Zugunglück in Sachsen-Anhalt:Ermittler fahnden nach Unglücksursache

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Am Nachmittag nach dem schweren Zugunglück in Sachsen-Anhalt rätseln die Ermittler, was zu dem Zusammenstoß der beiden Züge geführt haben könnte. Die Zahl der Todesopfer wurde auf zehn korrigiert.

Nach dem schweren Zugunglück in Sachsen-Anhalt haben die Ermittler intensiv nach der Ursache der Kollision gesucht. Es werde untersucht, ob technisches Versagen an Halteanlagen, den Zügen oder auch menschliches Versagen in Frage kämen, sagte der Einsatzleiter der Bundespolizei, Ralph Krüger, am Sonntag vor Journalisten in Hordorf. Bei dem Unglück wurden zehn Menschen getötet.

Einsatzkräfte stehen in Hordorf bei Oschersleben nach dem Zusammenstoß zweier Züge an der Unfallstelle. Bei dem Zusammenstoß sind zehn Menschen ums Leben gekommen, 18 Reisende wurden schwer verletzt (Foto: dapd)

Die Meldung, wonach die Totenzahl auf elf gestiegen sein soll, wies die Polizei in Magdeburg als Falschmeldung zurück. In den Krankenhäusern sei bis Sonntagnachmittag niemand seinen Unfallverletzungen erlegen. Ein Sprecher der Bundespolizei hatte am Sonntagvormittag zunächst erklärt, dass eine weitere Person in einem Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen sei und sich die Zahl der Toten damit auf elf erhöht habe. Später sprach auch der Präsident der Bundespolizei Pirna von elf Toten. Dies hat die Bundespolizei jedoch wieder revidiert: Es habe bislang zehn Todesopfer gegeben.

Der Zusammenstoß ereignete sich nach Polizeiangaben am Samstagabend gegen 22.30 Uhr auf der Strecke zwischen Magdeburg und Halberstadt. Der Nahverkehrszug HarzElbeExpress raste bei dichtem Nebel mit etwa 40 Fahrgästen an Bord kurz vor der Haltestelle Hordorf ungebremst in einen mit Containern beladenen Güterzug. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der Personenzug von den Gleisen auf einen benachbarten Acker geschleudert.

An der Unglücksstelle lagen auch am Sonntag noch Metalltrümmer und zerstörte Sitze aus den Waggons, die Aufräumarbeiten dauerten an. Die 23 Verletzten wurden in Krankenhäusern der Umgebung behandelt, mehrere von ihnen waren den Angaben zufolge schwer verletzt. Unter den Toten befanden sich auch der Lokführer und eine Zugführerin des Personenzuges. Der Lokführer des mit Kalk beladenen Güterzugs wurde nur leicht verletzt, er war aber zunächst nicht vernehmbar.

Nach Angaben eines Polizeisprechers in Magdeburg wurden mehrere der Toten identifiziert; die Identifizierung gestaltete sich aber schwierig, weil viele der Fahrgäste keine Ausweispapiere bei sich trugen. Für Angehörige und auch für unter Schock stehende Rettungskräfte waren Notfallseelsorger im Einsatz.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) lobte bei einem Besuch vor Ort die professionelle Reaktion von Polizei und Rettungskräften. Über die Unfallursache herrschte am Sonntag noch Unklarheit. "Die Ermittlungen laufen in alle Richtungen", sagte Bundespolizei-Einsatzleiter Krüger. Nach seinen Angaben sollen die Fahrtenschreiber der Triebwagen ausgelesen werden; deren Auswertung dürfte noch zwei bis drei Tage dauern. Böhmer äußerte die Vermutung, dass menschliches Versagen den Unfall herbeiführte: "Es muss wahrscheinlich ein Haltesignal überfahren worden sein, denn dass zwei Züge aufeinanderfahren, geht aus den normalen Fahrplänen nicht hervor", sagte er an der Unfallstelle.

In einem Gottesdienst gedachten am Sonntagnachmittag in Hordorf rund 40 Menschen der Opfer des Zugunglücks. In den kleinen Gemeindesaal kam auch die evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann, die sich entsetzt und betroffen zeigte. "Plötzlich und völlig unerwartet erscheint der Name Hordorf auf der Landkarte der Tagesschau", sagte sie. "Es ist wichtig, dass wir im Entsetzen und Schrecken einander beistehen", sagte sie. Auch den zahlreichen Helfern sprach Junkermann Dank aus.

Der Gemeindepfarrer Friedrich von Biela sprach von einem "schweren Tag" für die Gemeinde, einem Tag, "an dem die Wellen über uns zusammenschlagen". Er selbst war in der Nacht am Unglücksort seelsorgerisch im Einsatz gewesen.

Das Hordorfer Zugunglück ist eines der tödlichsten Bahnunglücke in Deutschland seit Jahren. Im September 2006 war auf der Transrapid-Versuchsstrecke im emsländischen Lathen ein Testzug der Magnetschwebebahn in einen Werkstattwagen gerast; 23 Menschen starben. Drei Jahre zuvor starben sechs Menschen, als im baden-württembergischen Schrozberg zwei Regionalzüge aufeinanderprallten. Die bislang größte Zugkatastrophe im deutschen Bahnverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich im Juni 1998 im niedersächsischen Eschede. Damals entgleiste der ICE München-Hamburg, 101 Menschen wurden getötet.

Deutschlandweit reagierten die Menschen mit Bestürzung auf das Unglück: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus und dankte den Helfern vor Ort "für ihren prompten und unermüdlichen Einsatz". "Ich vertraue darauf, dass alles getan wird, die Ursache für dieses schreckliche Unglück aufzuklären." Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kündigte rasche Aufklärung an. Bahnchef Rüdiger Grube zeigte sich ebenfalls tief betroffen: "Ein solches Unglück erschüttert alle Eisenbahner."

© dpa/rtr/AFP/dapd/mob/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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