Russland:Neue Waffe gegen Alkoholismus

In Russland sind große Teile der Bevölkerung trunksüchtig. Jetzt werden Nüchterne in Listen erfasst, um Arbeit zu finden - und einen Anreiz für Männer zur Abstinenz zu bieten. Wer auf die Liste kommt, entscheiden Frauen.

Daniel Brössler

Alkoholismus - in Russland ist das ein immenses gesellschaftliches Problem. Der Kampf dagegen schien weitgehend aussichtslos zu sein, doch jetzt haben sich einige Prominente zusammengetan, um eine ungewöhnliche Initiative zu starten: Ein "Verzeichnis nüchterner Männer" soll den Weg zu einem Leben mit weniger Alkohol weisen.

Russland: "Sie trinken Tag und Nacht, sodass manchmal einer mit dem Becher in der Hand stirbt." Ein Moskauer betrachtet seine Wodka-Flasche.

"Sie trinken Tag und Nacht, sodass manchmal einer mit dem Becher in der Hand stirbt." Ein Moskauer betrachtet seine Wodka-Flasche.

(Foto: Foto: dpa)

"Wenn jemand kein hoffnungsloser Alkoholiker ist, geben wir ihm durch das Register die Möglichkeit, zu einem normalen Leben zurückzukehren", sagt der frühere bekannte Unternehmer und jetzige Schafzüchter German Sterligow.

So soll es funktionieren: Arbeitsgeber erhalten in den besonders von Alkoholismus geplagten ländlichen Gebieten Russlands die Möglichkeit, im "Verzeichnis nüchterner Männer" nach geeigneten Arbeitskräften zu suchen. Die Liste soll auf diese Weise einen Anreiz für Männer schaffen, dem Alkohol zu entsagen.

Russland zählt zu den Ländern mit dem höchsten Alkoholverbrauch weltweit. Die Schätzungen reichen bis zu einem Jahresverbrauch von 19 Litern reinen Alkohols.

Statistiken sind freilich unzuverlässig, weil immer noch viel Schwarzgebranntes russische Kehlen herunterfließt. Vor allem auf dem Land müssen große Teile der männlichen Bevölkerung als alkoholkrank betrachtet werden - mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen, wie die Initiatoren der Nüchternen-Liste beklagen, zu denen auch der Filmregisseur Kirill Mosgalewskij zählt.

Ihr Plan könne die "Degradierung der dörflichen Bevölkerung" stoppen, behaupten sie.

Wer in die Liste aufgenommen wird, sollen nicht Ärzte entscheiden - sondern Frauen. Sie litten am meisten unter den betrunkenen Männern und müssten einem Alkoholiker "nur in die Augen sehen", um ihn zu erkennen, glauben die Initiatoren.

Zur Erstellung des Nüchternen-Verzeichnisses sollen eigens Frauenräte in allen Regionen Russlands gebildet werden. Aber auch in den anderen Ländern der früheren Sowjetunion sollen sich nüchterne Russen in das Register eintragen lassen können, um so im Mutterland leichter einen Job zu bekommen.

So werde nebenher noch das "demografische Problem" Russlands gelöst, behaupten Sterligow und seine Helfer.

Vorgenommen hat sich die Gruppe eine Menge, denn am Kampf gegen den Alkoholismus sind in Russland schon viele gescheitert. Der übermäßige Alkoholgenuss reicht so weit zurück, dass der arabische Reisende Achmed Ibn Fadlan 921 verwundert feststellte: "Sie trinken Tag und Nacht, sodass manchmal einer mit dem Becher in der Hand stirbt."

Neue Waffe gegen Alkoholismus

Damals ging es noch um Bier und Met, später folgte der Wodka. Die Trunksucht ihrer Untertanen kam den Zaren sogar oft gelegen, denn am Verkauf von Hochprozentigem verdiente auch die Staatskasse.

"Die russische Bürokratie will nicht, dass das Volk nüchtern wird, denn es ist einfacher, den betrunkenen Mob, als ein nüchternes Volk autokratisch zu regieren", klagte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Kaufmann und Abgeordnete Michail Tschelyschtschew.

Gorbi, der Mineralsekretär

Erwartungsgemäß scheiterte seine Forderung einer totalen Prohibition. Viele Jahrzehnte später nahm ein anderer den Kampf wieder auf: Michail Gorbatschow glaubte Mitte der achtziger Jahre, die Sowjetunion auch durch eine Kampagne gegen den Alkohol retten zu können - und wurde dafür als Mineralsekretär verlacht.

Die jetzige Staatsführung beschränkt sich auf die Jagd nach gepantschtem Alkohol und hat zu diesem Zweck Steuermarken eingeführt, die angeblich fälschungssicher sind.

Weil es aber noch keinem russischen Herrscher je gelungen ist, die Quellen des Selbstgebrannten zum Versiegen zu bringen, schwören Sterligow und seine Mitstreiter nun auf ihr von Frauen erstelltes "Verzeichnis der nüchternen Männer".

Ein Problem soll indes ausgespart bleiben, wie Sterligow einräumt: "Von der Frage der Trunksucht unter Frauen halten wir uns vorläufig fern."

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