Robin Hood:Neuigkeiten aus Nottingham

Der Sheriff der berühmten Stadt ist heute eine ziemlich fröhliche Frau, und Robin Hood, der Rebell aus Sherwood Forest, wird bald als Mörder zu sehen sein.

Wolfgang Koydl

Wie bitte? Man muss sich wohl verhört haben. Robin Hood bestellt schöne Grüße an den Sheriff von Nottingham? Aber der schlanke Mann im grünen Wams, der sich so leger auf den mannshohen Bogen stützt wie ein Schäfer auf seinen Stab, scheint nicht zu spotten.

Robin Hood: "Ich darf niemanden in den Kerker oder aufs Schafott bringen": Jeannie Packer - hier vor dem Denkmal Robin Hoods - ist der "Sheriff von Nottingham".

"Ich darf niemanden in den Kerker oder aufs Schafott bringen": Jeannie Packer - hier vor dem Denkmal Robin Hoods - ist der "Sheriff von Nottingham".

(Foto: Foto: Wolfgang Koydl)

,,Der Sheriff ist nett'', wiederholt er und zwirbelt den brustlangen, kohlrabenschwarzen Bart um den Zeigefinger, ,,ehrlich: echt nett.'' Doch als wenig später und nur ein paar hundert Meter entfernt der Dienst-Bentley des Sheriffs über den Kies des Innenhofes der Burg von Nottingham knirscht und der Amtsinhaber - angetan mit knöchellangem Talar und silberner Amtskette - dem Fond entsteigt, glaubt man zu erkennen, weshalb der vogelfreie Bogenschütze sich so freundlich geäußert hat. Denn dieser Sheriff passt nicht zu den literarischen Schilderungen des blutsaugenden Steuereintreibers, der als ,,bullig, fett und mit einem brutalen Zug um die herabgezogenen Mundwinkel'' beschrieben wurde.

Noch nicht mal ein prallgefüllter Geldbeutel baumelt am Gürtel. Nein, dieser Sheriff ist eher zierlich, mit einem kurzgeschnittenen Pagenkopf unter dem federgeschmückten Zweispitz und zwei lustigen, haselnussbraunen Augen. Vor allem aber ist dieser Sheriff eine Frau.

Im Hauptberuf sitzt Jeannie Packer für die Labour Party im Stadtrat der mittelenglischen Kleinstadt Nottingham, und als Stadträtin wurde sie für zwölf Monate zum Sheriff gewählt. Es ist im wesentlichen ein Ehrenamt, nicht viel anders als das des Bürgermeisters, der im britischen System auch nicht viel zu sagen hat. ,,Echte Vollmachten habe ich keine'', gesteht Jeannie Packer freimütig ein, ,,ich darf niemanden in den Kerker oder aufs Schafott bringen, ich darf noch nicht einmal bei den Armen die Steuern eintreiben.''

Das Säckel der Krone füllt in Nottingham so wie im Rest des Vereinigten Königreiches längst der Schatzkanzler in London mittels seiner Gehilfen bei Her Majesty's Customs and Revenue. Allerdings hat die Finanzbehörde in einem Anfall schrägen Humors beschlossen, ihre nationale Zentrale ausgerechnet nach Nottingham zu verlegen. Die futuristischen Klinker- und Glasbauten von Großbritanniens zentralem Finanzamt liegen somit im Schatten jener Burgmauern, hinter denen einst der berüchtigte Sheriff jene Heller und Pfennige in die Schatztruhen von Prinz John abzählte, die er Bauern und Tagelöhnern abgepresst hatte.

Die Stadt des Schleims

Heute jedoch ist der Sheriff für die Bürger da, und Jeannie Packer hat einen vollen Terminkalender: Sie besucht Schulklassen und eröffnet Restaurants, sie gibt Interviews, sitzt auf Konferenzen und empfängt ausländische Würdenträger: ,,Tee und Biskuits mit dem Sheriff, das lieben sie alle, absolut.''

Neuigkeiten aus Nottingham

Jeannie Packer ist mit anderen Worten die oberste Tourismusfrau der Stadt: ,,Noch 15 andere englische Städte haben einen Sheriff'', sagt sie, ,,aber ich bin der einzige, der eine echte Aufgabe hat.'' In ihrer Funktion arbeitet sie eng mit ihrer literarischen Nemesis Robin Hood zusammen, ja sie ist auf ihn angewiesen. ,,Ohne den edlen Robin gäbe es keinen schurkischen Sheriff'', räumt sie ein. ,,Wir brauchen einander. Er ist es schließlich, wegen dem überhaupt Touristen aus der ganzen Welt zu uns kommen.'' Ohne Robin wäre Nottingham eine eher durchschnittliche britische Provinzstadt.

Gegründet wurde sie am Ufer des Flusses Trent vermutlich um das Jahr 600 unserer Zeitrechnung von einem angelsächsischen Stamm. Dessen Führer hörte auf den in modernen Ohren eher unappetitlichen Namen Snot, womit im Englischen jene schleimige Substanz bezeichnet wird, die von den Nasenschleimhäuten abgesondert wird. Nottingham konnte denn von Glück sagen, dass es schon relativ bald das Anfangs-S im ursprünglichen Namen Snotingaham ablegte.

Im Bürgerkrieg zwischen dem republikanischen Parlament unter Oliver Cromwell und der Krone errang die strategisch gelegene Stadt Bedeutung, weil hier König Karl I. seine Standarte aufpflanzte, was allgemein als Startsignal für die Kampfhandlungen gewertet wurde.

Wohlhabend wurde die Stadt nicht zuletzt durch die Produktion von Spitzen, die es mit jenen von Brüssel oder Brügge aufnehmen konnten. Später eroberten von Nottingham aus Fahrräder der legendären Marke Raleigh die Welt, und hier wurde Jess Boots geboren, der die gleichnamige, größte und in Britanniens Einkaufszentren allgegenwärtige Apotheken- und Drogeriekette gründete. Ebenfalls zu den großen Söhnen der Stadt zählt William Booth, der die Idee zur Heilsarmee hatte.

Der mit Abstand berühmteste Sohn ist freilich der von Legenden umrankte Robin of Loxley, bei dem es sich angeblich um einen angelsächsischen Landedelmann handelte, der von den damals erst frisch installierten normannischen Besatzern enteignet worden war und daraufhin mit einer Bande anderer Vogelfreier in den undurchdringlichen Wäldern des Sherwood Forest untertauchte.

Von hier aus führte er einen Guerillakrieg gegen die seinerzeit noch als Fremdherrscher empfundenen Normannen, die 1066 das Land erobert hatten. Besonders verhasst bei der Bevölkerung war das von den neuen Herren verfügte Waldgesetz, das riesige Wäldereien dem Monarchen als Jagdgebiet zugestand und jeden Übergriff drakonisch ahndete: Wer ein Reh auch nur erschreckte, wurde von den Schergen des Sheriffs mit glühenden Eisen geblendet.

Historische Quellen für einen leibhaftigen Robin Hood tröpfeln freilich nur spärlich. Aber wenn es ihn gab, so soll er zwischen 1191 und 1234 gelebt haben. Angesichts der kargen Überlieferungen spekulieren Historiker, dass es sich unter Umständen um mehrere Personen gehandelt haben könnte, die vom Volksmythos in die Form eines Helden gegossen wurden.

Neuigkeiten aus Nottingham

Dass er ein Held war, dessen Anziehungskraft die Jahrhunderte überspannte, beweisen nicht nur ungezählte Romane und Erzählungen, sondern die mehr als 50 Filme und Fernsehserien über den grünen Mann aus dem Wald. Von Douglas Fairbanks über Sean Connery und John Cleese bis zu Kevin Costner reicht die Reihe jener Schauspieler, die ihn spielten.

Nottinghams derzeit bekanntester Robin freilich spielt seine Rolle nicht im Film, sondern vor der Tür der Multimedia-Show ,,The Tales of Robin Hood''. Mit bürgerlichem Namen heißt er Tony Rotherham, und er gibt seit 16 Jahren für die Privatwirtschaft den Gesetzlosen mit dem sozialen Zug.

Diesen Robin würde Sheriff Jeannie am liebsten abwerben und für die Stadt arbeiten lassen: ,,Ich will einen amtlichen Robin Hood'', sagt sie, ,,schließlich ist er ein wesentlicher Bestandteil des ganzen Puzzles.'' Schelmisch fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu: ,,Und unser Tony ist als Robin doch wirklich süß.''

Tony hätte sicher weder etwas gegen das Kompliment noch gegen eine Beschäftigung durch die Kommune. Das Dumme ist nur, dass die Stadt schon einmal vor ein paar Jahren einen Amts-Robin unter Vertrag genommen hatte. Es meldete sich nur ein einziger Bewerber, und nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass er ein vorbestrafter Drogendealer war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das Vorleben dieses neuen Botschafters von Nottingham auszuforschen.

In gewisser Weise freilich repräsentierte jener gesetzesbrüchige Robin die in der Mitte von England gelegene Stadt wahrscheinlich besser als jeder andere Kandidat. Denn Nottingham trägt den Ruf einer inoffiziellen Hauptstadt des Verbrechens in Großbritannien: Ob bei Morden, Einbrüchen oder Autodiebstählen - die nur 280000 Einwohner zählende Gemeinde steht in allen Fällen an der Spitze der Statistiken.

Es ist, so geht der ortsübliche Spott, weniger die Stadt Robin Hoods als die der sogenannten Hoodies. So nennt man die meist jugendlichen Straftäter wegen der von ihnen bevorzugten Sweatshirts mit Kapuzen (englisch hoods).

Dealer und Messerstecher

Mit Robin Hoods Widerstandsgeist gegen die Obrigkeit haben diese Dealer und Messerstecher nichts zu tun, und Sheriff Jeannie will auch gar nicht über sie sprechen. Das kann man ihr nicht verübeln, denn ihre Aufgabe ist es schließlich, den guten Ruf der Stadt zu mehren, nicht zu beschmutzen.

Dafür nimmt sie es sogar in Kauf, wenn Robins Reputation befleckt wird. Unlängst hat sie mit Russell Crowe gesprochen - auch eine jener Kleinigkeiten, die das Dasein eines Sheriffs von Nottingham versüßen. Crowe dreht einen Film über den Rebellen aus Sherwood Forest, und vor allem der geplante Titel gefällt Jeannie hervorragend: Er soll ,,Nottingham'' heißen, weil jeder weiß, dass dies die Stadt Robin Hoods ist. Erstmals aber werden die Rollen vertauscht: Der Sheriff ist der Gute, der eine Reihe von Morden aufdeckt, die der böse Robin begangen hat.

,,Aber ich kann damit leben'', meint Jeannie frohgemut. ,,Wie sagen die Amerikaner so richtig: Auch üble Nachrede ist nicht schlecht. Schlecht ist es nur, wenn niemand über dich redet. Und ein netter Film-Sheriff passt auch besser zu mir, finden Sie nicht?''

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