Risiken der Rohstoffförderung:Extreme Projekte, extreme Gefahr

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Die Bohrlöcher werden tiefer, die Plattformen rücken bis ins Eismeer vor: Bei der Jagd nach Rohstoffen gehen Energiekonzerne immer größere Risiken ein. Beherrschbar sind diese kaum, das zeigt das Gasleck an einer Bohrinsel vor Schottland. Die weit größere Gefahr lauert aber anderswo.

Christian Zaschke und Gunnar Herrmann

Die britische Regierung gibt sich betont unaufgeregt bezüglich des Gaslecks an der Bohrplattform Elgin in der Nordsee rund 240 Kilometer östlich von Aberdeen. Es oblag dem Energiestaatssekretär Charles Hendry mitzuteilen, die Regierung sei "sehr zufrieden" damit, dass die französische Betreiberfirma Total sich an den vereinbarten Notfallplan halte.

Nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon bekämpfen Arbeiter den Ölteppich im Golf von Mexiko. (Archivbild) (Foto: dpa)

Auch dass auf der evakuierten Plattform noch eine Flamme brennt, fand Hendry nicht beunruhigend: Total habe ihn wissen lassen, dass die Flamme sich hoch genug über dem austretenden Gas befinde.

Weit weniger gelassen betrachten Experten und Gewerkschafter die Angelegenheit. Jake Molloy, Sprecher der Gewerkschaft für Offshore-Arbeiter, sagte, es bestehe die Möglichkeit einer "katastrophalen Zerstörung". Ebenso sieht es Molloys Kollege Wullie Wallace von der Gewerkschaft Unite. Er rief dazu auf, dass sämtliche umliegenden Plattformen ebenfalls evakuiert werden. "Wir befürchten eine Katastrophe, wenn das umherströmende Gas auf andere Plattformen trifft." Der Konzern Shell hat bereits 120 Männer von der nahegelegenen Plattform Shearwater abgezogen, was allerdings bedeutet, dass sich immer noch Personal dort befindet.

Situation "außer Kontrolle"

Der Sicherheits- und Umweltbeauftragte von Total, David Hainsworth, hatte erst am Dienstagabend auf direkte Nachfrage des Fernsehsenders Channel 4 zugegeben, dass noch eine Flamme auf der Plattform Elgin brennt. Man hoffe, dass die Flamme von allein erlösche, sagte Hainsworth. Das könne "eine Stunde, 24 Stunden oder zwei Tage" dauern.

In Norwegen, in der Osloer Zentrale der Umweltschutzorganisation Bellona, hat man inzwischen ein Krisenteam einberufen. Sechs Experten beschäftigen sich mit dem Fall, die Stimmung ist angespannt. Die Situation auf der Plattform sei "außer Kontrolle und wird das noch für lange Zeit bleiben", erklärte Frederic Hauge, Chef der Organisation.

Die Umweltschützer verfolgen die Entwicklung der Öl- und Gasförderung in der Nordsee und entlang der norwegischen Küste bereits seit Jahren mit Skepsis. Mehrmals hat Bellona in den vergangenen Jahren gewarnt, die Branche gehe bei ihrer Jagd nach den knapper werdenden Rohstoffen immer größere Risiken ein.

Risiko für Unfälle steigt

Die Bohrlöcher werden tiefer, die Plattformen rücken immer weiter nach Norden vor, bis ins Eismeer am Rande der Arktis. Die Ausbeutung des Elgin und Franklin Reservoirs sei in der Branche als ein "besonders extremes Projekt" bekannt, sagt Karl Kristensen, Bellonas Experte für Verschmutzung durch Öl und Gas. Es gab dort schon öfter Probleme, 2005 etwa ist Bellona zufolge ein kleineres Gasleck aufgetreten, das allerdings nicht zu einem Unglück führte.

Bis zu sechs Kilometer unter den Meeresboden reichen die Bohrungen in diesem Feld, das Reservoir steht unter enormem Druck. Zwar gibt es auch auf dem norwegischen Sockel Projekte, in denen Rohstoffe aus großer Tiefe und unter schwierigsten Bedingungen gefördert werden. Als Beispiel nennt Kristensen das Snøhvit-Feld vor Hammerfest. Allerdings werde dort mit einer völlig anderen Technik gearbeitet, sagt er. "Es ist jetzt noch zu früh, Parallelen zwischen den Vorkommnissen im Elgin-Feld und anderen Projekten in der Region zu ziehen. Dazu wissen wir einfach zu wenig darüber, was dort genau passiert ist."

Generell sei aber klar: Je mehr Projekte es gibt, bei denen in großen Tiefen gebohrt wird, desto größer sei auch das Risiko für Unfälle. "Zumindest solange die Technik nicht mit dieser Entwicklung Schritt halten kann", sagt er.

Nach der Katastrophe auf der Deepwater Horizon im Jahr 2010 ist auch in Norwegen die Kritik an der Öl- und Gasindustrie lauter geworden. Besonders umstritten sind die Projekte in der Barentssee, nahe der russischen Grenze, und rund um die Lofoten. Norwegen ist im hohen Norden nur dünn besiedelt, die Möglichkeiten zu Rettungsaktionen sind somit begrenzt. Sollte es dort in den arktischen Gewässern zu einem Unfall kommen, so die Befürchtung der Kritiker, könne man nur wenig tun, um eine Umweltkatastrophe zu verhindern.

© SZ vom 29.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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