Selbstjustiz:"Warum haben Sie nicht einfach die Polizei geholt?"

Supermarkt-Filialleiter vor Gericht

Der angeklagte Supermarkt-Filialleiter neben seiner Verteidigerin.

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Der Filialleiter eines Supermarkts in Berlin-Lichtenberg steht wegen Selbstjustiz vor Gericht.
  • Er soll Ladendiebe verprügelt und getreten haben. Einer von ihnen starb an einem Schädel-Hirn-Trauma.
  • Der Marktleiter und sein Schwager, der ebenfalls dort arbeitete, tauschten Whatsapp-Nachrichten über ihre Taten aus.

Von Verena Mayer, Berlin

Der Edeka-Markt auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg liegt direkt in der Eingangshalle, sieben Tage die Woche hat er geöffnet. An Sonntagen gehen hier schon mal 7000 Leute ein und aus, und mehrmals am Tag versucht jemand, etwas zu stehlen. Ein Problem, das fast alle Supermärkte haben, der Handelsverband Berlin-Brandenburg schätzt, dass der Schaden durch Ladendiebe in Berlin jedes Jahr zwischen 100 und 150 Millionen Euro beträgt. Nur: Im Edeka Lichtenberg haben sie nicht jeden Ladendiebstahl sofort angezeigt, wie man das eigentlich macht. Der Marktleiter soll Ladendiebe verprügelt und getreten haben, und die Angestellten haben es vermutlich genauso gehalten.

All das wäre womöglich noch lange nicht aufgeflogen, wenn nicht eines der Opfer im September vergangenen Jahres in einer Arztpraxis erschienen wäre. Der Mann hatte zwei blaue Augen, sein Gesicht war angeschwollen, er konnte nur "zusammengeschlagen" murmeln. Man brachte ihn in die Rettungsstelle, wo er wenig später an einem Schädel-Hirn-Trauma starb.

Der Angeklagte hatte Quarzhandschuhe an, als er zuschlug

Am Donnerstag steht der Marktleiter André S. deswegen vor dem Berliner Landgericht. Er ist 29, ein kleiner, bulliger Mann mit kurz geschorenem Haar. S. reißt die Arme hoch, als er im Flur an den Prozessbeteiligten vorbeigeht, so, als wolle er eine Verteidigungshaltung einnehmen. Der Staatsanwalt wirft ihm Körperverletzung mit Todesfolge vor, ihm drohen bis zu fünfzehn Jahre Haft. Zwei Mal soll S. mit der Faust auf sein Opfer eingeschlagen haben, er hatte dabei Quarzhandschuhe an, mit Sand verstärkte Handschuhe, die eine ähnliche Wirkung haben wie ein Schlagring. Ein Angestellter erzählte der Polizei, er habe sehen und hören können, wie André S. die Nase des Mannes brach.

"Warum haben Sie nicht einfach die Polizei geholt?", will der Richter wissen. "Das war ein dummer, schleichender Prozess", sagt André S. Er spricht stockend, man merkt, dass er nicht gerne viele Worte verliert. S. erzählt, dass er als Angestellter in einem Supermarkt angefangen und sich zum Filialleiter hochgearbeitet habe. In seinem Markt habe es große Probleme mit Ladendiebstählen gegeben.

Oft wurden drei, vier Leute am Tag erwischt, manche musste er bis zum Bahnsteig verfolgen, um sie der Polizei zu übergeben, andere hatten Eisenstangen oder Messer dabei. Er habe sie dann auf seine Art "belehren" wollen, und die Angestellten hätten sich das bei ihm abgeguckt, "da ist man irgendwann abgestumpft". Wie abgestumpft, zeigen die WhatsApp-Nachrichten, die er und sein Schwager austauschten, der ebenfalls in dem Markt arbeitete. Sie schickten sich Fotos aus der Überwachungskamera, die einen zugerichteten Ladendieb zeigten und schrieben dazu "Guten Appetit" oder "Hast du Würstchen gemacht?"

Eugeniu B. wollte eine Flasche Weinbrand stehlen

Den Obdachlosen, den er an einem Septembertag um acht Uhr morgens beim Klauen ertappte, kannte er schon. "Der Herr war mehrfach da." War die Situation bedrohlich?, fragt der Richter. André S. schüttelt den Kopf. Dennoch drängte er den Mann in einen Durchgang zum Getränkelager, schlug und trat auf ihn ein und warf ihn dann zur Hintertür hinaus. "Wie ein geprügelter Hund" habe er gewirkt, sagt eine Mitarbeiterin der Arztpraxis, die der Obdachlose aufsuchte. S. sagt, er habe den Mann nicht verletzen wollen. Ob seine Schläge und Tritte für den Tod des Ladendiebs verantwortlich waren oder ob dieser nicht vielleicht schon andere Verletzungen am Kopf hatte, muss das Gericht herausfinden. Der Prozess wird am 13. März fortgesetzt, gegen einige Mitarbeiter des Marktes laufen weitere Verfahren.

34 Jahre alt war Eugeniu B., als er in Berlin starb. Was er für ein Mensch gewesen sei, will der Richter von einem Verwandten wissen. "Nicht aggressiv", sagt der Zeuge, der aus Moldawien kommt, gelernter Maurer ist und wie so viele seiner Landsleute als Hilfsarbeiter auf dem Bau arbeitet. Er erzählt, dass Eugeniu B. verheiratet ist und im Herbst 2015 ebenfalls aus Moldawien nach Deutschland kam, um einen Job zu finden, erst nach Dortmund, dann nach Berlin. Doch B. hatte Probleme, trank zu viel und erschien nicht zur Arbeit. Irgendwann landete er auf der Straße, wurde von einem Kumpel verprügelt oder schlug sich mit Syrern. Er habe dann ein ernstes Wort mit ihm geredet, sagt der Zeuge. Dass er doch nicht nach Deutschland gekommen sei, um auf der Straße zu leben. Eugeniu B. habe ihm versprochen: Ich mache alles anderes, ich kriege das geregelt.

Er lud Eugeniu B. ein, bei ihm und seiner Familie zu essen und zu schlafen. Bevor er kam, sei B. in den Edeka-Markt gegangen. Geld hatte er keines, aber er wollte eine Flasche Weinbrand. "Er sagte", erzählt Eugeniu B.'s Freund, "er kann doch nicht mit leeren Händen kommen."

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