Rohstoffstreit im Nahen Osten:Mit fremdem Stein gebaut

Israel beutet seit Jahrzehnten Rohstoffe in den besetzten Palästinenser-Gebieten aus - für Menschenrechtler ein Bruch internationaler Regeln.

Thorsten Schmitz, Tel Aviv

Die Bevölkerung Israels wächst in schnellem Tempo, Häuser werden gebraucht, im gesamten Land bestimmen Baukräne das Bild. Wohnungen werden vor allem gebaut mit Sand und Kies aus zehn Steinbrüchen im besetzten Westjordanland.

siedlung westjordanland maale adummim afp

Die israelische Bauindustrie hat einen riesigen Bedarf an Sand, Kies und Steinen für die vielen neuen Siedlungen, die überall im Land und in den besetzten Gebieten entstehen, wie hier unweit von Jerusalem

(Foto: Foto: AFP)

Anwälte der israelischen Menschenrechtsgruppe Jesch Din (Es gibt ein Recht) haben am Montag vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem eine Petition gegen den Raubbau in den palästinensischen Gebieten eingereicht.

Sie verlangen, dass die Arbeiten eingestellt werden. Die Steinbrüche liegen im Kern des seit 1967 von Israel besetzten Westjordanlandes zwischen Ramallah und Hebron.

Anwalt Michael Sefarad von Jesch Din erklärte am Montag, er und seine Mitstreiter seien "völlig überrascht, dass bis zum heutigen Tag die Steinbrucharbeiten in einer rechtlichen Grauzone" ausgeführt würden. Es gebe dafür keine rechtliche Grundlage, weshalb die Gruppe sich gute Aussichten ausrechnet, dass die Petition gewürdigt wird.

In ihr wirft Jesch Din dem Staat Israel vor, den Abbau natürlicher Ressourcen in einem besetzten Gebiet zu dulden, obwohl dies gegen internationales Recht verstoße.

Dror Etkes, der für Jesch Din Feldforschung betreibt und an den Recherchen über die Steinbrüche maßgeblich beteiligt war, sagte am Montag der Süddeutschen Zeitung: "Israel transportiert einerseits seinen Abfall auf wilde Müllkippen ins Westjordanland.

Zu Sand zermalmt

Auf der anderen Seite betreibt Israel dort Steinbrüche und versorgt seine Baustellen mit den Ressourcen, die den Palästinensern gehören." Das, so Etkes, "ist klassischer Kolonialismus".

Israelische Baufirmen beuten nach Angaben von Jesch Din zehn Steinbrüche im Westjordanland aus. Dort leben etwa 300.000 jüdische Siedler und zwei Millionen Palästinenser.

In den Steinbrüchen Netivei Beitar nahe der jüdischen Großsiedlung Beitar Illit, in Kochav Haschachar östlich von Ramallah und in Adora westlich von Hebron werden mit Maschinen riesige Steinquadern aus den Bergen und Hügeln geschnitten und anschließend zu Kies und Sand zermalmt.

Die Rohstoffe werden zum Hausbau auch in jüdischen Siedlungen verwendet, nach Recherchen von Jesch Din allerdings zum großen Teil in Israel, also innerhalb der sogenannten Grünen Linie, die den Waffenstillstandsverlauf von 1949 markiert.

Mit fremdem Stein gebaut

Die Handelsvereinigung, die die Besitzer der Steinbrüche vertritt, behauptet, für den Betrieb der Steinbrüche würden Lizenzgebühren gezahlt.

Rohstoffstreit im Nahen Osten: Israelischer Steinbruch auf besetztem Gebiet: Eine Förderanlage nahe der Siedlung Mishor Adumim bei Jerusalem

Israelischer Steinbruch auf besetztem Gebiet: Eine Förderanlage nahe der Siedlung Mishor Adumim bei Jerusalem

(Foto: Foto: AP)

Der überwiegende Teil von Sand und Kies werde in den jüdischen Siedlungen verwendet. Dror Etkes von Jesch Din kommentiert das mit einem Wort: "Lüge".

In den Steinbrüchen arbeiteten überwiegend Palästinenser: "Die machen ihr Land für israelische Häuser kaputt." Anwalt Sefarad sagt: "Das Westjordanland, das die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen, verschwindet durch die Steinbrüche zusehends. Die Fläche wird immer kleiner."

Von den 44 Millionen Tonnen Sand und Kies, die Israels Baustellen jährlich verschlingen, stammten zehn Millionen Tonnen aus dem Westjordanland, berichtet Sefarad, immerhin ein Viertel der Jahresmenge.

Die Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907 verbietet es jedoch einer Besatzungsmacht, Ressourcen aus einem eroberten Gebiet zu nutzen.

Falls dies dennoch geschieht, müssen die Besatzer einen Fonds anlegen, der der Bevölkerung zugutekommt. So verfahren etwa die Vereinigten Staaten im Irak mit den dortigen Ölvorkommen.

Baldiger Baustoffmangel

In ihrem Bericht verweist die Menschenrechtsgruppe darauf, dass der Raubbau im Westjordanland auch Israels eigene - und sehr scharfe - Steinbruchgesetze breche.

Aus Gründen des Umweltschutzes dürfen nicht überall im Land Sand und Kies gewonnen werden, weil dies viel Staub und großen Lärm verursacht. Israelische Medien berichten jedoch immer wieder von wilden Steinbrüchen, die etwa in der südlichen Negevwüste liegen.

Eine israelische Regierungsstudie aus dem vergangenen Jahr warnte vor einem ernsthaften Mangel an Baustoff innerhalb eines Jahrzehnts. In derselben Studie heißt es auch, dass drei Viertel des in Palästinensergebieten gewonnenen Rohstoffs auf Baustellen in Israel verwendet werde.

Das eine Viertel, das den Palästinensern bleibt, können diese dann noch nicht mal so einfach nutzen. Sie müssen es den israelischen Firmen für teures Geld abkaufen.

Der Bericht der Menschenrechtsorganisation Jesch Din hat bereits die israelische Armeeführung aufhorchen lassen, die für die Zivilverwaltung in dem Palästinensergebiet zuständig ist.

Ein Sprecher der Armee erklärte am Montag auf Anfrage, dass nach wie vor Lizenzen für die Steinbrüche erteilt würden, dass die Praxis der Vergabe nun aber geprüft werden solle.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: