Russland:Säulen der Macht

Isaakskathedrale in St. Petersburg

2,4 Millionen Besucher im Jahr: die Isaaks-Kathedrale in Sankt Petersburg.

(Foto: Ulf Mauder/dpa)

Goldene Kuppel, 101 Meter hoch: Die weltberühmte Isaakskathedrale in Sankt Petersburg ist ein Juwel und ein Wahrzeichen Russlands. Nun wird sie vom Staat an die Kirche zurückgegeben - das sorgt für Streit.

Von Frank Nienhuysen

Der Wind wird neuerdings ausgesperrt. Für Russland ist das keine Selbstverständlichkeit, so viel Akribie darauf zu verwenden, dass es behaglich ist, komfortabel, und dass dabei auch noch Energie gespart wird. Wer die mehr als vier Meter hohen, mit Ornamenten verzierten Türen aufdrückt, die Isaakskathedrale betritt oder wieder verlässt, wird nun vor heftiger Zugluft geschützt. Neueste Technik macht's möglich. Und so viel Aufwand hat natürlich seinen Grund.

Die Isaakskathedrale ist eines der Juwelen in Russlands zweitgrößter Stadt Sankt Petersburg. Eines der Wahrzeichen und wichtigsten Sehenswürdigkeiten, ein Sakralbau mit gewaltiger goldener Kuppel, der mit 101 Metern Höhe zu den größten der Welt gehört. Der Alice-im-Wunderland-Autor Lewis Carroll beschrieb 1867 in seinem Reisetagebuch den für ihn "hoffnungslos unverständlichen" Gottesdienst in der Kathedrale, die damals erst neun Jahre alt war und "so wenige Fenster hat, dass es innen beinahe dunkel wäre, wenn nicht so viele mit Kerzen beleuchtete Ikonen dort hingen". 2,4 Millionen Menschen haben im abgelaufenen Jahr das berühmte Bauwerk besucht, nur ein paar Schritte von der Ermitage entfernt, zielstrebig angesteuert von jedem Touristenbus. Gibt es da etwa irgendwas zu streiten? Es gibt. Ende Dezember fing es an.

Kurz vor Neujahr erhielt der Petersburger Gouverneur Georgij Poltawtschenko eine Bitte vom Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Patriarch Kirill, der seinen Sitz in Moskau hat, wünschte sich die Übergabe der Isaakskathedrale vom Staat an die russische Kirche. Und genauso ist es nun auch geplant. Staatliches Eigentum soll das monumentale Gebäude zwar weiterhin bleiben, die Nutzungsrechte gehen jedoch für die nächsten 49 Jahre an die Kirche. Diese wäre dann für den Unterhalt des Unesco-Welterbes zuständig, für die laufenden Ausgaben des Museums, die ständigen Restaurierungsarbeiten. Und das, obwohl die Kirche als verantwortliche Organisation einen Teil der Eintrittsgelder abschaffen müsste und damit die bisher wichtigste Einnahmequelle deutlich sanfter sprudeln würde. Lediglich für eine umfassende Gesamtrestaurierung würde künftig die Stadt noch aufkommen.

Gerade mal anderthalb Jahre ist es her, dass der Gouverneur dieselbe Anfrage der Kirche noch abgelehnt hatte. Der Widerstand ist nun derart vehement, dass der Leiter des Expertenrats der russischen Orthodoxie die Petersburger vorsichtshalber dazu aufrief, wegen der Übergabe jetzt bloß "keine Revolution zu organisieren" - exakt 100 Jahre nach der Februarrevolution und dem Sturz des russischen Zaren.

Das Präsidium des Museumsverbandes warnte in einem geharnischten Schreiben vor "der Zerstörung eines der erfolgreichsten Museen ganz Russlands", das Generationen von Mitarbeitern geprägt hätten. In den Tagen des Großen Vaterländischen Krieges (so heißt der Zweite Weltkrieg in Russland) seien mehr als 120 000 museale Gegenstände gerettet worden: Möbel, Bilder, Kunstwerke aus Bronze, Marmor, Glas, Porzellan aus den Zarenpalästen in Peterhof und Pawlowsk. Erhalten sind im Übrigen auch ein paar Granatsplitter in der Fassade der Isaakskathedrale.

Während der Blockade Leningrads hätten in den Kellern Dutzende Mitarbeiter verschiedener Museen gelebt und "unter schwierigsten Bedingungen" das Kulturerbe für spätere Ausstellungen geschützt. Was heißen soll: Der Kirche traut der Verband so viel musealen Geist und damit die Übernahme der Verantwortung einfach nicht zu. Das Foucaultsche Pendel in der Kuppel: Wird vermutlich entfernt, glaubt Nikolaj Burow, Direktor der Isaakskathedrale nach einem Bericht des Moskowskij Komsomolez. "Was passiert mit den Exponaten, die mit der Kirche nichts zu tun haben?" Und überhaupt: Zu den täglich zwei Gottesdiensten in einem Seitenflügel würden nicht einmal 30 Menschen kommen, weniger als ein Prozent der Gesamtbesucher, schreibt der Museumsverband.

Aber es ist nicht nur der Klammerreflex einer Zunft, die sich um die Zukunft des Kathedralen-Museums sorgt - und womöglich auch um seinen eigenen Einfluss. Auch politisch erheben sich Sankt Petersburger Abgeordnete gleich mehrerer oppositioneller Parteien. Für den 28. Januar rufen sie im Petersburger Zentrum zu einem Protest gegen die Übergabepläne auf. Auch den Weg über die Gerichte kündigten die Kritiker an. Einer von ihnen, Boris Wischnewskij, schreibt in seinem Blog, "die Frage ist noch nicht entschieden, der Kampf fängt erst an."

Hinter dem Kampf könnte insofern auch ein Kulturkampf stecken, als die Kirche ihren Einfluss deutlich ausgeweitet hat, in enger Partnerschaft mit dem russischen Staat. Nicht alle Russen goutieren diese neue Machtsäule. In den Internetforen wird etwa gefragt, warum die Frage, wer sich um die Isaakskathedrale kümmert, nicht von der Bevölkerung entschieden wird. Befürworter der städtischen Entscheidung erinnern dagegen an ein Übergabegesetz von 2010, das der damalige Präsident Dmitrij Medwedjew unterschrieb. Es geht also um viele Kirchen, nicht nur um die Isaakskathedrale. Sie ist nur diejenige, die am hellsten strahlt.

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