Schweiz:Heiliger Bimbam vor Gericht

SCHAURIGE KLÄNGE ZUM JAHRESWECHSEL GEGEN BÖSE GEISTER

Streit um den Schlaf: Manch einem Anwohner gefällt das Gebimmel der Schweizer Kirchen gar nicht.

(Foto: epd)
  • Die Kirchen in der Schweiz hatten den Entscheid aus Lausanne mit Spannung erwartet.
  • Das Verwaltungsgericht Zürich hatte einem Ehepaar aus Wädenswil am Zürichsee, das sich vom Glockenschlag gestört fühlt, zunächst recht gegeben.
  • Hätte sich das Urteil aus Zürich durchgesetzt, hätten viele Gotteshäuser nachziehen und zumindest die Viertelstundenschläge zwischen 22 Uhr und sieben Uhr einstellen müssen.

Von Charlotte Theile, Zürich

Kirchenglocken als Lärm bezeichnen? Noch vor wenigen Jahrzehnten war das undenkbar, es galt als Blasphemie. Heute sehen sich Richter regelmäßig mit Klagen von Anwohnern konfrontiert: Ob in Bayern, der Schweiz oder in Berlin, überall fanden sich in den letzten zwanzig Jahren Anwohner von der Kirche um den Schlaf gebracht. Mal einigte man sich auf Lärmschutzwände, mal wurde das Läuten in der Nacht eingeschränkt. Die grundsätzliche Frage aber wurde immer wieder neu verhandelt: Welche Lautstärke muss man als Kirchennachbar tolerieren?

Die renommierte Universität ETH Zürich hatte in Schlafzimmern von Anwohnern Mikrofone installiert, Schlafphasen gemessen und 2011 in einer Studie festgestellt: Mehr als 40 Dezibel, das ist etwa so laut wie ein ruhiges Gespräch, beeinträchtigen den Schlaf. Auf diese Studie stützte sich ein Ehepaar aus Wädenswil am Zürichsee, das gern bei angelehntem Fenster schläft. Alle Viertelstunde werden sie von einem Glockenschlag gestört, der, laut Gutachten, mit 43 Dezibel am Bett ankommt. An diesem Mittwoch urteilte das Schweizer Bundesgericht in Lausanne über die Klage und befand: Die Glocken dürfen weiterschlagen. Anders hatte es das Verwaltungsgericht Zürich gesehen.

Die Kirchen in der Schweiz hatten den Entscheid aus Lausanne mit Spannung erwartet. Peter Meier, Präsident der reformierten Kirche in Wädenswil, hatte zuvor betont, es gehe um die Frage, ob einzelne Einwohner die Mehrheit überstimmen dürften. Die Kläger hatten von Nachbarn Drohbriefe erhalten. Die Forscher der ETH waren von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei beschimpft worden, sie trieben "den Zerfall unserer Werte" voran. Auch in Deutschland stellt sich immer wieder die Frage, was den, häufig zugezogenen, Anwohnern im Namen der Tradition zugemutet werden kann - und wann sich die Kirche in einem säkularen Staat an das Ruhebedürfnis ihrer Umgebung anzupassen hat.

Hätte sich das Urteil aus Zürich durchgesetzt, hätten viele Gotteshäuser nachziehen und zumindest die Viertelstundenschläge zwischen 22 Uhr und sieben Uhr einstellen müssen. So aber wird weitergebimmelt. Der Streit um die Glocken dürfte mit dem Urteil aber nicht erledigt sein. Der Grenzwert von 60 Dezibel, was in etwa so laut ist wie eine lebhafte Diskussion in der Gruppe, erscheint heute vielen zu laut.

Die Schlafforscher der ETH, die einen Wert von 40 Dezibel ermittelt hatten, liefern in ihrer Studie Munition für weitere Klagen. Bereits von einer Lautstärke von 30 Dezibel an komme es beim Menschen zu "Aufwachreaktionen". Auch wenn man sich am Morgen oft nicht an die Wachphasen erinnern könne, beeinträchtigen sie die Schlafqualität und das Wohlbefinden. 30 Dezibel ist so laut wie ein Flüstern.

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