Sexuelle Gewalt in Hollywood:Ed Westwick - Serien-Fiesling unter Verdacht

Ed Westwick

In der Vergangenheit schien Ed Westwick gerne mit seinem Bad-Boy-Image zu spielen - hier auf einem roten Teppich, 2013.

(Foto: AP)

Der Schauspieler ist deutlich jünger als Hollywood-Größen wie Weinstein und Spacey. Sollten sich die Übergriffe als wahr herausstellen, müsste eine beliebte Erklärung für sexuelle Grenzüberschreitungen überdacht werden.

Von Johanna Bruckner, New York

Mit dem Wissen von heute in die Vergangenheit zu blicken, ist verführerisch. Weil sich so oft vermeindlich schlüssige Geschichten erzählen lassen. Im Fall des Schauspielers Ed Westwick beginnt die Geschichte mit jener Rolle, die ihn bekannt machte: In der Erfolgsserie Gossip Girl gab er sechs Staffeln lang Chuck Bass, den Sohn eines Hotelbesitzers. Einen Bad Boy, einen Fiesling. Ja, mehr noch: Diesem Chuck Bass eilte der Ruf voraus, der Teufel höchstpersönlich zu sein. Als ihn eine junge Frau mit diesem Image konfrontierte, antwortete der Serien-Chuck: "Finally, some truth in advertising." Endlich eine Ankündigung, die wahr ist. Ed Westwick hat diesen Satz in einem Interview einmal als sein Lieblingszitat bezeichnet.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Schauspieler mit seinem fiktiven Alter Ego kokettiert. So verkauft man Filme und Serien. Doch die Frage, wie sehr sich Westwick mit seinen Bösewicht-Rollen identifiziert, lässt sich nicht mehr unbefangen stellen. Er steht im Verdacht, drei Frauen sexuell genötigt zu haben, in zwei Fällen ist von Vergewaltigung die Rede. Der 30-Jährige hat die ersten beiden Anschuldigungen abgestritten, zum jüngsten Fall steht ein Statement aus.

Seine bisher letzte öffentliche Äußerung datiert von vor etwa einer Woche. "Es ist entmutigend und traurig für mich, dass nach zwei unbestätigten und beweisbar falschen Anschuldigungen in den sozialen Medien manche Menschen in diesem Umfeld folgern, dass ich etwas mit diesem abscheulichen und entsetzlichen Verhalten zu tun hatte", schrieb Westwick auf seinem Instagram-Account. Er spielt damit auf die Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein an, die einer breiten Öffentichkeit bekannt machten, welche Rolle sexuelle Gewalt in Hollywood spielt. Westwick ist nach Kevin Spacey ein weiterer prominenter Schauspieler, dem Übergriffe vorgeworfen werden. Doch der Fall Westwick unterscheidet sich von anderen.

Ein Problem mittelalter bis älterer Männer?

Westwick ist heute 30 Jahre alt und damit deutlich jünger als die meisten der Beschuldigten. Die Übergriffe, die ihm zur Last gelegt werden, sollen sich erst vor drei Jahren zugetragen haben. Sollten sich die Vorwürfe gegen ihn bewahrheiten, müsste ein populärer Erklärungsansatz überdacht werden, der sich in vielen Texten zum Thema zumindest unterschwellig findet: dass nämlich sexuelle Grenzüberschreitungen von Männern in Hollywood begangen werden, die einem längst überholten Frauen- und, ja, auch Männerbild anhängen. Einflussreiche Produzenten, Regisseure, Schauspieler, die überhaupt keine Veranlassung sehen, etwas an ihrem Verhalten zu ändern, weil sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten damit durchkommen.

Die jüngere, Westwicks Generation, so die mitschwingende Hoffnung, wurde anders sozialisiert. Sie ist zivilisierter. Hat Werte verinnerlicht, die solche Übergriffe verhindern. Gesellschaftlicher Fortschritt als Imprägniermittel gegen Machtansprüche und sexuelle Ausbeutung.

Auch im Fall Westwick soll die Prominenz des Beschuldigten das Schweigen der mutmaßlichen Opfer gesichert haben. Das legen zumindest die Aussagen von Kristina Cohen nahe. Sie hatte den Schauspieler Anfang November als Erste der Vergewaltigung bezichtigt. Auf Facebook schildert die Schauspielerin, wie sie ein Produzent und Freund Westwicks (den sie später als Kaine Harling identifizierte) 2014 in dessen Haus in den Hollywood Hills einlud. Sie habe im Gästezimmer des Schauspielers ein Nickerchen gemacht und sei erst aufgewacht, als Westwick auf ihr lag: "Er hat mich festgehalten und vergewaltigt." Als sie ihrer Begleitung später von der Vergewaltigung erzählt habe, habe ihr der Produzent eine Mitschuld gegeben und ihr gedroht, dass sie ihre Schauspielkarriere vergessen könne, wenn sie Westwick anzeige. "Er sagte mir, dass (...) ich nicht 'dieses Mädchen' sein wolle. Und für die längste Zeit habe ich ihm geglaubt. Ich wollte nicht 'dieses Mädchen' sein."

Cohen hat den Vorfall mittlerweile zur Anzeige gebracht, die Polizei von Los Angeles überprüft ihre Angaben. Zwischenzeitlich haben sich zwei weitere Frauen mit ähnlichen Vorwürfen gemeldet. Auch die Schauspielerin Aurélie Wynn (Bühnenname: Aurelie Marie Cao) wirft Westwick vor, sie vergewaltigt zu haben. Auch dieser Übergriff soll in dessen Gästezimmer passiert sein, wohin sich Wynn während einer Party zum Schlafen zurückgezogen hatte.

Eine andere Parallele gibt es im Fall des dritten mutmaßlichen Opfers, Rachel Eck: Die ehemalige Produktionsassistentin wurde Westwick nach eigenen Angaben vom gleichen Mann vorgestellt wie Kristina Cohen - von ihrem Ex-Freund, dem australischen Produzenten Harling. Harling hat sich bislang nicht geäußert.

"Ich würde nie so lange einem Mädchen hinterherjagen"

Für Westwick haben die Geschehnisse der vergangenen Tage bereits Konsequenzen: Die BBC hat angekündigt, die ursprünglich für Weihnachten geplante Ausstrahlung der Agatha-Christie-Adaption "Ordeal by Innocence" mit Westwick zu verschieben, bis die Vorwürfe geklärt seien. Die Dreharbeiten zur Netflix-Serie "White Gold" hat der Schauspieler unterbrochen. Westwick spielt darin eine der Hauptrollen: Als charismatischer Vertreter Vincent biegt er gerne mal die Regeln zurecht, wenn am Ende ein erfolgreicher Verkauf steht. Einmal mehr wurde Westwick hier als Antiheld gebucht.

Westwick schien das Spiel mit seinem Bad-Boy-Image in der Vergangenheit zu gefallen. Gossip Girl sprach die Generation Smartphone an. Schul-Tratsch, der nicht mehr auf dem Pausenhof, sondern über einen Blog verbreitet wird, virtuelles Intrigenspiel - das traf den Nerv der Zeit. Auf die Frage einer Reporterin, was ihn von seinem Serien-Charakter Chuck Bass unterscheide, antwortete Westwick 2012: "Ich würde nie so lange einem Mädchen hinterherjagen." (Chuck heiratet im Serienfinale seine große Liebe Blair.) Ob Ed Westwick tatsächlich schuldig ist, werden Polizei und Gerichte herausfinden müssen.

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