Salvatore Totò Riina:Boss der Bosse der Cosa Nostra ist gestorben

Mafia-Boss Toto Riina; Profil

Gestorben mit 87: Mafiaboss Totò Riina.

(Foto: dpa)

Die Italiener nannten Salvatore Totò Riina "die Bestie". Nun ist er tot. Obwohl er seit 1993 in Haft saß, traute sich niemand den Mafiaboss zu beerben. Das könnte sich jetzt ändern.

Von Oliver Meiler, Rom

Sie nannten ihn "belva", Bestie. Und das störte Salvatore "Totò" Riina nicht, eher im Gegenteil. Gestört hat ihn der andere Spitzname, der so gar nicht zu seiner Selbstsicht passte: "U curtu" ist sizilianisch und meint "der Kurze".

Der Boss der Bosse, "Capo dei capi" der Cosa Nostra, die in ihrer Geschichte nie einen brutaleren Chef gehabt hat, war klein gewachsen, rund, gedrungen. Als sie ihn an einem Januarmorgen 1993 endlich festnahmen, wunderten sich die Italiener. Der Mann, der sie so lange terrorisiert hatte, der die mächtigste Mafia im Land mit fester Hand führte und den italienischen Staat mit Bomben herausforderte, sah aus wie ein einfacher Bergbauer. Der Vieh- und Getreidedieb aus Corleone hatte es mit seiner einzigartigen Blutrünstigkeit bis an die Spitze der Cosa Nostra geschafft. Hochgebombt und hochgemordet hatte er sich.

Nun ist Riina gestorben, mit 87 Jahren, in einem Gefängnis in Parma. Zu 26 lebenslänglichen Haftstrafen war er verurteilt worden, wegen Dutzender Morde. Die italienischen Fernsehsender schalteten Sondersendungen, um von seinem Tod zu berichten. In einer Endlosschleife zeigten sie die Tatorte der Morde an den Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, am sizilianischen Regionspräsidenten Piersanti Mattarella, am Präfekten Carlo Alberto dalla Chiesa, an all den Journalisten, Magistraten, Politikern, Unternehmern, den Rivalen und den Kindern der Rivalen.

Manche Taten liegen schon so lange zurück, dass die Aufnahmen schwarz-weiß sind. Doch sie wirken nach - wie allzu lebendige Zeugnisse aus einer dunklen Epoche der italienischen Geschichte, die nie aufgeklärt wurde. Riina nimmt Geheimnisse mit ins Grab.

Es ist nämlich so, dass er in all den Jahren Chef geblieben war, auch als Weggesperrter. Bis zuletzt hielt man ihn nach den Vorgaben des "41 bis" fest. So heißt Italiens härtestes Haftregime, es wurde für die Bosse erdacht. Direkten Kontakt zu seiner Frau und seinen vier Kindern durfte Riina nie haben. Wenn sie ihn besuchten, trennte sie Panzerglas. Einmal hörte die Polizei mit, wie er zu seiner Frau Ninetta Bagarella sagte: "Ich bereue nichts, sie werden mich nicht beugen können, und wenn ich noch 3000 Jahre hier drinnen sitzen muss." Vor drei Jahren sagte er zu einem Mithäftling, mit dem er eine Runde im Hof drehen durfte, er sei noch immer "böse und schreckerregend". Trotz Isolationshaft traute man ihm bis zuletzt zu, dass er mit einer einfachen Geste, einem Augenzwinkern etwa, einen Mord in Auftrag geben konnte.

Niemand wagte es, Riina zu beerben

Die Zeitung La Repubblica berichtete vor einigen Tagen, die Cupola, das Leitungsgremium der Cosa Nostra, habe seit der Verhaftung Riinas nie mehr getagt. Niemand wagte es, Riina zu beerben, solange der noch lebte. Die Organisation war wie auf Standby, in Erwartung der Todesnachricht. Nun aber, so glauben die Experten, wird die Cupola sehr bald einen Nachfolger bestimmen.

Die Wahl dürfte auf Matteo Messina Denaro fallen, den Boss aus Castelvetrano. Er ist 55 Jahre alt, eine rätselhafte Figur, umrankt von Legenden. Es gibt nur zwei alte Fotos von ihm, auf einem sieht man ihn mit schwarzer Sonnenbrille: moderner, urbaner, glamouröser als "U curtu". Riina warf ihm vor, dass er sich nicht einsetze für die Bosse, die nach den Kriterien des "41 bis" einsaßen.

Wie es um die Cosa Nostra heute bestellt ist, ist nicht so klar. Die kalabrische 'Ndrangheta scheint mittlerweile stärker und besser vernetzt zu sein als die sizilianische Mafia. Es ist nicht einmal klar, ob Matteo Messina Denaro überhaupt auf der Insel ist und ob er von allen "Mandamenti", den Clans, als Chef anerkennt wird. Und dann fragt sich, wer denn noch in der Cupola sitzt, nachdem der Staat einen Großteil der alten Führungsriege verhaftet und die militärische Schadkraft der Cosa Nostra gekappt hat.

Mit seiner brutalen Machtstrategie hatte Riina den Bogen überspannt. Er zwang den Staat gewissermassen dazu, zu reagieren. Das mag zynisch klingen, und das ist es auch: Solange das politische Gleichgewicht einigermaßen gewahrt war, tolerierte man in Rom den Parallelstaat ganz im Süden - still und auch ein bisschen komplizenhaft. Nur so erklärt sich, dass die Bosse jahrzehntelang "auf der Flucht" sein konnten, wie es hieß, obschon sie ihre Dörfer und Familien nie verließen. Riina, der mit 19 seinen ersten Mord beging, galt ein Vierteljahrhundert lang als flüchtig. Der Begriff klang immer wie ein Hohn. Nach den Morden an Falcone und Borsellino, 1992, ging es dann plötzlich sehr schnell. Nur Monate danach wurde Riina verhaftet - mitten in Palermo, an einer Kreuzung der Via Bernini, wo seine Familie lebte.

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