Schiffskollision in Moskau:Tödliche Geburtstagsfeier

Nachlässigkeit, Bestechlichkeit, Ignoranz: Nach einem Schiffsunglück in Moskau werden in Russland alte Vorwürfe wieder laut. Denn mindestens acht Menschen starben in der Moskwa, weil Vorschriften - wie im Fall der kürzlich gesunkenen Bulgaria - ignoriert wurden.

Frank Nienhuysen, Moskau

Verschwitzte Rollschuhfahrer mischen sich unter die Journalisten, Spaziergänger in Badeschlappen und kurzen Hosen versuchen die traurigen Worte des Ermittlers zu hören. Es ist wieder einmal eine Mischung aus Freizeit und Tragödie in Russland. Moskau, eine der vielen Schleifen der Moskwa, die sich malerisch durch die Hauptstadt windet. Im Hintergrund liegt das Luschniki-Stadion, nur ein paar Meter weiter am Ufer entlang sonnen sich Moskauer auf einem Graswall. Aber sonst ist vieles anders als an den üblichen Sonnenwochenenden. Polizeiboote sperren den Flussverkehr ab, auf dem alten Frachtkahn Oka-5 tuckert der Dieselmotor und bläst stinkende Abgase in die Luft. Groß und unübersehbar liegt der Kahn jetzt da, aber in der Nacht hat der Kapitän eines kleinen Ausflugsboots ihn irgendwie nicht wahrgenommen. Fuhr einfach zu nah heran an das unbeleuchtete Schiff, bis sein Boot nicht mehr manövrierbar war und es sich unter das schräge Vorderteil der Oka-5 schob. Es dauerte nicht lang, und das Ausflugsboot sank.

Schiffskollision in Moskau: Kollision auf der Moskwa: Der Bootsunfall weist auf größere Missstände hin.

Kollision auf der Moskwa: Der Bootsunfall weist auf größere Missstände hin.

(Foto: AP)

Neun Menschen starben, darunter der Kapitän. Sieben Menschen, unter ihnen ein türkischer Staatsbürger, konnten sich retten. 16 Menschen insgesamt waren bei der Katastrophe an Bord, deutlich zu viel für das winzige Boot. Mehrmals betont der Sprecher der Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, dass das Ausflugsschiff nur eine Lizenz für höchstens zwölf Passagiere hatte. Dabei hatte das Schiff sogar noch vor der Kollision kurz angelegt und einen Gast, den 17. Passagier, von Bord gelassen. Es war also deutlich überladen, und das war ja nicht das erste Mal.

Dreimal war der Eigentümer des Ausflugsboots den Behörden bereits aufgefallen, weil er zu viele Menschen mitgenommen hatte, zuletzt erst vor wenigen Tagen. Auch an diesem Samstagabend hatte sich der 50 Jahre alte Mann allzu großzügig gezeigt. Es war eine Geburtstagsfeier an Bord, und, so spekuliert eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will, "vermutlich waren plötzlich einfach ein paar mehr Freunde dabei, und gegen einen Aufpreis hat er sie dann mitgenommen. Regeln werden bei uns im Land leider sehr häufig missachtet". Ob der Besitzer, der das Schiff selber lenkte, unter Alkoholeinfluss gestanden haben könnte? Gemunkelt wurde es unter den Passanten, aber die Ermittler sagten dazu nichts. Fest legten sie sich jedoch darauf, "dass die Schuld beim Kapitän liegt, nach vorläufigen Untersuchungen".

Bootstouren auf der Moskwa sind sehr beliebt bei Russen und ausländischen Touristen. Sie ziehen schippernd vorbei an vielen Moskauer Sehenswürdigkeiten. An Kreml und Basilius-Kathedrale, Erlöserkirche und Gorki-Park, Luschniki-Stadion und Sperlingshügeln. Es gibt teure Luxus-Schiffe mit Dinner auf weißgedecktem Tischtuch, schlichte Ausflugsboote und privat gecharterte Kleinboote. Die tödliche Kollision am Wochenende geschah weit entfernt von der Wolga, und doch war Europas größter Fluss plötzlich zum Greifen nah. Erst vor drei Wochen war in der Nähe von Kasan der große Kreuzfahrtdampfer Bulgaria bei schlechtem Wetter gekentert. 122 Menschen kamen ums Leben, weniger wegen des peitschenden Regens, sondern weil das Schiff veraltet, schlecht gewartet und auch noch überladen war.

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hatte nach der Wolga-Tragödie verärgert kritisiert, dass in Russland noch immer zu viele marode Schiffe unterwegs seien. Dramen dieser Art, wie auch der Flugzeugabsturz einer veralteten Tupolew-134 im Juni im Norden Russlands symbolisieren immer wieder, wie viel Modernisierung das Land immer noch vor sich hat. Als nach dem Unglück auf der Wolga der Bestand der russischen Binnenschiffsflotte untersucht wurde, stellte sich heraus, dass mehr als 90 Prozent der Boote technische Mängel hatten. Nicht alle waren gravierend, aber manche eben schon.

Deswegen sind Ausflüge in Russland zwar nicht gleich unsicher. Und doch ist eine unheilvolle Melange aus nachlässiger Sorgfalt, Bestechung bei einer technischen Überprüfung, Ignoranz und veralteter Technik oft Ursache für tödliche Zwischenfälle. Nach dem Absturz der Tupolew mahnte Medwedjew die Behörden zwar, diesen Flugzeugttyp aus dem Verkehr zu ziehen. Aber was ist mit den vielen veralteten Schiffen und angejahrten Attraktionen in Vergnügungsparks? In einem Land, in dem vieles möglich ist und wegen des gewaltigen Chaos beim TÜV nun im Wahljahr sogar die Autos einfach einen Aufschub erhalten haben für die nächste technische Untersuchung.

Auf der Internetseite des Radiosenders "Echo Moskaus" kocht mal wieder die Volksseele, werden Schludrigkeit und Leichtsinn angeprangert. Ein Blogger schreibt, "die Menschen sterben bei uns wie die Fliegen".

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