Sicherheitsmängel an der "Norman Atlantic":Italienische Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein

  • Die italienische Staatsanwaltschaft prüft, ob das Unglück der Fähre Norman Atlantic durch Fahrlässigkeit der Schiffsbetreiber verursacht wurde.
  • Italienischen Medienberichten zufolge wurden bei einer Kontrolle erst am 19. Dezember Mängel beim Brandschutz festgestellt.

Von Carolin Gasteiger und Oliver Klasen

Vielleicht hatte Panagiotis Panagiotopoulos eine Vorahnung. "Das ist verantwortungslos", hatte der griechische Spediteur am Vorabend der Katastrophe gesagt. Im Radiosender Skai berichtete er von einem Streit mit den Verantwortlichen bei Anek Lines, dem Betreiber der Fähre Norman Atlantic, auf der am Sonntagmorgen ein Feuer ausgebrochen war. Zwei seiner Lkw-Fahrer seien auf dem Schiff, sagte Panagiotopoulos. Deshalb habe er sich bei der Schiffsgesellschaft beklagt, dass die Fähre in keinem guten technischen Zustand sei.

Zwar wurden inzwischen alle Passagiere gerettet, doch die Evakuierung dauerte insgesamt fast 36 Stunden. Gegen 14:50 am Montagnachmittag verließ der Kapitän als letzter das Schiff. Die Menschen müssen einzeln an Seilwinden hochgezogen und mit Hubschraubern abtransportiert werden.

Einige gerettete Passagiere äußerten im Fernsehen scharfe Kritik an der Besatzung: "Auf dem Schiff gab es keinerlei Koordination. Das Personal war praktisch nicht vorhanden", sagte eine Frau aus Griechenland.

Noch während die Rettungsarbeiten in Gange waren, schaltete sich die Staatsanwaltschaft im italienischen Bari ein. Man habe strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und wolle prüfen, ob Fahrlässigkeit zu dem Unglück geführt habe, sagte Staatsanwalt Giuseppe Volpe.

Reeder spricht von einem "völlig seetüchtigen Schiff"

Die Ermittler wollen vor allem drei Fragen klären: Wie brach das Feuer an Bord der Norman Atlantic aus? Warum konnte es sich so schnell ausbreiten? Und gab es Sicherheitsmängel auf dem Schiff, die die Katastrophe verschlimmert haben?

Erst vor wenigen Tagen, am 19. Dezember, wurde die Norman Atlantic im griechischen Hafen Patras kontrolliert. Erst im Sommer hatten die italienischen Schifffahrtsbehörden der Fähre ein neues Sicherheitszertifikat ausgestellt, das noch bis 2019 gültig war. Aber von einem "völlig seetüchtigen Schiff", wie der Reeder behauptet, kann italienischen Medienberichten zufolge trotzdem keine Rede sein.

Geregelt wird die Kontrolle von Handelsschiffen durch die sogenannte Paris Mou, einem 1982 gegründetem Memorandum, dem sich inzwischen 27 Staaten angeschlossen haben. Dem Bericht vom 19. Dezember zufolge funktionierte zumindest eine Brandschutztür an Bord nicht einwandfrei. Außerdem seien die Bescheinigungen über Sicherheitseinrichtungen mangelhaft gewesen ("not approved") und Notfallsysteme wie Lampen und Batterien hätten gefehlt.

Carlo Visentini, der Reeder der italienischen Firma Visemar di Navigazioni, die sich auf Seetransport spezialisiert hat, sagt, das Schiff sei im Hafen von Patras den üblichen Kontrollen unterzogen worden, so wie es vorgeschrieben sei. Visentini räumt ein, dass im Laufe der Untersuchungen ein "leichter Fehler" festgestellt wurde. Dieser Fehler sei bei einer der Brandschutztüren aufgetreten, und zwar derjenigen mit der Nummer 112 auf Deck fünf. Es ist offenbar genau die Stelle, an der nach aktuellem Stand der Brand entstanden ist. Die Tür sei umgehend und unter Aufsicht der kontrollierenden Behörden entfernt worden, zitiert die italienische Zeitung Corriere della Sera den Reeder weiter - und "das Schiff konnte Fahrt aufnehmen".

Rasch wechselnde Chartergeschäfte der Reedereien

Die Norman Atlantic, die 2009 gebaut wurde, hat in den vergangenen Jahren mehrfach den Betreiber gewechselt und wurde zudem drei Mal umbenannt. Zunächst hieß das Schiff Akeman Street und wurde vor allem für Lastwagentransporte zwischen Genua und einer Fiat-Fabrik in der Nähe von Palermo eingesetzt. Später wurde das Schiff in Scintu umbenannt und verkehrte zwischen dem italienischen Festland und der Insel Sardinien. Seit vergangenem Jahr fährt die Fähre unter dem Namen Norman Atlantic für die griechische Reederei Anek.

Offenbar kommen rasch wechselnde Chartergeschäfte mit zum Teil älteren und nicht immer einwandfrei gewarteten Schiffen häufig vor. "Der Unfall ist das Ergebnis eines blamablen Verkehrs der gebrauchten Schiffe", sagte der sardische Abgeordnete Mauro Pili im Corriere della Sera. Es sei ein Markt, in dem keine Transparenz herrsche und zu wenig Kontrollen stattfinden. In nur wenigen Stunden würden Transfers zwischen den Reedern verabredet, das alles sei sehr vage und finde immer unter denselben Personen statt, so Pili.

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