Sexualstrafrecht:Nein heißt auch anderswo nicht immer nein

Sexualstrafrecht: Leiden im Stillen: Die meisten Sexualstraftaten werden nicht zur Anzeige gebracht.

Leiden im Stillen: Die meisten Sexualstraftaten werden nicht zur Anzeige gebracht.

In Deutschland wird über ein schärferes Sexualstrafrecht debattiert. In Ländern wie Schweden oder Frankreich sind die Gesetze besser - es hapert aber an der Umsetzung. Ein Überblick.

Von SZ-Autoren

Das deutsche Sexualstrafrecht reiche nicht aus: Quer durch die Parteien drängen Parlamentarier Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), seine Reform nachzubessern. Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht beeinflussen die Debatte zusätzlich. In diesem Artikel stellen SZ-Korrespondenten und -Mitarbeiter die Lage in Staaten mit ähnlichen Rechtssystemen wie dem der Bundesrepublik vor. In weiten Teilen der Welt - etwa vielen Staaten Afrikas, Südamerikas und den islamisch geprägten Regionen - ist der Stand der Frauenrechte weiterhin katastrophal, sexuelle Gewalt wird zwar theoretisch bestraft, in der Praxis aber kaum. In vielen westlichen Staaten ist das Sexualstrafrecht stärker am Schutz des Opfers orientiert als in der Bundesrepublik, jedenfalls auf dem Papier.

In Deutschland ist eine Vergewaltigung nach dem Strafgesetzbuch eine Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung. Sie liegt vor, wenn der Täter eine andere Person durch Gewalt oder "Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" zu einer sexuellen Handlung nötigt. Bundesjustizminister Maas will das nun mit einer Reform des Sexualstrafrechts ändern. Denn auf dieser Grundlage können, so der Einwand, zu wenige Täter bestraft werden.

Künftig soll auch als Vergewaltigung gelten, wenn ein Täter das Opfer überrumpelt und das Opfer sich als schutzlos empfindet. Das reicht aber nicht aus, meinen Kritiker. Nach wie vor müssten die Opfer vor Gericht belegen, dass sie sich gegen den Täter gewehrt haben. Schon ein erkennbares "Nein" allein aber müsse genügen. Es gehe nicht an, dass sexuelle Selbstbestimmung erst durch Gegenwehr erkämpft werden müsse. Auch der Schutz gegen Grapscher solle in einem neuen Sexualstrafrecht verbessert werden.

Harte Strafen: Schweden

Ende 2015 berichtete das schwedische Radio SR von einer Warnung, die es auf der Internetseite des Auswärtigen Amts in Berlin gefunden hatte. Unter "Besondere strafrechtliche Vorschriften" stand dort, dass Sexualdelikte in Schweden "strenger geahndet" würden als in Deutschland. Schweden weise eine "hohe Rate angezeigter Vergewaltigungen und Gerichtsurteile" auf, mit teilweise hohen Strafen. Beim AA ist der Hinweis heute nicht mehr zu finden. Tatsächlich werden in Schweden laut UN-Statistik mehr Sexualverbrechen angezeigt als in anderen Ländern. 2014 waren es mehr als 20 000, etwa 6700 davon waren Vergewaltigungen - nur rund 600 weniger als in Deutschland, obwohl es fast neunmal so viele Deutsche wie Schweden gibt. Nirgendwo sonst wurden 2012 mehr Vergewaltigungen pro Einwohner angezeigt als dort.

Das bedeutet natürlich nicht, dass das Level an sexueller Gewalt in Schweden höher ist als anderswo. Der schwedische Rat für Verbrechensvorbeugung hat mehrere Erklärungen für den hohen Wert. Er beobachtete eine wachsende Bereitschaft, Sexualverbrechen anzuzeigen. Außerdem ist die schwedische Definition von Vergewaltigung breiter gefasst als in den meisten Ländern. Seit 2005 zählt darunter auch, wenn jemand den "hilflosen Zustand" eines anderen ausnutzt, dieser etwa schläft, bewusstlos ist oder unter Drogen steht. 2013 wurde das Gesetz verschärft. Seither gilt auch als Vergewaltigung, wenn das Opfer bei vollem Bewusstsein ist, sich aber etwa aus Angst nicht wehrt.

Strenge Regelungen in Frankreich und den USA

Puritanisches Erbe: USA

In den USA gibt es nicht ein Sexualstrafrecht, sondern viele: eines in jedem Staat sowie das Bundesrecht, das zum Beispiel für Soldaten gilt. Mancherorts ist das Sexualstrafrecht noch immer von einem Puritanismus durchsetzt, der in den meisten anderen westlichen Industrieländern längst verschwunden ist: So ist Ehebruch in etwa 20 Staaten noch immer strafbar, zum Beispiel in Oklahoma, Michigan oder selbst im liberalen Massachusetts an der Ostküste. Die Gesetze sehen Geld-und Haftstrafen vor. Trotzdem finden sich in amerikanischen Gefängnissen kaum betrügende Männer und Frauen. Ehebrecher werden so gut wie nie verfolgt.

Die öffentliche Debatte dreht sich derzeit vor allem um die Universitäten. Immer wieder kam es zu Vergewaltigungen, besonders in den Häusern studentischer Verbindungen. Bei Partys werden viele junge Männer unter starkem Alkoholeinfluss übergriffig. Das Problem hängt nicht so sehr mit Mängeln des Sexualstrafrechts zusammen: Aber viele der - meist weiblichen - Opfer trauen sich nicht, eine Vergewaltigung überhaupt zu melden. Sie schämen sich oder fürchten Repressalien ihrer Kommilitonen.

Präsident Barack Obama hat sich des Themas persönlich angenommen. Jede fünfte Studentin werde Opfer sexueller Belästigung, erklärte er, nur zwölf Prozent dieser Übergriffe würden gemeldet und nur bei einem Bruchteil folge eine Strafe. Das Weiße Haus hat Ende 2014 eine Initiative ins Leben gerufen, die auf Vorbeugung setzt, die Opfer ermutigt, sich zu wehren und an Studenten appelliert, nicht wegzusehen. Das größte Problem, sagte Obama, sei es, "dass unsere Gesellschaft - vom Sport über die Popkultur bis zur Politik - Frauen noch immer zu wenig wertschätzt."

Belästigung - non: Frankreich

In Frankreich gelten, rein rechtlich jedenfalls, strengere Sitten als in Deutschland. Das haben, selbst überrascht, viele Franzosen nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht von Köln festgestellt: Die Kunde, dass die meisten Täter nach deutscher Rechtslage wohl ohne Strafe davonkommen, stößt im selbsterklärten Land der Liebe auf schlichtes Unverständnis. In Frankreich gilt längst, was jetzt die deutsche Reform erst erreichen will - eine weniger enge Definition des Begriffs Vergewaltigung, um die Opfer besser zu schützen. Denn nicht nur, wer "Gewalt" oder "Zwang" ausübt, macht sich strafbar - eine Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren muss auch befürchten, wer sein Opfer per "Bedrohung" oder "Überraschung" zum Beischlaf nötigt. Dieselben Kriterien des Missbrauchs gelten für den Tatbestand der "agression sexuelle" (sexuelle Nötigung): Hier drohen Tätern in der Regel fünf, in besonders schlimmen Fällen bis zu zehn Jahre Haft.

In Frankreich gilt auch "sexuelle Belästigung" als Straftat: Wer - meistens weibliche - Kollegen oder Bekannten wiederholt "in Worten oder Verhalten mit sexueller Konnotation" zusetzt, riskiert bis zu 30 000 Euro Geldstrafe und zwei Jahre hinter Gittern (sogar drei Jahre, falls der Täter ein Vorgesetzter ist, der seine Machtposition missbraucht hat). In der Wirklichkeit wirken die gestrengen Paragrafen freilich wenig: Jede fünfte Französin gab 2014 an, sie sei in ihrem Berufsleben bereits sexueller Belästigung ausgesetzt gewesen. Maximal fünf Prozent aller Fälle, so schätzen Experten, landen vor Gericht. Und in jährlich nur 80 bis 100 Fällen wird der Täter verurteilt.

Mangelhafte Umsetzung in Italien, Scham in Japan

Strafbares Stalking: Italien

Italien hat lange gebraucht, bis es sich ordentliche Gesetze für den Schutz der Frauen gab. Sogar der Kollaps des Parteigefüges war dafür notwendig: Mitte der Neunzigerjahre, als die Erste Republik im Korruptionssumpf versunken war, schafften es Parlamentarierinnen mehrerer Parteien, ihre Kollegen von der Notwendigkeit einer strengen Norm zu überzeugen. Bis dahin hatte vor allem die mächtige Democrazia Cristiana mit der "Heiligkeit der traditionellen Familie" argumentiert, als schlösse dieses Konzept das Recht des Mannes ein, von der Frau alles verlangen zu dürfen, auch mit Gewalt.

Seit 1996 sieht das italienische Strafgesetz, Artikel 609, Haftstrafen von fünf bis zehn Jahren (bei minderjährigen Opfern von sechs bis zwölf Jahren) vor für Täter, die mit Gewalt, Drohung oder Autoritätsmissbrauch jemanden zu sexuellen Handlungen zwingen. Bis dahin hatte der Codex aus dem Faschismus gegolten. Inzwischen sind Ergänzungen dazugekommen, etwa zum Stalking. Das italienische Gesetz, so finden die Vereinten Nationen, ist auf dem Niveau anderer europäischer Länder. Als mangelhaft beschrieb ein Rapport aber die Umsetzung.

Das nationale Statistikamt Istat schätzt die Zahl der Frauen, die schon Opfer von Gewalt geworden sind, auf sieben Millionen. Insgesamt ist die Zahl der Übergriffe zuletzt zwar leicht zurückgegangen. Doch man nimmt an, dass nur wenige Italienerinnen sexuelle Gewalt der Polizei überhaupt melden, vor allem, wenn sie daheim passiert. Sie ist vielerorts noch tabu.

Ein uraltes Gesetz: Japan

Japans Sexualstrafrecht stammt noch aus dem Jahr 1907. Der Justizminister lässt derzeit einen Entwurf für ein neues Gesetz diskutieren, den die Frauenorganisationen des Landes als unzureichend ablehnen. Seine Definition von Vergewaltigung sei viel zu eng, sie folge dem alten Gesetz, das "Gewalt und Bedrohung" voraussetzt. Vergewaltigungen in Beziehungen sind damit als Tatbestand ausgeschlossen. Außerdem sei der Entwurf "fixiert auf eine Penetration mit dem Penis", sagte die Aktivistin Jun Yamamoto der Japan Times. Yamamoto war als Kind über Jahre von ihrem Vater missbraucht worden. Die Juristin Hiroko Goto fügte hinzu: "Es scheint, als wolle das Gesetz die Jungfräulichkeit der Frau schützen, nicht ihre Würde."

Werden Frauen am Arbeitsplatz belästigt, rät man ihnen oft, es nicht so ernst zu nehmen. Zudem ist die Scham groß, viele Opfer schweigen lieber. Grapscher in Zügen kommen, wenn sie einmal erwischt werden, oft mit Ordnungsgeldern davon. Anachronistisch ist das Sexualstrafrecht auch beim Jugendschutz. Noch immer werden Jugendliche von ihren Eltern verheiratet.

Große Ungleichheit in Brasilien

Die Staatspräsidentin Dilma Rousseff soll des Amtes enthoben werden und Platz machen für die (sehr oft korrupten) "Herren des Hauses". In dem Machtkampf sind die Bürgerrechte und somit auch die hart erkämpften Frauenrechte in Gefahr. Noch immer herrscht im multiethnischen Brasilien große Ungleichheit, die besonders farbige und indigene Frauen trifft. 1932 hatte Staatspräsident Getúlio Vargas das Frauenwahlrecht gesetzlich verankert, anfangs durften sie es aber nur mit Einwilligung des Ehemanns wahrnehmen. Erst 1982 wurde eine Frau Ministerin. Seit 1988 sind Frauen und Männer vor dem Gesetz gleichgestellt. Es war schon ein Zeichen, als mit Dilma Rousseff 2011 eine Frau zur Staatspräsidentin gewählt wurde, denn die Parteien werden nach altem patriarchischem Muster bis heute von Männern dominiert.

Brasiliens Frauen sind berühmt für ihre Schönheit und ihre knappe Strandmode. Doch die Moral hinkt in der vom Machismo geprägten Gesellschaft dieser Freizügigkeit hinterher. Bei einer Umfrage sagten kürzlich mehr als die Hälfte der Befragten, "dass es weniger Vergewaltigungen gebe, wenn Frauen wüssten, wie sie sich zu verhalten haben". 2006 wurde immerhin ein wichtiges Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet. Im afrobrasilianisch geprägten Salvador da Bahia trommelt die "Banda Didá", eine Combo junger schwarzer Frauen, selbstbewusst gegen Diskriminierung und Gewalt an. Das Bewusstsein im Land ändert sich, immerhin das.

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