Seefahrt:4000-Tonnen-Schiff in der Nordsee verschwunden

In der Nordsee ist ein riesiger Frachter verschollen. Der letzte Funkkontakt bestand vor etwa zwei Wochen. Die Crew wurde zuvor von angeblichen Drogenfahndern besucht.

Ein kurzes Gespräch über Funk war der letzte Kontakt. Als der Frachter Arctic Sea von der Nordsee in den Ärmelkanal einbog, fiel der Küstenwache in der vielbefahrenen Straße von Dover nichts Verdächtiges auf. Doch nun befürchten die Behörden, dass sich das 98 Meter lange Schiff in der Hand von Piraten befinden könnte. Der Funkkontakt zur Küstenwache liegt schon zwei Wochen zurück.

Seefahrt: Von der auf Malta registriertenArctic Seafehlt jede Spur. Der Frachter mit russischer Besatzung war in der Nordsee Richtung Algerien unterwegs.

Von der auf Malta registrierten

Arctic Sea

fehlt jede Spur. Der Frachter mit russischer Besatzung war in der Nordsee Richtung Algerien unterwegs.

(Foto: Foto: dpa)

Seither fehlt von dem 4000-Tonnen-Schiff jede Spur, seinen Zielhafen in Algerien hat es nie erreicht. Und die Leute von der Küstenwache sind fassungslos - dachte man doch, Piraten würden vor allem vor der Küste Somalias ihr Unwesen treiben. Aber nicht in den Gewässern von Ost- oder Nordsee.

Erstmals Piraten in der Nordsee?

"Es ist verrückt. Es gibt niemanden bei der Küstenwache, der sich an etwas Vergleichbares erinnern kann", sagt Mark Clark. "Wer würde glauben, dass ein entführtes Schiff einfach eines der am besten bewachten und am meisten befahrenen Gewässer der Welt durchqueren kann", fragt er mit Blick auf die Straße von Dover, der Meerenge, die die Nordsee vom Ärmelkanal trennt.

Noch ist völlig unklar, was an Bord der Arctic Sea passierte, die unter maltesischer Flagge für eine finnische Reederei Holz nach Algerien bringen sollte.

Beim letzten Funkkontakt am 28. Juli dachte die Küstenwache, mit einem Besatzungsmitglied zu sprechen. Aber es könne auch jemand gewesen sein, dem eine Pistole an den Kopf gehalten wurde, oder gar ein Entführer, räumt Clark ein. Mittlerweile ist eine internationale Suchaktion angelaufen. Und wie ernst die Situation eingeschätzt wird, zeigt Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew. Er befahl seinem Verteidigungsministerium, "alle notwendigen Maßnahmen" zu unternehmen, um das Schiff zu finden und notfalls zu befreien.

Kaperung am 24. Juli

15 russische Seeleute bildeten die Besatzung. Die mysteriöse Geschichte um die Arctic Sea fing bereits am 24. Juli in der Ostsee an. Nahe der idyllischen Inseln Gotland und Öland rast pfeilschnell ein großes Gummiboot auf den Frachter zu. An Bord sind bis an die Zähne bewaffnete Männer. Sie geben sich als Drogenfahnder aus, nehmen die Besatzung gefangen, prügeln mit Gewehrkolben auf Widerspenstige ein und lassen das Schiff ohne erkennbaren Kurs im Zickzack oder Kreis fahren. Nach Darstellung der finnischen Reederei verschwinden sie nach zwölf Stunden unerkannt. Und ohne Beute.

Gerüchte machen sich breit

Nach dem Überfall in der Ostsee und der letzten Ortung der Arctic Sea vor der nordfranzösischen Küste machen Gerüchte die Runde. Befanden sich Waffen an Bord, oder wurden Drogen geschmuggelt? Haben es Piraten auf das Schiff abgesehen, um ein Lösegeld für die Holzladung im Wert von über einer Million Euro zu erpressen? Hat die Crew das Schiff selbst übernommen oder wurde sie gezwungen, illegale Fracht zu transportieren? Vieles scheint möglich. Nur ein harmloser Hintergrund scheint ausgeschlossen.

Niemand glaubt, dass das Schiff bei einem Unglück gesunken sein könnte. "Dann müssten irgendwo Trümmer oder das Holz treiben", meint Nick Davis, der ein Unternehmen zum Schutz von Schiffen betreibt. Gegen die Piratenthese spricht allerdings, dass bislang nichts von einer Lösegeldforderung bekannt wurde, auch wenn sich die Reederei bei Anfragen bedeckt hält.

Die Seefahrergewerkschaft Nautilus International kritisierte, dass die Behörden zu spät wach geworden seien. "Es ist unfassbar, dass ein Schiff mehr als zwei Wochen herumfahren kann, ohne dass jemand seine genaue Position kennt", wetterte Generalsekretär Mark Dickinson. "Die Behörden wären sicher nicht so entspannt, wenn es sich um ein entführtes Flugzeug handeln würde."

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