Rimini:Die Lust aufs Mehr

Der Strand, an dem die Welt einst baden ging: Der Teutonengrill ist zum Freizeitpark mit Whirlpools, Internet-Cafés und Freilichtkinos geworden - und das Meer rückt in den Hintergrund.

Von Christiane Kohl

Alessandro Gastone hat heute einen guten Tag. Der Himmel ist blau, und seine bunten Sonnenschirme blitzen, darunter aalen sich braun gebrannte Körper. Der Bademeister lehnt sich zufrieden gegen die weiß getünchte Bretterwand seines Aufseherhäuschens. An diesem Morgen hat er besonders viele Badehandtücher ausgegeben, sein kleiner Strandabschnitt ist gut gefüllt. "So könnte es immer sein", sagt Alessandro, und man kann ahnen, dass es auch schon schlechtere Tage hier am Strand von Rimini gegeben hat: "Bis Mitte Juli hatten wir dieses Jahr wechselhaftes Wetter, mal Sonne, aber auch viel Regen", erzählt Alessandro.

Rimini: "Teutonengrill" wie man ihn kennt: Der Strand bei Rimini, fünf mal 2,60 Meter pro Familie. Doch dass Rimini nur Strandleben bedeutet soll nun Vergangeheit sein.

"Teutonengrill" wie man ihn kennt: Der Strand bei Rimini, fünf mal 2,60 Meter pro Familie. Doch dass Rimini nur Strandleben bedeutet soll nun Vergangeheit sein.

(Foto: Foto: dpa)

Schlechtes Wetter mag andernorts ungemütlich sein, in Rimini ist es eine Katastrophe. Denn hier leben die Menschen am Strand, rund um die Uhr. Morgens lassen sie sich auf den vielen hunderttausend Sonnenliegen rösten, die Alessandro und seine Bademeisterkollegen herausgestellt haben. Mittags sitzen sie bei Pasta oder Panino unterm Sonnenschirm, und abends geht es natürlich in die Strand-Disko. Da gehört schönes Wetter einfach unabdinglich zum Lebensgefühl.

Riesige Freizeitmaschinerie

Freilich sind Sonne, Sand und Meerwasser schon lange nicht mehr genug in Rimini. Um dessen 15 Kilometer langen Sandstrand rankt sich nicht nur der Mythos, das vielleicht meist besungene Stück Meeresufer der Welt zu sein. Die Sandflächen sind längst auch von einer riesigen Freizeitmaschinerie okkupiert - mancherorts kann man kaum mehr ein Sandkorn sehen unter der Vielzahl von Fitnessgeräten und Computer-Sitzplätzen, von Sofas, Sesseln und Massagebänken, die sich auf über den Sand gelegten Teppichen und Bretterböden ausgebreitet haben.

Der Strand von Rimini ist ein Wohnzimmer im Freien und zugleich viel mehr als das. Die Sandfläche ist Schaubühne und Kontakthof für junge Leute aus aller Welt, wo man nachts heiße Rhythmen hört und am Tag äußerst knappe Bikinis trägt. Aber der Strand ist auch ein Hort alter italienischer Traditionen, wo die klassische Familie sich noch um die Mamma schart und der Vater geistesabwesend die Fußballzeitung durchblättert, während die Kleinen an allen Ecken schreien.

Einige italienische Familien haben bei Alessandro ganze Reihen von Sonnenschirmen abonniert, für die komplette Saison. Doch es räkeln sich hier auch viele neureiche Russen neben deutschen Rentnern auf den Liegen; abends krakeelen schottische Saufkumpane über die Strandpromenade, während holländische Muttis kopfschüttelnd auf den Strandbänken sitzen. "Rimini ist ein Kuddelmuddel", hat der große Regisseur Federico Fellini mal über seine Heimatstadt geschrieben: "Konfus, beängstigend und zart - mit diesem großen Atem, der zum Meer offenen Leere." Eben dem Strand.

Fellini hatte recht früh, mit 18, seine Geburtsstadt verlassen. Später setzte er ihr mit dem Film "Amarcord" ein liebevolles Denkmal, wofür sich die Stadt Rimini nach seinem Tod bedankte, indem sie einen Kreisverkehr an der Strandpromenade nach dem weltberühmten Regisseur benannte. An dem "Parco Federico Fellini" genannten Rondell liegt das Grandhotel, Fellinis bevorzugte Absteige in Rimini.

Weiß strahlt die gewaltige Hauptfassade des im Zuckerbäckerstil errichteten Gebäudes, das vor Jahren zum nationalen Kulturdenkmal erklärt wurde, doch an den Seitenwänden blättert der Putz. Drinnen strahlen Kronleuchter, beflissene Kellner eilen wie in alten Zeiten durch die mit edlen Teppichen ausgelegten Räume, während auf der Terrasse ein Klavierkünstler am Flügel sitzt. Ausgebucht aber scheint das Haus nicht zu sein. Das Grandhotel stammt noch aus jener Gründerzeit, als gerade die ersten Badeanstalten errichtet waren und es die mondäne Welt nach Rimini zog.

Von den alten Römern war die Stadt 268 vor Christi Geburt einst als Arinium gegründet worden. Viele Jahrhunderte später soll sich Napoleons Bruder Lucien Bonaparte hier beim Bad in den Fluten erfrischt haben. Am 30. Juli 1843 wurde die erste fest installierte Badeanstalt am Strand von Rimini eröffnet, feierlich gesegnet durch den örtlichen Bischof. Sechs Umkleidekabinen gehörten dazu, die Strandfläche war strikt aufgeteilt, denn Damen und Herren hatten getrennt zu baden.

Die Lust aufs Mehr

Ein Strand und seine 164 Bademeister

Auf alten Bildern sieht man noch so genannte "Bademaschinen", von Pferden gezogene Bretterkabinen auf Rädern, die direkt ans Wasser gefahren wurden, damit die Damen in die Wellen gleiten konnten, ohne sich durch kompromittierende Blicke gestört zu fühlen. Heute ist der Strand von Rimini Zentimeter für Zentimeter unter 164 Bademeistern aufgeteilt, Leuten wie Alessandro Gastone. Nur wenige haben allerdings soviel Erfahrung und Passion in ihrem Gewerbe wie der 37-Jährige. Seit 1956 besteht das Geschäft, Alessandros Vater hatte es gegründet.

Ursprünglich war die Arbeit vergleichbar mit der eines Rettungsschwimmers. Heute aber ist Alessandro viel mehr als das. Der Bademeister ist gleichzeitig Animateur, Babysitter, Barkeeper und Schließwächter. Vor lauter Sonnenschirmen kann er von seinem Aufsichtshäuschen gar nicht mehr bis zum Meerufer sehen, weshalb sich Alessandro einer kleinen Schar von Mitarbeitern bedient, welche die Gäste zu den Liegen und Schirmen begleiten. Elf Euro kostet es, einen Schirm samt Sonnenliege für einen Tag zu mieten, 14 Euro, wenn zwei Liegen gewünscht werden.

Schirme und Liegen stehen wie mit dem Lineal gezogen in Reih und Glied: Fünf Meter mal 2,60 Meter klein ist das Areal, das Alessandro jeder Familie zubilligt. Und das ist noch großzügig. Die Minimalfläche, die ein Sonnenschirm plus Sitz- oder Liegegruppe belegen sollte, liegt bei 2,30 mal 4,20 Meter - so hat es die Hafenbehörde von Rimini festgelegt. Eine einzelne Liege gibt es für fünf Euro bei Alessandro, mit dem Privileg, dass man sie nah am Ufer platzieren kann, ohne in das militärisch anmutende Karree der Sonnenschirme gezwängt zu werden.

Die Teutonen bleiben aus

Eine russische Familie hat sich heute ganz vorn auf den rot-orange gestreiften Liegen niedergelassen. Die Damen sind blond, noch etwas blass und um die Hüften wohlgerundet. Der Mann kommt nur kurz vorbei und zieht sich bald mit einer Aktentasche zurück. Seit etwa zehn Jahren reisen vermehrt Russen nach Rimini. Deutsche Urlauber sichtet Alessandro hingegen immer seltener auf seinem Strandabschnitt. "Holländer, ja, die kommen neuerdings wieder", erzählt der Bademeister, "früher hatten wir auch viele Finnen - und natürlich die Deutschen." Seit etwa fünf Jahren aber blieben die deutschsprachigen Urlauber mehr und mehr aus, meint Alessandro.

Der legendäre Teutonengrill - in Rimini ist das Vergangenheit. Einzig im letzten Jahr hatte es noch einmal eine kurze deutsche Urlauber-Renaissance gegeben. Da landete die Bild-Zeitung gleichsam über Nacht mit einem Flugzeug voller blonder deutscher Mädchen in Rimini. Eine Ehrensache für Bild, ging es doch darum, den diplomatischen Patzer eines italienischen Staatssekretärs zu einer formidablen PR-Kampagne umzuwidmen. Der italienische Tourismus-Staatssekretär Stefano Stefani hatte von rülpsenden, dickbäuchigen deutschen Urlaubern gesprochen - Bild bewies das Gegenteil. Mittlerweile gibt es sogar ein Computerspiel mit dem Titel "Rimini Rüpel". Darin muss der Spieler - ein deutscher Urlauber - alle anderen Sonnenanbeter vom Strand vertreiben. Gewonnen hat, wem dies gelingt.

Forum der Völker

Die Realität in Rimini ist gänzlich anders. Friedlich räkeln sich hier Vertreter der unterschiedlichsten Nationen täglich gemeinsam in der Sonne, Liege an Liege, Leib an Leib. Manche Liegestühle sind mit speziellen Filtern ausgerüstet, die vor UV-Strahlen schützen, andere verfügen über besondere, die Bräunung fördernde Reflexionsplatten. Es gibt Bibliotheken mit eigenen Leseecken am Strand, Internet-Cafés und ein halbes Dutzend Freilichtkinos. Wellness-Oasen mit Whirlpool und Aromatherapie laden die Urlauber zum Entspannen ein, überdies locken eine Hand voll Freizeitparks rund um den Strand. "Man muss etwas bieten heutzutage", sagt Alessandro: "Die Gäste wollen animiert sein und genug Angebote bekommen, die Ablenkung bringen, sonst gehen sie zur Konkurrenz."

Und so ist der Badespaß eigentlich völlig in den Hintergrund gerückt: War da noch irgendwo ein Meer hinter dem Strand? Tatsächlich, weit draußen schimmert es graublau. Hinter den rhythmischen Bewegungen einer Gymnastikgruppe aus älteren Damen, die Arme und Beine soeben im Takt einer neuzeitlichen Bumbum-Musik schwenken, schwappt das Wasser in seichten, kaum konturierten Wellen dem Land entgegen. Noch weit draußen werden die Waden von einer lauwarmen Brühe umspült, die einen nicht besonders klaren Eindruck macht - Riminis riesige Badewanne ist flach wie eine Flunder.

Vier Monate lang dauert die Saison, zwei Monate im Jahr haben Alessandro und seine Bademeisterkollegen dann noch damit zu tun, ihre Schirme, Liegen und Gerätschaften zu streichen und in Schuss zu bringen. Im Winter ging Alessandros Vater früher fischen. Auch das ist längst vorbei, der Sohn arbeitet während der kalten Jahreszeit als Standaufbauer bei der Messe, deren Hallen man gleich hinter dem Strand aus dem Häusermeer hervorschauen sieht.

"Die Messe ist hier für alle wichtig", sagt Alessandro: Für die Bademeister und die Hoteliers, die Restaurantbesitzer und die Barkeeper - ohne die Messe hätte mancher seine Probleme mit dem Auskommen. Denn der Strand ist auch in Rimini nur das halbe Leben.

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