Royale Babys früher und heute:Der Stoff, aus dem die Kriege waren

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Der Babybauch zeichnet sich deutlich unter dem Kostüm ab - die Klatschpresse reißt sich heute um solche Bilder. Früher hing die Existenz ganzer Staaten von der Frage zum royalen Nachwuchs ab. (Foto: Getty Images)

Wird Herzogin Catherines Baby ein Junge? Wann kommt das Kind und wie wird es heißen? Was heute die Klatschspalten füllt, bedrohte jahrtausendelang die Existenz ganzer Staaten.

Von Joachim Käppner und Christian Zaschke

Sie wollten zeitig dabei sein: Vor dem St. Mary's Hospital im Londoner Stadtteil Paddington haben bereits mehrere Kamerateams Position bezogen haben. Am 1. Juli stellte die erste Crew ihr Equipment auf. Unmittelbar folgten weitere Teams, weil die Sender befürchten, nicht aus der ersten Reihe berichten zu können, wenn es so weit ist. Die Geburt des Kindes von William und Kate ist auf Mitte Juli terminiert, aber Teile der Medien trauen dem Palast nicht. Schon Williams Mutter Diana hatte bezüglich des möglichen Zeitpunkts der Geburt ihrer Söhne geschummelt, um dem Presserummel zu entgehen. Das gelang ihr selbstverständlich trotzdem nicht.

Das Kind der Herzogin und des Herzogs von Cambridge wird übrigens erst die Nummer drei der britischen Thronfolge sein, nach Prinz Charles und William. Lange war es in Europas Monarchien üblich, dass die Geburt eines möglichen Thronfolgers von einem Vertreter des Staates oder einem hohen Würdenträger beglaubigt werden musste. Dies hatte in alter Zeit kinderlose Monarchenpaare vor der Versuchung bewahren wollen, sich eines fremden Babys zu bemächtigen, dieses als eigenes auszugeben und so den Fortbestand der Dynastie zu sichern.

Wichtiges Zeugnis

Als die jetzige Königin Elisabeth II. am 21. April 1926 geboren wurde, war Innenminister William Joynson-Hicks persönlich anwesend. Er war bereits einen Tag vorher in das Haus in 17 Bruton Street beordert worden, wo die Geburt der Tochter des späteren Georg VI. und der Elisabeth Bowes-Lyon unmittelbar bevorstand. In diesem Jahr wird Innenministerin Theresa May sicherlich nicht in St. Mary's anwesend sein - die Ärzte sollen die Geburt beglaubigen.

Eine berühmte Legende bestätigt, wie wichtig dieses Zeugnis einst war. Demnach, so hieß es, habe die Geburt des bedeutendsten deutschen Kaisers des Hochmittelalters, Friedrichs II. von Hohenstaufen, 1194 auf dem Marktplatz von Jesi stattgefunden, sei also öffentlich gewesen, ein Public Viewing aus Staatsraison. Die Mutter, Kaiserin Konstanze, habe das Kind in einem Zelt zur Welt gebracht, in Anwesenheit von zahlreichen Würdenträgern des Reiches.

In dieser unwahrscheinlichen Erzählung steckt das Problem des legitimen Erben, das sich selbst dem Imperator des Westens, Kaiser Heinrich VI., in dramatischer Weise stellte. Nie waren die Staufer stärker als unter ihm. Im Reich aber gab es ein zweites Kräftefeld, jenes der weltlichen und geistlichen Fürsten, denen von jeher die Wahl des Königs zustand. Und diese wurden bald mit Heinrichs Plänen konfrontiert, eine Erbmonarchie zu begründen.

Beschwörung nicht ohne Grund

Kein Wunder, dass von Beginn an Gerüchte gestreut wurden, Konstanzes kleiner Sohn sei nicht ihr eigenes Kind. Die Mutter war mit 40 Jahren nicht mehr die Jüngste, sie habe, raunten giftig die Intriganten, das Baby einer Metzgerfamilie als ihr eigenes ausgegeben. Die staufische Partei dagegen feierte den Beginn eines neuen Zeitalters. Der Dichter Petrus von Ebulo besang die Geburt des kaiserlichen Knaben:

"Lebe, Du strahlendes Licht, und strahle als ewige Sonne,

der aus der Wiege Du schon hellest den düsteren Tag!

Lebe, Du Jupitersproß, Du Erbe des Römischen Namens,

der Du das Reich und die Welt uns zu erneuern bestimmt (bist).

Lebe, Du Sohn des Glücks, Du glücklicher Sprößling der Eltern!

Lebe, erlauchtestes Kind, Liebling der Götter, der Welt!"

Die Beschwörung geschah nicht ohne Grund: Im Mittelalter war die Kindersterblichkeit sehr hoch. Die politische Zukunft des großen Reichs, das Schicksal von Millionen Menschen hing nun davon ab, ob der kleine Junge Kinderkrankheiten und Reisestrapazen, Ansteckungen und Angriffe der Feinde überleben würde. Er war erst drei, als sein Vater bei den Vorbereitungen zu einem Kreuzzug erkrankte und starb. Das Reich versank bald im Bürgerkrieg, Städte brannten, und genauso wäre es ohne Thronfolger noch lange weitergegangen. Aber als Friedrich erwachsen war, hatte dies ein Ende, da wurde er König und Kaiser, stupor mundi, das Staunen der Welt, ein gelehrter, weit über seine Zeit hinausdenkender Mann.

Was heute Stoff für Klatschreporter ist, ein "Royal Baby", war jahrtausendelang eine Frage, an der die Existenz ganzer Staaten zerbrechen konnte: Wer folgt dem König nach, wer herrscht nach ihm? Wer hat das Recht dazu? Monarchische Ordnungen, wie sie nach dem Ende der griechischen Demokratien und der römischen Republik fast überall vorherrschten, beriefen sich auf Gott und eine himmlische Bestimmung, deren Werkzeug oder gar Teil sie seien. Die Legitimation, die ihnen auf Erden fehlte, zogen sie aus Gottes vermeintlichem Willen.

Doch damit war die Frage noch nicht beantwortet, wem das Recht auf die Nachfolge zustand. Könige und hohe weltliche Herrscher versuchten meist, ein Erbrecht ihrer Dynastie zu erreichen. Im Deutschen Reich gelang dies zur Zeit der Hohenstaufen nicht. Nur mühsam ließ sich später das Prinzip der Primogenitur durchsetzen, der Thronfolge des Erstgeborenen. Töchter waren davon zunächst ausgeschlossen. 1356 wurde die Primogenitur in der Goldenen Bulle für die weltlichen Kurfürstentümer in Deutschland verankert, als der Glanz der kaiserlichen Zentralmacht längst dahin war.

Weltgeschichtliche Folgen

Doch schon im römischen Prinzipat, der Kaiserzeit seit Augustus, war das Problem aufgekommen, dass leibliche Erben oftmals zur Gänze ungeeignet waren, die Regierung zu übernehmen. Die Herrschaft unfassbar brutaler und unfähiger Kretins wie Nero und Caligula gefährdete im ersten Jahrhundert n. Chr. das stolze Imperium. Eine Weile lang herrschten daher dann "Adoptivkaiser": Der jeweilige Herrscher nahm einen fähigen Mann, gern auch einen Verwandten, an Sohnes statt an und baute ihn als Nachfolger auf, Schriftsteller rühmten die Weisheit der Auswahl: "Mit welch inniger Freude kannst du nun erleben, dass der Mann, den du als den besten ausgesucht hast, wirklich der beste ist." Es war in der Tat die letzte große Blütezeit Roms.

Gerade in Großbritannien hatte der Streit um den Thronfolger weltgeschichtliche Folgen. Elisabeth II. war 25 Jahre alt, als sie 1952 nach dem überraschenden Tod ihres Vaters den Thron bestieg, und damit genauso alt wie ihre berühmte Vorgängerin Elizabeth I., als diese 1558 Königin wurde. Und auch im Fall Elisabeths I. sprach zunächst wenig dafür, dass sie den Thron besteigen oder gar ein ganzes Zeitalter prägen würde. Elisabeths Vater, König Heinrich VIII., wollte unbedingt einen Sohn, um seinem Geschlecht, den Tudors, die Nachfolge zu sichern. Dafür ging er über Leichen.

Heinrich war enttäuscht

Jede Schwangerschaft war ein Politikum. Zunächst heiratete Heinrich Katharina von Aragon, die Witwe seines Bruders. Die beiden hatten eine Tochter zusammen, Prinzessin Mary. Da Heinrich mittlerweile in Anne Boleyn verliebt war, verlangte er vom Papst, dieser möge seine Ehe annullieren, damit er mit Anne neu beginnen könne. Begründung: Es sei ohnehin nicht rechtens gewesen, die Witwe seines Bruders zu ehelichen.

Da der Papst sich weigerte, die bereits geschlossene Ehe Heinrichs mit Anne Boleyn anzuerkennen, sagte sich Heinrich - was auch ein weiterer Sinn des Manövers gewesen war - von der römischen Kirche los und erklärte sich zum höchsten Oberhaupt der Kirche von England. Bis heute ist den britischen Monarchen dieser Titel geblieben.

Anne gebar eine Tochter: Elisabeth. Heinrich war enttäuscht. Er hatte zudem ein Auge auf die schöne Jane Seymour geworfen. Heinrich ließ Anne kurzerhand wegen Ehebruchs anklagen und enthaupten. Da mittlerweile auch Katharina gestorben war und es mithin keine Ex-Frauen mehr gab, konnte Heinrich Jane Seymour heiraten.

Diese gebar 1537 den ersehnten männlichen Erben, den späteren Edward VI. Als er den Jungen erstmals in den Armen hielt, soll Heinrich vor Glück geweint haben. Generös teilte er die Freude mit seinen Untertanen. Die Kirchenglocken läuteten, Kanonen feuerten Salut, es gab Freibier in den Straßen, die Menschen riefen: "Wir haben einen Prinzen!" Knapp zwei Wochen später starb Jane Seymour.

Heinrich führte noch drei weitere Ehen, die kinderlos blieben. Von Anna von Kleve ließ er sich scheiden, Catherine Howard ließ er wegen Ehebruchs enthaupten, Catherine Parr überlebte ihn. In England gibt es für Heinrichs sechs Frauen einen bekannten Merkspruch: divorced, beheaded, died - divorced, beheaded, survived. Geschieden, geköpft, gestorben - geschieden, geköpft, überlebt.

Edward bestieg den Thron 1547 als Zehn-jähriger, starb aber schon sechs Jahre später. 1558 begann dann das bis 1603 währende Elisabethanische Zeitalter und damit Englands Aufstieg zur Großmacht unter einer Frau - welch eine historische Volte nach all den Dramen um den ersehnten Königssohn. "Wir Neugeborenen weinen, zu betreten die große Narrenbühne", heißt es in Shakespeares "König Lear".

Erbfolgekrieg in Spanien

Ein verbindliches Völkerrecht gab es auch in der frühen Neuzeit noch nicht, weshalb Erbfolgeregelungen ein beliebter Kriegsgrund waren, wenn eine Partei die Rechtsunsicherheit ausnutzen oder die eigene Position verbessern wollte. Die logische Folge waren die zahlreichen "Erbfolgekriege".

Als 1700 der spanische König Karl II. kinderlos starb, entfachte der Streit um die Nachfolge einen Konflikt, der als "spanischer Erbfolgekrieg" in die Geschichte einging. 1713 sicherte Kaiser Karl VI. durch die "Pragmatische Sanktion" die Unteilbarkeit aller habsburgischen Länder: Sollte einmal kein männlicher Erbe vorhanden sein, komme die Reihe an die Töchter. Auf diese Weise kam Maria Theresia (1717 bis 1780) an die Macht, die ihre vielen Kinder geschickt und zum Wohle Österreichs zu verheiraten wusste.

1781 gebar die französische Königin Marie Antoinette, Gattin Ludwigs XVI., den erwünschten Thronfolger, Louis Joseph. Der König soll so erleichtert gewesen sein, dass er entgegen den strengen Sitten bei Hofe unter Tränen allen Umstehenden in die Arme fiel. Wie viele adelige Kinder jener Epoche erhielt das Baby zunächst eine Amme. Doch der Junge starb an der Folgen einer Rachitis schon 1789 - in dem Jahr, in dem die Revolution losbrach, die Götterdämmerung des monarchischen Zeitalters.

Gleichberechtigung seit 2011

Dass der britische Innenminister bei Elisabeths Geburt 1926 dabei war, bewies übrigens einige Weitsicht. Ihr Vater Georg stand damals nämlich nicht an erster Stelle, er war ein möglicher Thronfolger, aber eben nicht heir apparent, der offensichtliche Thronfolger. Das war Georgs älterer Bruder Edward, der aber 1936 als König abdankte. Dass Elisabeth den Thron je besteigen würde, war also anfangs nicht sonderlich wahrscheinlich. Edwards mögliche Kinder hätten vor ihr gestanden, zudem bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass sie einen Bruder bekam; dieser hätte sie in der Thronfolge überholt, die zunächst über männliche Erben lief.

Erst im Oktober 2011 beschloss die Commonwealth-Konferenz im australischen Perth, in dieser Frage künftig Gleichberechtigung walten zu lassen. Das Kind von William und Kate könnte also auf jeden Fall Thronfolger werden, gleich ob Junge oder Mädchen. Dass nach Elisabeth II. deren direkte Nachfahren den Thron besteigen, ist auf geraume Zeit gesichert. Dass aber die Queen nach holländischem oder belgischem Vorbild aus Altersgründen abdankt und Platz für ihren Sohn Charles macht, ist ausgeschlossen. In der englischen Monarchie ist vorgesehen, dass der Regent bis zum Tode auf dem Thron bleibt.

© SZ vom 06.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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