident Nikolai Asarow.

Was aber ist von solchen Ankündigungen zu halten? Wie wird kontrolliert, ob sie eingehalten werden?

Das führt aber auch zur Frage, ob tatsächlich herrenlose Hunde zu Tausenden "gemordet" werden, wie Tierschutzorganisationen behaupten. Oder handelt es sich um eine Medienkampagne, die Einzelfälle gezielt aufbauscht? Darüber sind sich in Kiew lebende ausländische Beobachter ebenso uneins wie die einheimischen Kommentatoren.

Dass Hunde lebendig in "fahrende Krematorien" geworfen oder von Dampfwalzen überrollt werden, dementieren erwartungsgemäß die Sprecher aller vier EM-Städte. Im Internet kursieren derweil schreckliche Filme, die angeblich genau das zeigen, deren Herkunft allerdings oft unklar ist.

Wie in jedem anderen europäischen Land steht auch in der Ukraine Tierquälerei unter Strafe. Doch können herrenlose Tiere, bei denen der Verdacht auf ansteckende Krankheiten besteht, eingeschläfert werden. Auf diesen Gummiparagrafen berufen sich private Hundefänger, die für jedes "liquidierte Tier" eine Prämie bekommen. In der Bevölkerung stößt es überwiegend auf Beifall, dass die Tiere aus den Wohnvierteln verschwinden sollen.

Die Aufregung namentlich bei den Deutschen quittierte ein Kommentator mit dem Hinweis, wonach die Bundesbürger mehr Geld für ihre Haustiere als für ihre Kinder ausgeben. Dass deutsche Tierschützer in Kiew die Umrüstung von Krankenwagen in ambulante Operationswagen für Tier-Sterilisierungen fordern, löst in dem Land, in dem die medizinische Grundversorgung miserabel ist, nur Kopfschütteln aus.

Hierzulande hingegen soll es bald eine Großdemo geben. "Ein Lichtermeer für die ermordeten Straßentiere in der Ukraine" lautet das Motto der in Berlin geplanten Veranstaltung. Schirmherrin ist Maja Prinzessin von Hohenzollern.

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