Rücktritt von Papst Benedikt XVI.:Moment der Freiheit

Am 28. Februar, Punkt 20 Uhr, wird Benedikt XVI. aus dem Amt scheiden. Er fühlt sich zu alt und zu schwach, um die katholische Kirche zu führen. Selbst engste Vertraute im Vatikan waren nicht eingeweiht in die Entscheidung von Joseph Ratzinger. Auf dem Petersplatz sind die Menschen fassungslos - doch viele äußern auch Verständnis.

Von Andrea Bachstein, Rom

Den Satz nuschelt er vor sich hin am Montagvormittag: "Coscentia mea iterum atque iterum coram Deo explorata", sagt Benedikt XVI. auf Lateinisch vor den Kardinälen. "Wiederholt habe ich vor Gott mein Gewissen geprüft." Seine Stimme klingt, als hebe er nun zu den üblichen Segensworten oder zu einer Nebenbemerkung an - und nicht zu einer Nachricht, die im Vatikan und im Rest der Welt für Aufruhr sorgen wird. Die Kardinäle, zu denen er spricht, hatten sich im Konsistoriumssaal eigentlich nur versammelt wegen dreier Heiligsprechungen. Und nun teilt ihnen der Papst diese, seine ungeheure Entscheidung mit: Er werde zurücktreten, als erstes Kirchenoberhaupt seit mehr als 700 Jahren.

In Rot und Gold gekleidet, mit einem weißen Pelzkrägelchen um den Hals sitzt er auf dem rot-goldenen Thronstuhl. Gleichmütig, so zeigen ihn die wenigen von einer Fernsehkamera aufgenommenen Bilder dieses historischen Moments. Und der Papst wirkt kein bisschen unsicher, als er sagt: ". . . erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri . . . zu verzichten".

Im Reinen mit sich und seiner Entscheidung

Joseph Ratzinger wirkt wie einer, der keine Zweifel hat, der im Reinen ist mit sich und seiner Entscheidung. Wenn ein Kardinal dann davon spricht, dass er wie seine Kardinalskollegen "fast vollkommen ungläubig" die Worte des Kirchenoberhauptes gehört habe, dann wird klar, wie unerwartet auch für die Purpurträger dieser Schritt kommt. Der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, spricht von "einem Blitz aus heiterem Himmel", als er nach dem Papst das Wort ergreift.

Allenfalls ein paar Stunden vorher hat Kardinal Sodano erfahren, was Benedikt mitteilen würde, sagt Vatikansprecher Federico Lombardi etwas später. Auch der Jesuitenpater, der den in Scharen herbeigeeilten Journalisten aus aller Welt gegenübersteht, hatte kurz vorher noch keine Ahnung, was dieser Tag bringen würde. Der Papst hingegen, so viel sei klar, habe diesen Gedanken lange reifen lassen, und nein, es gebe keine akute Erkrankung, die Benedikt zu diesem Schritt geführt habe, "keine Depression und auch keine Resignation" sei Anlass dafür.

"Um das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen", hat der Papst Stunden vorher gesagt.

Dass der 85-Jährige immer schmaler, immer zarter wurde, war seit dem vergangenen Sommer unübersehbar. Und über die Möglichkeit, dass ein Papst zurücktreten kann, wenn er physisch oder psychisch eingeschränkt ist, hatte Benedikt schon im Jahr 2010 in Peter Seewalds Interviewbuch "Licht der Welt" gesprochen. Das konnte man schon damals als Absichtserklärung lesen. Daran erinnert auch Pater Lombardi jetzt. Die Entscheidung des Papstes überrasche ihn nicht so sehr: Eher der Moment der Entscheidung komme überraschend.

Eine logische Schlussfolgerung

Offenbar sei es aber kein schlechter Moment, sagt Lombardi, denn der Papst habe angekündigt, wenn es für die Kirche gerade besonders schwierig stehe, werde er nicht gehen. Eine ganz persönliche Entscheidung sei das gewesen, versichert Lombardi, "ein Zeugnis großer geistiger Freiheit". Und noch etwas sagt der Sprecher des Vatikans: Offenbar sei diese Entscheidung auch die Schlussfolgerung, die Benedikt aus der langen Leidenszeit seines Vorgängers Johannes Paul II. gezogen habe.

Bis zum 28. Februar um 20 Uhr, wenn das Pontifikat von Benedikt XVI. nach sieben Jahren endet, versichert Lombardi, werde der Heilige Vater ganz normal sein Programm absolvieren. Ob es so etwas wie eine Abschiedsgeste geben wird, darüber kann er nichts sagen. Das kennzeichnet auch die Stimmung an diesem Montag. Das Sensationelle dieser päpstlichen Entscheidung hat kein Pendant an sichtbaren, greifbaren Reaktionen oder geplanten Gesten und Zeremonien. Niemand ist vorbereitet auf so eine Situation. In den Vatikanischen Büros hält sich niemand auf an diesem Tag; es ist Feiertag im Kirchenstaat zum Gedenken an die Lateranverträge von 1929. Keiner geht ans Telefon.

So unglaublich die Nachricht, so wenig sichtbar und greifbar ist in Rom in den Stunden danach die Reaktion darauf. Auf dem Petersplatz geht es zu wie an einem ganz gewöhnlichen Tag. Höchstens ein paar hundert Leute verteilen sich auf dem riesigen Rund, der Himmel ist grau, das Wetter ist ungemütlich. Es hat geschüttet an diesem Morgen in Rom, und es ist keine Touristensaison. Es hat den Anschein, als wüssten die Römer, wenn sie überhaupt gehört haben von dieser Nachricht, nicht so genau, wie sie darauf reagieren sollen.

Die Menschen strömen nicht in Scharen herbei, der Papst ist ja auch nicht gestorben, und auf einen neuen warten kann man jetzt auch noch nicht. So schnell wie Matthew O'Dioluin jedenfalls scheint sich kaum jemand zum Kommen entschlossen zu haben. Der junge Mann, den seine roten Haare gleich als Iren zu erkennen geben, ist herbeigeeilt, weil er dem Papst seine Unterstützung ausdrücken will "für seine mutige Entscheidung". Der Theologiestudent glaubt, dass sie gut ist für die Kirche und für den Glauben. Wie sich zeigt, haben aber die meisten Besucher hier noch gar nicht gehört, was passiert ist.

So wie die fünf Chilenen, die gerade aus der Basilika kommen. Ratlos schauen sie erst, "ein Zeichen des Himmels vielleicht", sagt schließlich der Älteste in der Gruppe. Völlig verblüfft ist auch ein deutsches Paar, das gerade vom Campo Santo Teutonico kommt. Sie stammen aus München, und der Mann glaubt erst an einen Scherz. Seine Frau erzählt, sie sei gefirmt worden von Kardinal Ratzinger, und nach kurzem Nachdenken sagt sie: "Ich habe für die Entscheidung Respekt und Verständnis."

Wann das Konklave für die Wahl des Nachfolgers stattfinden wird? Auch das weiß der Vatikansprecher an diesem aufregenden Montag noch nicht, aber "an Ostern gibt es einen neuen Papst", so sagt er. Und Joseph Ratzinger, der erst nach Castel Gandolfo und dann in einen kleinen Konvent auf dem Vatikangelände ziehen wird, werde "sicher das Taktgefühl haben, seinem Nachfolger nicht in die Quere zu kommen".

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