Schüsse auf Berliner Rapper Massiv:Das Lied der Gewalt

Der Berliner Rapper Massiv ist auf der Straße angeschossen worden. Die Ermittler rätseln über das Motiv.

Von C. von Bullion und J. Temsch

Die Szene ist filmreif, wenn sie sich denn je so abgespielt hat: Der Berliner Rapper Massiv, ein Muskelberg von einem Mann, fährt am Montagabend durch Berlin. Der Musiker kommt von einem Interview, ein Freund bringt ihn nach Hause, im dunklen BMW. Der Wagen stoppt im Bezirk Neukölln, in einer eher schäbigen Straße.

massiv rapper schüsse berlin dpa

Kurz vor der Plattenveröffentlichung angeschossen: Rapper Massiv.

(Foto: Foto: dpa)

Gar nicht weit von hier wurde im vergangenen Jahr ein junges Mädchen vollgepumpt mit Heroin in einen Rollkoffer gesteckt und in einem Park verbrannt. Was der Rapper und sein Freund in der Gegend wollen, ist unklar, der Fahrer des Wagens holt sich angeblich nur kurz Zigaretten. Rapper Massiv steigt aus dem Auto aus und telefoniert.

Da kommt ein maskierter Mann auf ihn zu, murmelt irgendwas und gibt mindestens drei Schüsse auf ihn ab. Ein Projektil verletzt den Musiker an der Schulter, ein anderes durchschlägt die Windschutzscheibe. Er kommt ins Krankenhaus, soll viel Blut verloren haben. Weil er aber ein ganzer Kerl ist, verlässt er die Klinik noch in derselben Nacht.

Eine Geschichte ist das, die dazu taugen könnte, aus dem noch nicht weltberühmten, aber beim Majorlabel Sony BMG unter Vertrag stehenden Rapper Massiv einen Helden der Unterwelt zu machen. Das träfe sich gut, denn der Musiker will in den nächsten Tagen die erste Single aus seinem neuen Album veröffentlichen.

Es heißt "Ein Mann ein Wort" und dürfte ein Machwerk sein, in dem es wieder viel um den Krieg auf den Straßen, um das "Ghetto", die "Nutten" und all die "schwulen Touris" gehen dürfte, an denen sich der Musiker gewöhnlich abarbeitet.

Massivs Texte gelten als hart und humorlos, in seinem Song "Opferfest" rappt er: "Mit dem Säbelschwert schneid ich euch die Zungen ab, bis die Zunge in die Lunge klappt...komm wir stechen Waffen in die Fressen, bis die Kiefer auseinanderbrechen."

So was kommt an in der Welt der Abgehängten, der zornigen Berliner Migrantensöhne aus Neukölln und dem Wedding, wo der Rapper selbst zu Hause ist. Er wohnt da seit zwei Jahren, kommt ursprünglich aus Pirmasens, die Eltern sind palästinesische Flüchtlinge aus dem Libanon. Ihr Sohn, der eigentlich Wasiem heißt, rutscht ihnen früh weg, er dealt, landet im Jugendarrest und in U-Haft, muskelt seinen Körper auf 120 Kilo auf und macht seine Haut zur Tattootapete.

In Berlin verkauft er seine verkrachte Vita dann der Firma Sony als Gangster-Rap. Das klappt, der Konzern investiert 250.000 Euro in den Neuen. Er tritt mit Rapper Sido auf, der gehört zum Label Aggro Berlin, das wiederum im Clinch mit dem Rapper Bushido liegt, dem derzeit erfolgreichsten Frontmann der Szene. Die Rivalen "dissen" sich regelmäßig, also beleidigen sich möglichst vulgär oder drohen einander mit Gewalt.

Tobt also ein wüster Rapperkrieg, wie Zeitungsleute jetzt zu berichten wissen? Geht es in Berlin inzwischen zu wie in den USA, wo Rapperstreitigkeiten sogar Todesopfer gefordert haben? Wohl kaum, meint ein Kenner der Szene, der vorsichtshalber anonym bleiben will. "Harte Sprüche der Rapper provozieren auch hierzulande Aggressionen von Jugendlichen mit Testosteronüberschuss, die dann vielleicht mal testen wollen, wie der Rapper wirklich drauf ist."

Das allerdings erklärt noch nicht, was am Montag gegen 22 Uhr 10 in Berlin-Neukölln passiert ist. Glaubt man dem Gewisper aus dem Fan-Universum des Rappers Massiv, dann hat der Musiker die nächtliche Schießerei womöglich selbst inszeniert und sich einen PR-Gag erlaubt. Sozusagen, um den Plattenverkauf zu befeuern.

Nur ein Streifschuss?

Es gibt da ein paar Details, die auch die Polizei nachdenklich gestimmt haben. So wurde der Überfall offenbar auf Massivs Fan-Seite vermeldet, noch bevor der Musiker im Krankenhaus angekommen war. Auch können die Beamten noch nicht erklären, warum der Rapper aus nächster Nähe angeschossen worden sein soll, der Täter aber nur die Schulter traf. Selbst die Art der Verletzung ist umstritten.

Die Polizei blieb am Mittwoch bei ihrer Feststellung, die Schusswunde sei nicht sonderlich tief gewesen und ambulant versorgt worden. Zeitungen berichten von einem Streifschuss am Arm. Der Sprecher des Musikers sprach dagegen von einem Durchschuss der Schulter.

Es sei empörend zu vermuten, der Rapper habe eine so schwere Verletzung in Kauf genommen, nur um sich ins Gespräch zu bringen. "So eine Promo macht man nicht." Wiederholen mochte der Sprecher das nicht, er war am Mittwoch nicht zu erreichen.

Es kursiert da aber noch eine andere These über die Hintergründe der Tat. Als Rapper Massiv aus der Pfalz nach Berlin zog, kroch er bei einer kurdisch-libanesischen Großfamilie in Neukölln unter. Es gibt Hinweise, dass es sich um Familie R. handelt, einen Clan, der die Berliner Justiz seit Jahren auf Trab hält.

Drogenhandel, Körperverletzungen und Raub wurde Mitgliedern der Familie vorgeworfen. Bei Ermittlern gelten sie als krimineller Großclan, der ständig Revierstreitigkeiten mit anderen arabischstämmigen Neuköllnern auskämpft und sich bewaffnet haben soll. Familie R. lebt nur wenige Schritte entfernt vom Ort, an dem jetzt einer auf den Musiker schoss. Und bei Imponiergehabe bleibt es nicht. Im November greifen drei Messerstecher den Rapper Fler vor den Berliner MTV-Studios an. Bushido wird auf der Bühne umgetreten. Massiv bekommt bei einem Auftritt im letzten Sommer Prügel.

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