Silvesternacht in Köln:"Wo war die Polizei?"

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  • Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln fordert die nordrhein-westfälische Ministerin für Emanzipation, Barbara Steffens (Grüne), Polizisten zu sensibilisieren.
  • Sexuelle Gewalt und Belästigung seien permanente Probleme, die Gesellschaft schaue aber weg, kritisiert die Ministerin.
  • Allein mit kulturellen Unterschieden sei das nicht zu erklären - das Problem ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten.

Interview von Hannah Beitzer

SZ: Frau Steffens, Sie bezeichnen die Vorfälle in Köln als "die Spitze eines sehr miesen Eisbergs". Was meinen Sie damit?

Barbara Steffens: Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass es in der Gesellschaft eine hohe Zahl von sexuellen Übergriffen auf Frauen gibt. Demnach hat jede fünfte Frau schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren, jede vierte gibt an, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein. Einer Studie des Bundes zufolge hat jede zweite Frau schon einmal sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit oder im privaten Umfeld erlebt. Dennoch ist es ein Thema, bei dem viele wegsehen.

Woran liegt das?

Sexuelle Belästigung war bis vor gar nicht allzu langer Zeit gesellschaftlich akzeptiert. Vergewaltigung in der Ehe gilt zum Beispiel erst seit 1997 als Straftat. Dazu kommt: Häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe über längere Zeit passieren vor allem im privaten Umfeld. Da heißt es häufig: Das geht doch niemanden etwas an. Dabei müssten uns die blauen Flecken der Kollegin natürlich auffallen, die Gesundheitsbelastung, die oft mit Misshandlungen einhergeht.

Die Vorfälle in Köln rufen allerdings große Bestürzung hervor, da schaut gerade ganz Deutschland hin.

In Köln kann in der Tat niemand wegschauen. Dort waren Dutzende Frauen betroffen, darunter auch eine Polizistin. Zwar ist Gewalt gegen Frauen in Köln eigentlich nichts Neues, zahlreiche Übergriffe gibt es zum Beispiel jedes Jahr während des Karnevals. Wenn jedoch wie zu Silvester sexuelle Übergriffe mit Raub und Diebstahl einhergehen, dazu noch bandenmäßig organisiert, dann ist das wirklich eine neue Dimension. Es ist zudem eine Kriminalität, die Frauen besonders gefährdet. Wenn ich als Frau einem sexuellen Angriff ausgesetzt bin, dann schütze ich zuerst meinen Körper, nicht meine Wertsachen, und kann leichter bestohlen werden.

Hat Köln ein spezielles Problem mit sexuellen Übergriffen?

Ich denke, dass dieses Problem viele Großstädte haben. Da gibt es immer Angsträume, Orte, die schlecht beleuchtet und gefährlich sind. Auf Großveranstaltungen wie Karneval, dem Oktoberfest oder eben Silvester, wo viele alkoholisierte und enthemmte Menschen zusammenkommen, gibt es immer einen Anstieg sexueller Gewalt.

Barbara Steffens auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf, Januar 2014. (Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

Was kann man dagegen tun?

Wir werden sicher kein Rezept finden, Gewalt gegen Frauen sofort aus der Gesellschaft zu verbannen. Wir können aber zum Beispiel Frauen fragen: Wo in der Stadt fühlen sie sich unsicher, wo sind sie vielleicht schon einmal Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden? Wir müssen Angsträume sichtbar machen und dort vor allem zu Großveranstaltungen die Polizeipräsenz stärken. Das hilft aber nur, wenn Polizisten ausreichend für sexuelle Übergriffe sensibilisiert sind. Wenn wie zu Silvester in Köln mehr als 140 Polizisten um den Hauptbahnhof im Einsatz sind, stellt sich schon die Frage: Wo waren die, was haben sie gemacht? Wurden sie vor dem Einsatz auf mögliche sexuelle Gewalt vorbereitet?

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:Mehr Überwachung, mehr Sicherheit?

Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht kündigt die Stadt Köln schärfere Sicherheitsvorkehrungen an: Polizeipräsenz sowie Videoüberwachung werden verstärkt. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?

Wir brauchen auch ein Hinsehen im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz. Für Ärzte gibt es inzwischen Fortbildungen, um sexuelle Gewalt an Patientinnen zu erkennen. Häufig äußert die sich nämlich nicht nur in blauen Flecken, sondern in einer allgemeinen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. In Nordrhein-Westfalen setzen wir uns außerdem für eine anonyme Spurensicherung ein. Gerade wenn sexuelle Übergriffe unter Bekannten stattfinden, haben viele Frauen erst einmal Hemmungen, die Tat anzuzeigen. Wir wollen ihnen leichter ermöglichen, die Spuren zu sichern, ohne den Übergriff gleich zur Anzeige zu bringen - damit sie Zeit zum Überlegen haben, ohne dass Beweise verloren gehen.

Die Opfer in Köln beschreiben die Täter als Männer nordafrikanischen oder arabischen Aussehens. Ist sexuelle Gewalt auch ein kulturelles Problem?

Es mag da kulturelle Unterschiede geben. Daher ist es sicher wichtig, Menschen, die hierher kommen, Respekt vor Frauen zu vermitteln. Wenn allerdings 50 Prozent der Frauen in Deutschland sagen, dass sie schon einmal sexuell belästigt wurden, jede vierte Frau bereits Opfer häuslicher Gewalt wurde - dann kann das kein reines Problem anderer Kulturen sein. Denn so viele Männer mit Migrationsgeschichte gibt es überhaupt nicht in Deutschland. Es ist ein Problem, das sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht.

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