Schweres Erdbeben vor Chile:"Unter den Trümmern schreien Kinder"

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Das Erdbeben vor Chile überraschte die meisten im Schlaf. Nur langsam wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar: Eingestürzte Häuser, brennende Gebäude, zerstörte Brücken. Mindestens 214 Menschen kamen ums Leben. Hunderte werden noch unter dem Schutt vermutet.

Die mächtigen Erdstöße überraschen die meisten im Schlaf. Es ist 3.34 Uhr Ortszeit, als die Erde in Chile bebt. In Panik rennen die Menschen aus ihren Häusern auf die Straße.

"Das ist wie der Weltuntergang", sagt später ein Mann einem Fernsehsender. "Ich habe noch nie in meinem Leben ein solches Erdbeben erlebt." Die Chilenen sind an die heftigen Erdstöße gewöhnt. Das südamerikanische Land liegt am sogenannten "Pazifischen Feuerring", einem hufeisenförmigen Vulkangürtel am Rande des Pazifiks. Etwa 90 Prozent der Erdbeben weltweit ereignen sich innerhalb dieses Rings. In den 60er Jahren kamen beim bislang stärksten Beben seit Beginn der Aufzeichnungen 1655 Menschen ums Leben.

Auch diesmal hinterlässt das Erdbeben eine Schneise der Verwüstung. Das chilenische Fernsehen zeigt Bilder von eingestürzten Wohnhäusern, Krankenhäusern, brennenden Gebäuden und zerstörten Brücken.

Bis zum Abend steigt die Zahl der Todesopfer auf 214 - und es könnten noch deutlich mehr werden. Ob Deutsche unter ihnen sind, ist noch unklar. Das Auswärtige Amt bemühe sich um Informationen, heißt es auf der Homepage. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet ruft für die besonders vom Beben betroffenen Regionen Katastrophenalarm aus.

Wohl am schlimmsten hat es das Gebiet um die Stadt Concepción, mehr als 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, erwischt. Dort sind zahlreiche Gebäude, darunter auch der Sitz der dortigen Regionalregierung eingestürzt. Unter einem eingekrachten 14-stöckigen Haus werden noch bis zu 150 Menschen vermutet. Sie seien unter den Trümmern verschüttet, berichten lokale Medien.

"So etwas habe ich noch niemals zuvor gesehen", sagt eine fassungslose Frau, die mit einer Wolldecke um den Schultern auf der Straße in der 200.000-Einwohner-Stadt steht. Ein TV-Reporter berichtet: "Es gibt keine Straße in Concepción, wo kein Schutt liegt. Man hört Kinder unter den Trümmer schreien."

In Region um Concepción, der zweitgrößten Stadt in Chile, leben besonders viele Nachfahren deutscher Auswanderer.

Das Epizentrum des Erdbebens lag nach Angaben der US-Erdbebenwarte etwa 92 Kilometer nordwestlich von Concepción. Die Erde bebte in fast 60 Kilometern Tiefe. In schneller Folge gab es mehr als 20 Nachbeben mit Stärken von bis zu 6,9.

Indes bereiten sich die weite Teile der Pazifikregion auf einen möglichen Tsunami vor, den das Beben ausgelöst haben könnte. Die ersten Flutwellen erreichen Hawaii gegen 23 Uhr MESZ. CNN berichtet, die erste Welle sei etwa einen Meter hoch gewesen. Experten befürchten allerdings, dass es bis fünf Meter hohe Wellen geben könnte. Der Tsunami-Alarm gilt auch für Neuseeland. Die Experten erwarten dort, dass eine mindestens einen Meter hohe Welle die Inseln am Sonntagmorgen erreichen wird. Die Polizei rät Anwohnern in Küstengebieten der Nordinsel, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Auch in Japan bereiten sich die Menschen auf eine mögliche Flutwelle vor.

Nach Angaben des US-Tsunami-Warn-Zentrum (NOAA) war am Samstag eine 2,3 Meter hohe Flutwelle durch Talcahuano, eine Stadt an der Pazifik-Bucht nördlich von Concepción, gerollt. Insgesamt seien die südamerikanischen Küsten jedoch weitgehend verschont geblieben.

Eines ist klar: Die wahren Ausmaße der Erdbeben-Katastrophe werden sich erst Tage, vielleicht sogar Wochen oder Monate später zeigen. Hunderte Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet. "Die Opferzahlen werden leider sicher noch steigen", sagte der designierte Präsident Sebastián Piñera, der das Amt am 11. März von seiner Vorgängerin Michelle Bachelet übernehmen soll. Er rief zur Solidarität mit den Opfern auf. "Das Erdbeben ist ein schwerer Schlag für die chilenische Gesellschaft", sagte der konservative Politiker.

Auch an vielen historischen Gebäuden entstanden schwere Schäden. In der Hauptstadt stürzten neue Autobahnbrücken ein. Die Leiterin der Nationalen Notfallbehörde, Carmen Fernandez, befürchtet, dass bis zu 400.000 Personen obdachlos sein könnten.

US-Präsident Barack Obama bot Chile Hilfe bei den Rettungsarbeiten und beim Wiederaufbau an. "Wir stehen an der Seite des chilenischen Volkes", sagte er in Washington.

Auch die Vereinten Nationen sagten Unterstützung zu. "Die UN, insbesondere der Nothilfekoordinator, stehen bereit", sagte Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. "Wir bieten schnelle Unterstützung, wenn das chilenische Volk und die Regierung das wünschen."

Außenminister Westerwelle sprach Chile seine Anteilnahme aus. "Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Angehörigen der Opfer und Verletzten", sagte der FDP-Chef nach Angaben des Auswärtigen Amtes.

© sueddeutsche.de/dpa/AP/Reuters/AFP/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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