Schützenverein:"Möchtest du 'ne Kleinkaliber haben?"

Schießanlage in München, 2015

In einem Schützenverein in Hameln soll ein Mann das deutsche Waffengesetzt umgangen haben.

(Foto: Robert Haas)

In einem Schützenverein in Hameln soll ein Funktionär jahrelang anderen zu Waffen verholfen haben - auch Vorbestraften. Die Behörden merkten nichts.

Von Thomas Hahn und Britta von der Heide

Über Enzos Geschäfte mit den Waffen wussten die Nachbarn in Basberg nichts. Oder sie wussten davon und hielten dicht. Oder sie wollten nichts davon wissen, weil sie Enzo mochten.

Enzos lautes Organ gehörte zum Klang des Viertels. Sein gebräuntes Sonnyboy-Gesicht, seine schwere Halskette, sein ganzes italienisches Temperament machten ihn zu einer schillernden Figur dieses nicht sehr schillernden Stadtteils von Hameln. Enzo betrieb lange eine Pizzeria, liebte Sportwagen und boxte noch im hohen Alter für wohltätige Zwecke. Seine Hilfsbereitschaft war phänomenal. Seine Freunde sorgten sich, weil er nach dem Tod seiner Frau zu viel trank. Aber sie glaubten an sein gutes Herz. Dass Enzo als Ehrenpräsident und Kassenwart des Schützenvereins SSV Hameln 2000 leichtfüßig eine deutsche Institution umdribbeln könnte, nämlich das eherne Waffengesetz des Bundes - davon hatten sie keine Vorstellung.

Aber so sieht es aus.

Vincenzo B. alias Enzo, geboren vor bald 60 Jahren in Squinzano, Apulien, sitzt mit anderen Funktionären des mittlerweile aufgelösten SSV Hameln 2000 auf der Anklagebank vor dem Landgericht Hannover. Seit Mai 2016 befindet sich Enzo in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft legt ihm Bestechlichkeit als Amtsträger in 53 Fällen zwischen 2013 und 2016 zur Last. Er soll Mitgliedern für bis zu 1560 Euro Dokumente für eine Waffenbesitzkarte beschafft haben. Und auch wenn Schießsport-Freunde dieses Verfahren als Einzelfall sehen wollen - beruhigend wirkt es nicht.

Bei Vorbestraften beschafft er Bedürfnis-Nachweise für die Ehefrau

Die Sorge, dass Waffen in falsche Hände geraten, hat den deutschen Gesetzgeber derart umgetrieben, dass er den Schützen eines der weltweit engsten Reglements auferlegt hat. Und nun besteht der gut begründete Verdacht, dass ein Hallodri aus Hameln dieses stolze Massiv jahrelang unbemerkt unterwandert hat.

Die Beweisaufnahme vor dem Landgericht läuft seit Januar, ein Urteil ist Ende Juni zu erwarten. Voreilige Schlüsse sind also verboten. Allerdings hat die Polizei mit allen Schikanen ermittelt gegen den Verein und gegen Enzo, dessen wichtigsten Strippenzieher. Die Prozessakten erzählen viel. Zum Beispiel die Protokolle der Telefonüberwachung, die NDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten. Dazu gibt es schriftliche Berichte des verdeckten Ermittlers, der im Frühjahr 2016 unter dem Decknamen Radu Schuster beim SSV Hameln 2000 Mitglied wurde.

Auch im Verfahren hat der Ermittler schon ausgesagt und den Verdacht erhärtet, dass Enzo ein praktisches Komplettpaket für Leute anbot, die entweder wegen Vorstrafen keine Waffe mehr besitzen durften oder schneller eine wollten, als es die Vorschriften erlauben. Der Ermittler sprach mit verfremdeter Stimme, via Live-Schalte von einem geheimen Ort aus und verborgen hinter einer Milchglasscheibe, was seinem Auftritt eine leicht gruselige Atmosphäre verlieh. Aber er erzählte anschaulich, wie der SSV vordatierte Eintrittserklärungen ausstellte, Bedürfnis-Nachweise erfand - unter anderem für Ehefrauen, die mit Waffen nichts am Hut hatten, damit die vorbestraften Gatten eine haben konnten. Und wie die Klub-Funktionäre Sachkundeprüfungen inszenierten.

Für die Umsetzung von Sachkundenachweisen sind die Verbände zuständig

Das deutsche Waffengesetz ist umstritten. Sportschützen, Jäger oder Waffensammler fühlen sich bei allem Verständnis für Sicherheitsfragen gegängelt und überreguliert. "Sobald Sie eine Waffe haben, gehören Sie zum am besten bewachten Teil der Bevölkerung", sagt der Waffenrechtsexperte André Busche. Transport, Aufbewahrung, Art des Schießens unterliegen detailreichen Auflagen, welche die örtlichen Waffenbehörden kontrollieren. Um eine Waffe haben zu dürfen, muss man über 18 sein, darf nie mit dem Waffenrecht in Konflikt gekommen sein und muss gesundheitlich wie charakterlich in der Lage sein, mit einer Waffe umzugehen.

Außerdem ist ein Sachkunde-Nachweis Pflicht, den man nach Lehrgängen sowie praktischer und theoretischer Prüfung erwerben kann. Und es muss ein berechtigtes Bedürfnis vorliegen, also etwa eine bestimmte Anzahl an Schießleistungen, die zeigen, dass jemand Sportschütze ist.

Der Gesetzgeber hat den Verbänden die Umsetzung von Sachkunde- und Bedürfnisnachweisen überlassen, innerhalb der Verbände sind die Vereine dafür zuständig. Und hier sah Enzo offenbar seine Chance.

Manchmal stöhnte er, weil die Nachfrage so groß war

Der SSV Hameln 2000 trug sein Gründungsjahr im Namen. Allerdings hieß er in den ersten drei Jahren seines Bestehens anders, nämlich "SV Enzo Reburg 2000". "Schon damals hat Enzo die Sachkundeprüfungen einfach verkauft", sagt ein Wegbegleiter, der anonym bleiben möchte. Enzo habe gesagt: "Wir gründen den Verein, dann können wir Waffenbesitzkarten verteilen und damit Geld machen." Wenn das stimmt, hat Enzo weit mehr Leute in Waffenbesitz gebracht, als die 53 Fälle vor dem Landgericht vermuten lassen.

Enzo lud, so steht es in den Akten, Interessenten an die Schießanlage Rehren im Wald bei Auetal ein. Auf seine einnehmende Art bot er an, den Weg zur Waffenbesitzkarte abzukürzen. Einem Vorbestraften sicherte er zu: "Ich mache jetzt zwei Waffen für deine Frau." Eine Vereinsangehörige fragte er: "Schatz, möchtest du 'ne 9 Millimeter haben oder möchtest du 'ne Kleinkaliber haben?" - "Ich möchte gerne beides haben", sagte diese, "eine Kleine fürs Büro." Kein Problem für Enzo: "Wir machen eine Prüfung pro forma, verstehst du?" Nur manchmal stöhnte er, weil die Nachfrage so groß war. Zu einer Frau sagte er: "Wenn du am Sonntag kommst, zeige ich dir, wie viel Bekloppte 'ne Waffe haben wollen."

Die theoretische Prüfung fand im Kebap-Haus statt

Vor allem die Erkenntnisse über die Sachkundeprüfungen à la Enzo weisen auf eine fast kindliche Frechheit hin. Viele Vereine schicken ihre Mitglieder zu staatlich anerkannten Sachkunde-Lehrgängen. Die kosten zwischen 75 und 250 Euro und enden mit Tests, die keiner unterschätzen sollte. "Eine Sachkunde-Prüfung ist normalerweise eine bierernste Sache, bei der man auch mal durchfällt", sagt Busche. In Enzos Schützenstadl war das wohl anders. Laut Ermittlungsakten lief die theoretische Prüfung in lockerer Runde in einem Hannoverschen Kebab-Haus. Die ausgewählten Fragen aus dem offiziellen Fragenkatalog waren vorher bekannt, die Antworten auch. Ermittler Schuster berichtet: "Es wurde munter diskutiert, wo man welches Kreuz machen soll." Er selbst hatte Fotos von den Lösungen. "Ich habe das Handy auf den Tisch gelegt und stumpf die Kreuze übertragen, ohne etwas durchzulesen."

So konnte praktisch jeder in scheinbar legalen Waffenbesitz kommen. Und die Frage ist, warum es für Enzo erst eng wurde, als die Polizei bei Ermittlungen im Drogenmilieu auf den SSV stieß.

Auf Nachfragen habe es plausible Erklärungen gegeben, heißt es

Alexander Eichener, Justitiar des 16 000 Mitglieder starken Sportschützen-Verbandes DSU, zu dem der SSV Hameln 2000 gehörte, sagt, der SSV sei auf den ersten Blick ein ganz normaler, relativ großer Verein gewesen mit Mannschaften und Meisterschaftserfolgen. Zwischendurch gab es Verdachtsmomente, der konkreteste: Immer wieder besuchten ziemlich viele Sportschützen gleichzeitig die kleine Anlage in Rehren. Aber Enzo erklärte das mit Ausflugsfahrten ganzer Schützen-Freundeskreise. "Auf Nachfragen haben wir und die Behörden sehr plausible Erklärungen bekommen", sagt Eichener. Außerdem setzte das Land Niedersachsen großes Vertrauen in seine Vereine. Von der zuständigen Waffenbehörde war selten ein Vertreter bei den Prüfungen im Kebab-Haus.

An diesem Punkt setzen Enzos Anwälte an. Sie halten die Anklage wegen Bestechlichkeit für überzogen. Die Staatsanwaltschaft mache Enzo und seine Vereinsbrüder zu Amtsträgern, also zu Personen der öffentlichen Verwaltung. Dabei hätten die Behörden selbst nicht aufgepasst. "Die Behörden haben ja ein Anwesenheitsrecht und aus meiner Sicht auch eine Pflicht. Die haben sie nicht wahrgenommen", sagt Enzos Verteidiger Roman von Alvensleben.

Und Enzo? Der gibt sich Mühe, im Gerichtssaal sein Temperament zu zügeln. Sagt nicht aus, um sich nicht zu belasten. Wirft sprechende Blicke Richtung Zuhörerplätze, auf denen meistens die Schwägerin sitzt. Nervt seine Anwälte, weil er mit dem Fernsehen plaudert. Er ist ein schillernder Mann in einem nüchternen Raum. Und es scheint, als erfasse er die Tragweite seines mutmaßlichen Schurkenstücks nicht ganz in seinem ewigen Leichtsinn.

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