Schlemmer-Sorgen:Die Macht der Sterne

Spitzengastronomie kann reich machen, Gäste aber auch abschrecken - manche Köche geben daher die Weihen des Michelin zurück.

Robert Lücke

Eigentlich, sagt Joachim Wissler, sei er ja schon ganz zufrieden. Im Jahr 2004 erhielt er für sein Restaurant "Vêndome" in Bergisch Gladbach den dritten Stern im Michelin, was die höchste Ehre ist, die einem Koch zuteil werden kann. Und doch klingt Wissler eher verhalten. Denn Sterne sind nicht nur eine Ehre - es geht auch um viel Geld.

Ein dritter Stern, sagt Hermann Bareiss, Inhaber des gleichnamigen Restaurants in Baiersbronn mit zwei Sternen, brächte ihm etwa 300.000 Euro pro Jahr zusätzlich in die Kasse. Umgekehrt funktioniert das auch: Als Heinz Winkler aus Aschau 1995 einen seiner drei Sterne verlor, sank der Umsatz um ein Drittel. 1999 erhielt er den Stern zurück, die Gäste kamen wieder.

Spitzengastronomie kann reich machen - zunächst aber kostet sie viel. Steinbutt, Kaviar, Jakobsmuscheln, Trüffel und Waguye-Beef verschlingen Unsummen, weil nur das Beste gut genug ist, und in vielen Betrieben kommt an manchen Tagen auf jeden Gast ein Angestellter.

Erst recht jene Köche, die ein eigenes Unternehmen betreiben - in Deutschland sind das drei von heute sieben 3-Sterne-Chefs - müssen vernünftig wirtschaften. Sie haben nicht wie Wissler ein großes Hotel im Rücken, bei dem sie angestellt sind.

Zu wenig Zeit für's Mittagessen

Wisslers Chef, ein Kölner Hotelbetreiber, hatte sich von dem dritten Stern ein sattes Umsatzplus erhofft. Aber nach wie vor kocht Wissler mittags oft nur für zwei oder vier Gäste. Abends und am Wochenende sei man dagegen sehr gut gebucht, sagt Wissler.

"Aber das Mittagsgeschäft ist in Deutschland generell schwierig, eine Esskultur wie in Frankreich oder Belgien, wo man sich Stunden Zeit nimmt, haben wir nicht", sagt er. Das Lokal liege zu abseits, eine halbe Stunde fahre man von der Kölner Innenstadt hierher, für Geschäftsleute sei das zu weit, obendrein dauere ein Essen im Drei-Sterne-Lokal für sie zu lange.

Ähnliche Probleme hat Christian Bau. Mit dem dritten Stern für den erst 34-Jährigen erhöhte der Michelin Ende November 2005 die Zahl der Drei-Sterne-Häuser auf in Deutschland noch nie dagewesene sieben. Baus kleines Lokal liegt in Perl im Saarland, kurz vor der französischen Grenze und weit von jeder Großstadt entfernt. An einem Mittwochmittag etwa seien gerade mal drei Tische besetzt, erzählt Bau, freitags könne er 15 Gedecke auftragen, samstags 18. Nur sonntagmittags sei es voll.

Wer aber an einem Freitag- oder Samstagabend zu Bau will, muss vier bis sechs Wochen vorher reservieren. Das sei aber schon zu der Zeit, als er zwei Sterne hatte, so gewesen, sagt Bau. "Und viele Gäste echauffieren sich darüber, wenn sie keinen Tisch mehr kriegen", erzählt er, "aber was soll ich denn machen? Voll ist voll".

Und Leute, die abends am Wochenende essen wollen, könne man natürlich nicht überreden, doch bitte Mittwochmittag zu kommen. Dabei hat Bau enorme Kosten: Für 34 Gäste hat er Platz im Restaurant und genauso viele Betten im Hotel. Dafür beschäftigt er 24 Mitarbeiter.

"Drei Sterne sind teuer", bestätigt auch Helmut Thieltges vom "Sonnora" in Dreis, der nach der Vergabe des dritten Sterns Restaurant und Hotel von Grund auf renovieren ließ, "weil die Gäste dann mehr erwarten. Bequemere Stühle, feinere Gläser, besseres Besteck." Aber letztlich zahle sich das aus: Es kommen vor allem mehr Gäste aus dem Ausland.

Darauf hofft auch Jungstar Christian Bau. Denn wie Thieltges kocht er auf dem Dorf, wo niemand 130 Euro für ein Menü ausgibt.

Die Gäste fürchten Preiserhöhungen - und bleiben weg

Manchmal ist die Persönlichkeit eines Kochs wichtiger als die Zahl seiner Sterne. Dieter Müller, Bergisch-Gladbach, eilte auch in der Zeit ohne Michelin-Weihen ein exquisiter Ruf voraus. "Ich war auch vorher recht bekannt", sagt Müller, für den der dritte Stern, den er 1997 bekam, nach fast 20 Jahren mit zwei Sternen, vor allem eine persönliche Genugtuung war. "Heute kommen mehr Franzosen und Belgier als früher", sagt er. Ob das nun am dritten Stern liegt, weiß er nicht.

Für manchen Koch sind die Sterne gar ein Fluch: Die Gäste, die früher kamen, haben Angst, dass es nun teurer werde oder piekfein zugehe, was auch Menschen denken, die noch nie da waren. Für Ursula und Reinhold Ketterer vom "Engel" im Schwarzwald war der Verzicht auf ihren einen Stern schiere Notwendigkeit. "Die Menschen hier sind sehr sparsam", sagt Ursula Ketterer.

Für viele sei ein Stern eher Hemmschwelle als Gütesiegel. Das Lokal in Vöhrenbach habe ein zu teures Image gehabt, was viele davon abhielt, hier zu essen oder zu feiern. Gerade letzteres sei aber sehr wichtig. "Wir konnten zwar nicht klagen", sagt sie, "aber es hat nicht mehr gereicht."

Voriges Jahr gaben die Ketterers ihren Stern zurück, verbilligten Vorspeisen auf unter zehn und Hauptgänge wie Kalbskopf, Leber und Nieren auf unter 20 Euro. Seither ist die Gaststube besonders am Wochenende wieder gut gefüllt, mittags gibt es für 16 Euro Vorspeise, Hauptgang, Kaffee und Kuchen.

Ohnehin hat ein erstmals über einem Lokal strahlender Stern nur eine zeitlich begrenzte Leuchtkraft. Nach ein paar Monaten bleiben die Neugierigen weg, die Gästezahl nimmt wieder ab.

Selbst in Städten wie Düsseldorf mit mehreren Sternerestaurants und zahlungsfreudiger Klientel müssen Drei-Sterne-Gastronomen Zweitrestaurants eröffnen, um damit das erste, teurere, zu subventionieren: So macht es etwa Jean-Claude Bourgueil mit seinem Düsseldorfer Bistro "Jean-Claude", ohne welches das feine Drei-Sterne-"Schiffchen" ins Schlingern geriete.

Einen beinahe positiven Effekt hat Jungstar Christian Bau aber bereits zwei Tage nach der Bekanntgabe seines dritten Sterns erlebt. An einem Vormittag klingelte binnen zwei Stunden mindestens 15 Mal das Telefon, Leute fragten, ob sie Silvester bei ihm essen könnten. Aber Silvester war Bau ohnehin seit Monaten ausgebucht - auch ohne dritten Stern.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: