Schicksalsschlag:Für Elise

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Richard Bottram will ein Jahr lang täglich einen Marathon für seine an Krebs gestorbene Freundin laufen. Das Guinnessbuch ist ihm dabei völlig egal.

Jochen Temsch

Die Geschichte klingt nach einer Szene, die aus dem Film "Forrest Gump" stammen könnte. Darin spielt Tom Hanks den Titelhelden, der seine Geliebte verliert und einfach zu laufen anfängt, quer durch die USA. Leute hängen sich an ihn wie Jünger, rennen ihm hinterher, jahrelang, bis er abrupt stehen bleibt.

Auch Richard Bottram hat seine Freundin verloren. Sie wollten am Karfreitag 2005 heiraten. Es wurde der Tag ihrer Beerdigung. Sie starb an Krebs. Jetzt läuft Bottram durch Europa. Ein Jahr lang will er jeden Tag 42,195 Kilometer schaffen: 365 mal Marathon. So wirbt er um Aufmerksamkeit und Geld für die Krebshilfe. Insgesamt will er bis Juli 2007 in 14 Ländern 15 401 Kilometer - und 175 Meter - schaffen.

An diesem Montag startet er zu Runde 128, die Etappe führt von Trento nach Ala in Norditalien. Noch am Abend des Interviews steckt ihm bereits sein 118. Lauf in Muskeln, Bändern und Gelenken. Der Marathon-Mann hat schwere Beine. Er geht so steif, als klammere sich ein unsichtbarer Gegner um seine Waden. Aber er lächelt und meint: "Bis morgen ist alles wieder in Ordnung."

Wie ist es möglich?

Jeder Freizeitjogger, der sich einmal an der olympischen Distanz abgerackert hat, weiß, dass ein Marathon monatelanges hartes Training verlangt und nach dem Lauf mehrere Wochen Erholung. Wie ist es möglich, dass Richard Bottram seinen Körper derart schinden kann? Darauf antwortet er nur: "Lass dir meine Geschichte erzählen."

Der 41-jährige Niederländer war Geschäftsführer eines großen Unternehmens in der Nähe von Stuttgart, als seine Freundin Elise Bila an Lungenkrebs erkrankte. Am Freitag erfuhren sie die Diagnose, am Montag darauf kündigte er. "Arbeiten kann ich noch lange genug", sagt Bottram, "ich wollte hundertprozentig für Elise da sein."

Ihnen blieben noch neun Monate. Chemotherapie, Operationen, Bestrahlungen, ein Lungenflügel musste raus. Und wenn Elise zwischendurch aus dem Krankenhaus kam, flogen sie nach Paris, Barcelona, Australien. "Sie war voller Lebenslust", sagt Bottram, "sie wollte sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht mal in ein Café setzen. Sie meinte, Tee gibt's auch im Reisebüro."

Eines Abends fragte sie ihn: "Was wirst du tun, wenn ich sterbe?" Darauf er: "Ich werde Menschen helfen, die Krebs haben, und zwar auf meine Weise." Laufend, wie in seiner Freizeit, in der er schon seit Jahren mehrmals wöchentlich 40-Kilometer-Strecken absolvierte.

Die Freunde im Wohnmobil

Bottram sagt: "Ich bin nicht der Typ, der seinen Kopf hängen lässt, ich will meine Energien positiv umsetzen." Er beriet seinen Plan mit Sportärzten und Ernährungswissenschaftlern. Am 30. Juli startete er seinen "Marathon 365 - run against cancer" in Uden in Holland. Seitdem ist Bottram nicht mehr stehen geblieben.

Mit einem Puls von gemächlichen 108 Schlägen braucht er rund viereinhalb Stunden für die 42,195 Kilometer, die er per Satelliten-Naviagtionssystem plant und abmisst. Sein Bruder und eine Freundin begleiten ihn im Wohnmobil, durch Luxemburg, Belgien, England, Frankreich, Deutschland und die Schweiz, nach Italien, Griechenland und immer weiter. Es sind so viele Länder ohne Pause, weil auch der Krebs keine Grenzen und Feiertage kennt.

Derartige Ultraläufe für einen guten Zweck gibt es immer wieder. Erst Anfang November beendete der Extremsportler Dean Karnazes eine Serie von 50 Marathons an 50 aufeinander folgenden Tagen durch die US-Bundesstaaten - aber wenn Bottram tatsächlich seine angepeilte Marke von 365 Etappen erreicht, wäre das ein einsamer Rekord. Dabei interessieren ihn solche Superlative fürs Guinnessbuch nicht.

Er sagt: "Elise war die Liebe meines Lebens. Was ich jetzt tue, tue ich aus Liebe zu den Menschen." Bottram hat keinen Notar dabei, der seine Leistung beglaubigen würde. Aber er lässt sich von der holländischen Dopingbehörde kontrollieren, damit keiner sagen kann, er sei nicht ganz sauber. "Ein Betrug wäre Betrug an mir selbst", sagt er. Und: "Wenn es einen Notfall in meiner Familie gibt oder ich gesundheitlich nicht mehr kann, höre ich auf."

Über seine Website lädt Richard Bottram jeden ein, seinen Weg zu verfolgen und ihn ein Stück zu begleiten. Er bekommt immer mehr dankbare E-Mails von Krebskranken und ihren Angehörigen, und wo er auftaucht, schließen sich ihm Grüppchen von Mitläufern an. Mit "Forrest Gump" will er sich trotzdem auf keinen Fall vergleichen lassen. Denn es gibt einen großen Unterschied: Richard Bottram hat ein Ziel.

Lauftermine und Etappen im Internet: www.marathon365.org

© SZ vom 4.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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