Bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich gab es diese berühmte und auch berührende Szene, als ein Fan Cristiano Ronaldo nach dem 0:0 der Portugiesen gegen Österreich noch auf dem Platz um ein Selfie bat, und Ronaldo ihn geduldig gewähren ließ. Der Fan hatte vor Aufregung sichtlich Schwierigkeiten mit der Technik seines Smartphones, die Ordner drängten ihn ein bisschen, aber Ronaldo schickte die Ordner weg und wartete, bis der Fan sein Foto hatte. Danach küsste ihn der Fan und taumelte euphorisiert davon. Cristiano Ronaldo, so steht es folgerichtig in einer nun veröffentlichten Pressemitteilung, ist "The Master of Selfies".
Die Mitteilung kommt von der Kinderrechtsorganisation Save the Children, gemeinsam mit Ronaldo hat sie dieser Tage eine App vorgestellt, die 1,99 Euro kostet und es dem Käufer erlaubt, ein Selfie mit Ronaldo zu schießen - und zwar ohne Ronaldos Zutun. Es gibt 68 Ronaldo-Vorlagen (mit Smoking, mit goldenem Schuh, mit nacktem Oberkörper), die nach Lust und Laune und Situation ausgewählt werden können. Dann drückt man ab, und schon sieht es so aus, als hätte man soeben ganz zufällig Cristiano Ronaldo am Nachbargarten in der Blumenstraße in Trudering getroffen.
Ronaldo macht es denen, die nicht in ihn verliebt sind, wirklich leicht, sich über ihn lustig zu machen. Und es sind zwar viele in ihn verliebt, er war viermal Träger des goldenen Schuhs für Europas besten Torjäger und dreimal Weltfußballer des Jahres; mindestens genau so viele aber können ihn nicht ausstehen, denn er ist auch Träger eines Egos, das so groß ist, dass jeder es sehen kann. Wäre das Ego ein Muskel, dann zöge er sich an Ronaldos Körper von der Brust bis hinunter zum Unterschenkel, mindestens, was nicht einfach wäre, denn es ist ja nicht so, dass bei Ronaldo von der Brust bis zum Unterschenkel noch irgendeine muskelfreie Zone übrig ist.
Natürlich weiß, von seinen Freunden abgesehen, kaum jemand, wie der Mensch Cristiano Ronaldo wirklich ist, aber darum geht es hier auch gar nicht. Darum geht es eigentlich nie. Den Menschen wirklich kennenzulernen, das ist eine Illusion, der sich nicht einmal die größten Fans hingeben. Ronaldo ist der Typ, der im Stadion Tore schießt und Spiele gewinnt und affektiert posiert, man kann ihm zujubeln, man kann ihn verfluchen, und man kann Selfies mit ihm machen. Und weil ein Teil des Betrags Save the Children zugutekommt, ist im Grunde gar nichts gegen diese seltsame App zu sagen, zumal auch im App Store das Angebot die Nachfrage befriedigt. Selfies mit Stars sind ein Muss für jeden Promi-Jäger, weshalb es doch nur konsequent ist, dass es so eine App nun gibt, und wer wäre als Vorreiter dafür besser geeignet als Cristiano Ronaldo?
Bleibt abzuwarten, wann die Welt ein Foto zu sehen bekommt, das das Selbstportrait auf eine neue Stufe hebt: Ein Selfie von Cristiano Ronaldo mit Cristiano Ronaldo.