Seuchengefahr:Der Angriff der Mücken

Seuchen drohen nicht von Toten, sondern vom Wasser.

Von Christina Berndt

Für einen Abschied bleibt kaum noch Zeit. In dem völlig überfüllten Krankenhaus des Dörfchens Cuddalore in Südostindien klettern Menschen über Leichenberge. Sie wollen ihre toten Angehörigen finden, die ihnen die Flutwelle entrissen hat. Wenn sie sie jetzt nicht entdecken, werden sie sie nie mehr wiedersehen. Denn die Leichen müssen schnell unter die Erde. Sonst, so warnen die Behörden, könnte jeder Tote noch einen weiteren mit ins Grab nehmen. Es drohe Seuchengefahr.

Die Bevölkerung der besonders schwer betroffenen Stadt Galle in Sri Lanka wurde über Lautsprecher aufgerufen, die Leichen zu Sammelpunkten zu bringen, wo sie in Massengräbern verscharrt werden sollen. Selbst Hindus werden in der Not begraben, statt verbrannt, wie es ihre Religion eigentlich gebietet. Die Toten - sie sind nicht mehr nur die beklagenswerten Opfer einer der größten Naturkatastrophen der jüngeren Geschichte. Die Toten werden auch als Gefahr für die Überlebenden gebrandmarkt. Tatsächlich sehen viele schrecklich aus. Sie sind entstellt und aufgedunsen von der Hitze, in der sie nun schon seit Tagen liegen. Doch wenn die Leichen auch zum Fürchten aussehen - gefährlich sind sie nicht.

"Entgegen dem gängigen Mythos ist das Risiko, das von Toten ausgeht, extrem klein", sagt Oliver Morgan von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, der sich mit den gesundheitlichen Folgen von Naturkatastrophen beschäftigt. Die Menschen seien schließlich nicht an einer Epidemie wie der Pest gestorben, sondern weil sie schwere Verletzungen erlitten haben oder ertrunken sind. Durch einen gewöhnlichen Verwesungsprozess werden aber keine Krankheiten ausgelöst, und Mikroben sterben in Leichen schnell ab.

Es sei deshalb nicht nur unnötig, die Leichen hastig in Massengräber zu werfen, sondern auch "töricht", sagt Mirta Roses. "Das Schlimmste ist, dass man diese Dinge unternimmt, ohne dass die Leichname identifiziert und aufgebahrt werden", beklagt die Direktorin des panamerikanischen Regionalbüros der Weltgesundheitsorganisation WHO. So würde das seelische Leid der Hinterbliebenen noch größer, von denen viele nahezu alles dafür geben würden, Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erlangen und ihnen ein ordentliches Begräbnis zu ermöglichen.

Gewiss drohen Seuchen in den Katastrophengebieten. Aber sie lauern nicht in den Toten, sondern im verseuchten Trinkwasser, das Durchfallerkrankungen, Cholera und Typhus verbreiten kann - sofern diese Leiden in den betroffenen Gebieten auch vorkommen. "Krankheiten entstehen nicht einfach aus dem Nichts", sagt Oliver Morgan. Sie breiten sich nur unter widrigen Umständen leichter aus. So werden Atemwegserkrankungen in den Massenunterkünften schnell um sich greifen.

In den nächsten Tagen wird auch das Risiko für Malaria und Dengue-Fieber steigen. Denn die versumpften Gebiete sind ideale Brutplätze für Mücken. "Weil die Menschen ohnehin geschwächt sind, kann es dann zu seuchenartigen Ausbrüchen dieser Krankheiten kommen, die viele weitere Todesopfer fordern", sagt Oliver Rosenbauer von der WHO. Womöglich würden noch ebenso viele Menschen durch Infektionskrankheiten sterben wie es Tote durch die Flutwelle gibt.

In vielen Orten sind die Brunnen schon zu Kloaken geworden. Fäkalien, Müll, Schlamm, Kadaver kranker Tiere und Pflanzenteile hat die Welle hineingespült, und in der warmen Sonne gärt das Brunnenwasser nun vor sich hin. Trinkwasseranlagen, Medikamente und Toiletten werden in der Krisenregion deshalb am dringendsten gebraucht.

Die Behörden der betroffenen Länder behaupten, die Menschen seien über die Gefahr aus dem Brunnen informiert. Doch ohne Bedenken holt sich Aisha Siddika vor ihrem Haus bei Nagapattinam im südindischen Tamil Nadu Wasser. "Niemand hat uns gesagt, dass wir dieses Wasser nicht trinken sollen", sagt die Mutter von vier Kindern achselzuckend. Wer vor den Trümmern seines Lebens steht, denkt eben nicht daran, die unsichtbaren Mikroben abzutöten, die sich womöglich im Wasser tummeln.

Worin auch? "Die Ärzte sagen, wir sollen nur gekochtes Wasser trinken", sagt die Inderin Syedunnisa. "Aber wir haben keine Töpfe, keinen Herd, nichts."

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