Schutz vor dem bösen Wolf:Ein Hund mit Herz für Schafe

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Fast 100 Jahre lang gab es keinen Wolf mehr in der Schweiz, nun ist er zurück. Statt der Methode "alle abknallen", einigten sich Bauern und Umweltschützer auf die Rückkehr des Hirtenhundes als "Familienmitglied" der Herde.

Von Thomas Kirchner

Gut möglich, dass der Wolf schon bald zu Alfons Cotti auf die Alp Flix findet. Vor drei Jahren wütete einer im Bergell, nur einen Bergzug weiter, riss 59 Schafe, Lämmer und Ziegen, bevor ihn ein Jäger erschoss.

Schafes Bruder (Foto: Foto: Kirchner)

Ein anderes Exemplar streift derzeit im Vorderrhein-Gebiet durch den Kanton Graubünden. Während viele Schweizer Schafzüchter über das Comeback ihres vor hundert Jahren vertriebenen Erzfeindes fluchen und abends angstvoll ihre Schäfchen zählen, hat sich Cotti gewappnet.

Seinen 170 Tieren hat der Bauer aus Sur am Fuße des Julier-Passes zwei weiße Hunde von der italienischen Rasse Maremmano Abruzzese zugesellt. Das sei der wirksamste Schutz, meint er.

Abknallen oder sich freuen?

1995 hatte sich der erste Wolf, aus Italien kommend, in die Schweizer Berge geschlichen, acht oder neun weitere folgten ihm nach. Seither streitet man in der Schweiz über den Umgang mit den weltweit geschützten Tieren. Alle abknallen, wie Bauern fordern, die ihre Existenz bedroht sehen? Oder sich, wie viele Umweltschützer und Biologen, freuen darüber, dass es wieder Wald, Wild und Raum gibt für die Räuber?

Die Schweizer Regierung glaubt, dass Mensch und Wolf zusammenleben können. Dazu müssten die Schafbauern jedoch lernen, ihre wehrlosen Herden wie früher auf natürliche Art zu schützen, durch Zäune, den Einsatz von Eseln oder eben Hunden.

In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Umweltministerium startete der Word Wildlife Fund (WWF) 2001 ein derartiges Projekt mit neun Bündner Viehhaltern, unter ihnen Alfons Cotti. Eine Herausforderung sei es, sagt er. Aber es funktioniere.

Der Hirtenhund: Eher Abschreckung, als Attacke

Werfen sich Cottis Hunde also dazwischen, wenn der Wolf über ein Lämmlein herfällt? Vielleicht würden sie das tun, wichtiger aber ist ihre abschreckende Wirkung: Es soll erst gar nicht zu einer Attacke kommen. Mit Kot und Urin markieren die Hunde das ständig wechselnde Schaf-Terrain.

"Der Wolf erkennt die Grenze", sagt Cotti, "er weiß, dass er einen Konflikt riskiert, wenn er dort eindringt." Weil ihm der Instinkt zum Weg des geringsten Widerstands rät, bleibt er fern - aber nur, wenn er Gämsen, Hirsche oder Murmeltiere findet. In Graubünden gibt es davon noch genug.

In der Praxis gilt es beim Hunde-Herdenschutz indes eine Menge Hindernisse zu überwinden. Von Natur aus sind Schaf und Hund nicht die besten Freunde. Sie müssen sich aneinander gewöhnen. Cottis Schutzhunde Laro und Serpenta leben daher seit ihrer Geburt Tag und Nacht mit der blökenden Herde, die sie als ihr Rudel ansehen.

Fliegender Wechsel von der Schafrolle zur Hunderolle

Weil sie in der Hierarchie unter den Schafen stehen, haben sie keine Angst vor ihnen. Die Schafe wiederum gehorchen den Treibhunden, zwei Border Collies, die auf die Befehle des Hirten hören. Nur wenn ihr "Rudel" angegriffen wird, wechseln Laro und Serpenta sofort von der friedlichen Schafs- in die Hunderolle und kämpfen.

Diese Wandlungsfähigkeit lässt sich nicht anerziehen und ist nur den Abruzzen-Hunden und der französischen Rasse Patou des Pyrenées eigen. Manchmal verletzten die Hunde Mitglieder ihrer Herde. Unabsichtlich allerdings. Manchmal knabbern sie in freundlicher Absicht ein wenig zu wild an den Schafsohren herum.

Laro und Serpenta sind Cottis zweites Hundepaar. Ihre Eltern rissen nicht nur gelegentlich Wild, sie schleppten aus den Abruzzen auch noch einen heimtückischen Wurm ein, der rund 50 Schafe tötete. "Ein hoher Preis", sagt Cotti, der viel Zeit in das Projekt investierte.

Er schaute sich in Italien um, wo 500 Wölfe leben und viele Herden seit Jahrhunderten mit Hunden geschützt werden. Und er arbeitete intensiv mit den Hunden, die den Betriebsablauf am Anfang kräftig durcheinander brachten, indem sie alle Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Schutzreflex sogar bei Wanderern

Wie ein Hundezüchter fühlte er sich manchmal, wo er doch Schafhalter ist - ein Bio-Hüter allerdings, der im Einklang mit der Natur produzieren will. Im Gegensatz zur großen Mehrheit seiner Kollegen stellt er nicht Schaffleisch, sondern Milch und Käse her. Einen Liter Milch hat ein Schaf jetzt täglich im Euter auf der Alp Flix.

Im Auftrag des WWF gibt Cotti seine Erfahrungen an andere Schafzüchter weiter, die sich für den natürlichen Herdenschutz interessieren. Der WWF selbst rät derweil den Bergtouristen, einen Bogen um hundbewehrte Herden zu machen.

Wenn ängstliche Wanderer oder Mountainbiker den Schafen zu nahe kommen, kann es schnell passieren, dass deren niedliche Freunde zuschnappen. Schließlich geht es um das Rudel.

© SZ vom 28.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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