Roger Cicero:"Ich hätt' so gern noch Tschüss gesagt"

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Mit deutschsprachigem Swing wurde aus dem Jazzsänger Roger Cicero ein massenkompatibler Entertainer. Nun ist er im Alter von 45 Jahren gestorben.

Von Oliver Hochkeppel

Man dachte sich natürlich nichts dabei, als Roger Cicero am Mittwoch, dem 16. März, etwas verspätet zum Gespräch im Münchner Hotel Bayerischer Hof erschien - er habe seine Uhr verlegt, sagte er. Die Unterhaltung war dann wie immer, Cicero antwortete präzise, offen und ohne Kalkül. Dass er etwas blass und hager aussah, ließ sich erklären: Cicero war gerade erst wieder in den Betrieb eingestiegen, nachdem ihn im November nach einer verschleppten Erkältung ein akutes Erschöpfungssyndrom samt Herzmuskelentzündung aus dem Verkehr gezogen hatte. Vier Wochen hatte er nur im Bett gelegen und Fernsehserien angeschaut. "Alles Mögliche, ich bin ein Serien-Junkie", verriet er in seinem letzten Interview. Und er betonte, dass es ein physischer, kein psychischer Zusammenbruch war. Wer ihn im Mai zuvor auf und hinter der Bühne als Moderator des Jazz-Echos in Hamburg erlebt hatte, mochte das glauben. Locker und tiefenentspannt schwebte Cicero da über den Dingen, gut gelaunt und blendend aussehend, trotz des Trubels und einer drängelnden Assistentin im Schlepptau stets für einen Scherz und ein paar Worte zu haben. So gut ist diese zähe Veranstaltung dann auch noch nie präsentiert worden.

Der klassische Entertainer, der selbstbewusste, aber auch selbstironische moderne Mann, ein neuer Harald Juhnke, der obendrein wirklich singen kann - das war die Rolle, die Roger Cicero für sich gefunden hatte und die er so perfekt ausfüllte wie niemand sonst in Deutschland. Leicht war der Weg dahin indes nicht. Cicero wurde 1970 in Berlin mitten hinein ins Showbiz geboren, als Sohn der Tänzerin Lili Cziczeo und des Jazzpianisten Eugen Cicero. Der aus Rumänien stammende, schon 1997 gestorbene Vater, ein Klavier-Wunderkind und der eleganteste Grenzgänger zwischen Klassik und Jazz seiner Zeit, wurde die große Bezugsfigur: Als Vorbild, gegen das der Sohn zeitweilig mit Gitarrenmusik und Rock-Gesang rebellierte; als Wegbereiter, der ihn ins eigene Trio einbaute und an befreundete Bandleader wie Horst Jankowski oder Peter Herbolzheimer vermittelte; aber auch in seinen Exzessen, in seiner Zerrissenheit und in seinem Machismo. 2007 auf dem Album "Beziehungsweise" verarbeitete Roger Cicero diese Beziehung in dem ergreifenden Song "Ich hätt' so gern noch Tschüss gesagt".

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(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Der Mann mit Mütze oder Hut. Roger Cicero wurde 45 Jahre alt.

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(Foto: Dominic Favre/dpa)

Er war so etwas wie ein deutscher Michael Bublé: ein Jazzer, den Teenies und ältere Damen gleichermaßen liebten.

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(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

2007 wurde Cicero zum Eurovision Song Contest in Helsinki entsandt. Mit "Frauen regier'n die Welt" erreichte er jedoch gerade mal Platz 19.

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(Foto: Johannes Eisele/dpa)

Im selben Jahr bekam er den Echo als bester nationaler Künstler - sein Album "Männersachen" war in Deutschland regelrecht eingeschlagen.

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(Foto: Warner Bros)

Danach folgten sogar Filmrollen: In der Hildegard-Knef-Biografie "Hilde" spielte er an der Seite von Heike Makatsch Knefs Bekannten Ricci Blum.

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(Foto: Bodo Marks/dpa)

In der deutschen Synchronisation von Disneys Märchenfilm "Küss den Frosch" sprach Cicero (r., bei der Premiere in Hamburg) den Prinzen Naveen.

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(Foto: Tobias Hase/dpa)

Und im Fernsehen coverte er sich mit Andreas Gabalier (l.), Xavier Naidoo (M.) und anderen durch das Format "Sing meinen Song - das Tauschkonzert".

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Nach dem großen Erfolg besann er sich auf seine Jazz-Wurzeln. Seine Tour "Roger Cicero sings Frank Sinatra" hätte nächste Woche beginnen sollen.

Sein musikalischer Ehrgeiz war jedenfalls früh geweckt. Mit 18 wurde Cicero am Hohner-Konservatorium Trossingen aufgenommen, drei Jahre später ging er zum Jazzgesangsstudium nach Hilversum. Es folgte das harte Brot des Jazz-Musikers. Cicero gab den Gastsänger bei den Jazzpop-Combos Jazzkantine und Soulounge, tingelte mit seinem Quartett durch die Clubs und ließ sich auf ambitionierte Projekte wie die Dickinson-Vertonungen der Pianistin Julia Hülsmann ein. Bis er mit den Produzenten und Textern Matthias Hass und Frank Ramond auf einen neuen Dreh kam: klassischer Bigband-Swing, aber mit lässig-ironischen deutschen Texten.

"Männersachen" hieß das im Mai 2006 veröffentlichte Ergebnis, und wer bei den ersten, noch in kleinen Pop-Clubs wie dem Münchner Ampere lancierten Auftritten dabei war, der spürte sofort das Potenzial. Mit seinem Charisma und seiner Stimmgewalt nahm Cicero das Publikum im Sturm. Eine deutsche Ausgabe von Michael Bublé trat da ins Rampenlicht und zog bald die Massen an: Die Single "Zieh die Schuh aus" lief in Dauerschleife im Radio, das Album verkaufte sich bis heute über eine Million Mal. Sogar zum Eurovision Song Contest wurde Cicero im Jahr darauf entsandt, wenn auch mit dem falschen Song. Mit den nachfolgenden Alben blieb Cicero trotzdem in der Erfolgsspur. Filmrollen, Fernsehauftritte (bemerkenswert vor allem der in "Sing meinen Song - das Tauschkonzert"), der Fansong zur Fußball-EM, "Hutträger des Jahres" - es folgte das ganze Programm. Ein Jazzer, zu dem kreischende Teenies wie beglückte ältere Damen stürmten - wahrscheinlich hat niemand in Deutschland mehr für die Verbreitung jazz-affiner Musik bewirkt als Roger Cicero.

Mit dem sehr persönlichen Album "Was immer auch kommt", in dem er private Probleme aufarbeitete, war die deutsche Pop-Jazz-Geschichte für ihn auserzählt. Es zog Cicero zurück zu seinen Wurzeln. Mit dem "Jazzexperience"-Projekt in kleiner Besetzung und der Hommage an den größten aller Crooner-Kollegen, Frank Sinatra. Auf den war Cicero erst spät gestoßen, jetzt ehrte er ihn selbstbewusst, nicht nachahmend, sondern in seinem Stil interpretierend: "Roger Cicero sings Frank Sinatra". Damit sollte es von nächster Woche an wieder auf große Tour gehen, dafür war er an jenem Mittwoch auf Promo-Achse in München. Es war wohl zu früh. Nach dem Rückflug nach Hamburg musste er schon tags darauf mit einem Schlaganfall in die Klinik. Er erholte sich nicht mehr und starb eine Woche später, am Donnerstag vor Ostern. Er wurde nur 45 Jahre alt, hinterlässt fassungslose Angehörige, Freunde, und Fans, einen siebenjährigen Sohn und eine nicht zu schließende Lücke in der deutschen Jazzwelt.

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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