Schröder bei Kerner:Politisch relevant, floskelfrei, unterhaltsam

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Der Kanzler, seit langem mal wieder in einer Unterhaltungssendung. Was lernt man daraus? Erstens: Weiter so Schröder. Zweitens: Talkshows führen nicht direkt zum Untergang der abendländischen Kultur, sondern können unterhaltsam sein. Sogar kurz vor Mitternacht und noch dazu mit dem Kerner. Erstaunlich.

Von Kurt Kister

Am späteren Abend kommt man manchmal zu Erkenntnissen, die einem das Leben nicht gerade leichter machen. Nehmen wir diesen Dienstag, 22.45 Uhr.

Dienstag, 22.45 Uhr: Schröder und Kerner gut im Gespräch. (Foto: Foto: dpa)

Dreiviertel elf nachts ist eigentlich eine Zeit, zu der man als reifer Mensch jenseits der vierzig lesen, bügeln oder Zinnfiguren anmalen sollte. Am Dienstag aber ging das nicht, weil da der Bundeskanzler bei Johannes B. Kerner war. (Ceterum censeo: middle initials sind affig, außer bei Amerikanern.)

Zwar ist die Dampfglättung von sechs Hemden oder die Verfeinerung der Uniformen dreier napoleonischer Kürassiere jeder Betrachtung eines Kerner-Gesprächs vorzuziehen.

Andererseits: der Kanzler, zum ersten Mal seit langem wieder in einer Unterhaltungssendung, und dann auch noch bei Kerner. Das ist, so dachte man, eine gute Gelegenheit, alte Vorurteile sowohl gegen Gerhard F.K. Schröder als auch gegen Johannes Kerner wieder mal zu bestätigen.

Tja, was soll man sagen: War leider nichts mit dem Bestätigen.

Schröder saß eine gute Stunde lang Kerner allein gegenüber, bevor drei andere Menschen kamen, die dann in ihrer Eigenschaft als irgendwie positiv von der EU-Erweiterung Berührte die Sendung unnötig in die Länge zogen.

Davor aber führten Schröder und Kerner ein relativ entspanntes, stellenweise sogar floskelfreies Gespräch. Das Themenspektrum war sehr breit und reichte von Schröders Kindheit über den Berufswunsch seiner angeheirateten Tochter bis zu den Reformen und dem Klima im Kabinett.

Der Kanzler war bei alledem deutlich lockerer als er dies seit geraumer Zeit in den meisten halb und ganz offiziellen Auftritten in seiner Eigenschaft als Weltstaatsmann und Stillstandsbekämpfer in Berlin und anderswo ist.

Kerner wiederum wirkte über weite Strecken wie ein gut vorbereiteter Journalist, der seinen Gast respektvoll, etwas beflissen, aber dennoch selbstsicher durch jene Themen führte, die er, der Fragende, gerne behandelt haben wollte.

Gewiss, wer sich freiwillig oder notgedrungen seit längerem mit Schröder beschäftigt, hörte auch an diesem Abend nichts, was er nicht schon gehört hätte. Politisch bemerkenswert war, dass Schröder die Talkshow dazu nutzte, Clements Vorschlag zur Streichung des Sparerfreibetrags öffentlich tot zu treten. Er tat dies deutlich, zunächst mit Worten und dann, auf die richtige Frage Kerners: "Das kommt also nicht?", auch noch mit einem entschiedenen Kopfschütteln.

Vielleicht ist es wirklich relativ egal, ob Politiker, und sei es der Bundeskanzler, von einem Chefredakteur, einem Studioleiter Berlin oder einem Sportreporter-Talkmaster interviewt werden. Allerdings muss dies eher den politischen Journalisten als den Talkmastern zu denken geben.

Bei Was nun, Herr Schröder? hätten sie sich in die Feinheiten der Reformagenda verhakt, wogegen man bei Kerner im ZDF nach der Clement-Klatsche erfuhr, dass Schröder auch gerne auf den Rat seiner Gattin hört.

Was lernt man aus alledem? Erstens wäre es für Schröders Image gut, wenn er sich häufiger auch öffentlich wieder als der Kanzlermensch präsentierte. Zweitens führen Talkshows nicht direkt zum Untergang der abendländischen Kultur, sondern können unterhaltsam sein. Sogar kurz vor Mitternacht und noch dazu mit dem Kerner. Erstaunlich.

© SZ vom 5.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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