Rekordversuch im Himalaja:Ueli Steck wollte schaffen, was noch niemandem gelang

Rekordversuch im Himalaja: "Was ein Erfolg ist, lege ich fest. Ich muss nicht auf dem Gipfel stehen, um erfolgreich zu sein", sagte Ueli Steck.

"Was ein Erfolg ist, lege ich fest. Ich muss nicht auf dem Gipfel stehen, um erfolgreich zu sein", sagte Ueli Steck.

(Foto: AFP)

Ende März gab der Schweizer sein letztes Interview. Darin beschrieb er, wie er sich auf sein Projekt am Himalaja vorbereitete. Ueli Steck wurde nur 40 Jahre alt.

Interview von Christian Brüngger

Am 31. März publizierte Tagesanzeiger.ch/Newsnet folgendes Interview, in welchem Ueli Steck das Projekt, das ihn nun das Leben kostete, detailliert schilderte. Er wollte vom Mount Everest zum Lhotse gelangen - eine extreme Sache.

Von Ueli Steck weiss man viel, aber nicht, wie er sich sportlich auf eine Expedition vorbereitet. Warum?

Steck: Weil man davon ausgeht, dass der Steck zum Berge besteigen einfach Berge ­besteigt - was viele Alpinisten weiter für die beste Vorbereitung halten. Sie ­verstehen sich mehr als Abenteurer denn als Sportler. Ich hingegen bereite mich wie jeder Spitzenathlet gezielt auch sportlich auf einen ­Höhepunkt vor. Diesbezüglich bin ich wohl Vorreiter und habe eine Entwicklung im modernen ­Alpinismus eingeleitet: diejenige des athletischen Alpinisten.

Was führte dazu?

Das hat mit meinem Anspruch zu tun. Ich kann als Bergsteiger selbst definieren, was ich will, eine möglichst schwierige Route klettern etwa. Bei mir stand immer meine Leistung im Vordergrund. Sie prägt mein alpinistisches Leben. Entsprechend gehört dazu, möglichst fit zu sein. Ich bin nicht auf Abenteuer aus und in der Szene eher ein Außenseiter.

Wird Ihr Tun damit gefährlicher, weil sich alles um Leistung dreht?

Ja. Gleichzeitig: Was ein Erfolg ist, lege ich fest. Ich muss nicht auf dem Gipfel stehen, um erfolgreich zu sein. Wichtiger ist, was ich für eine Performance ­gemacht habe. Mit meinem Leistungsdenken setze ich mich unter Druck, weil ich immer besser werden will. Entsprechend viel Risiko gehe ich dann ein.

Sie sagten einmal, Sie seien erschrocken, weil Sie merkten: Viele Alpinisten starben mit 40 bis 45. Sie sind in diesem Lebensabschnitt.

Natürlich frage ich mich immer wieder, ob ich mich aus diesem Game nehmen muss. Nur ist das enorm schwierig, weil man beim Bergsteigen die abnehmende körperliche Fitness durch mehr Risiko lange ausgleichen kann. Also erreichst du weiter Topresultate. Doch die Entwicklung ist dann absehbar: Irgendwann riskierst du so viel, dass es knallt. Darum war meine Annapurna-Besteigung von 2013 kein Erfolg. Ich ging so viel Risiko ein, dass ich nur dank enorm viel Glück überlebte. Also kann das für mich keine erfolgreiche Besteigung sein, obschon ich auf dem Gipfel stand.

Ueli Steck - der Tempokletterer

Mit 18 Jahren stand Ueli Steck erstmals auf dem Eiger. Seither hat der 40-Jährige aus Ringgenberg nahe Interlaken dieses Schweizer Monument viele Male durchklettert - oder besser: ist er den Eiger hoch­gerannt. Denn Steck definiert sich primär über seine Leistung und damit oft übers Tempo. Vor zwei Jahren schaffte er in 62 Tagen alle 82 Viertausender der Alpen. Spuren hat Steck, der Jüngste dreier Brüder, auch im Himalaja hinterlassen: Er stand ohne Sauerstoff auf dem Mount Everest oder dem gefährlichen Annapurna. Auch Rückschläge prägen sein Athletenleben: Vor vier Jahren wurde er am Everest fast von wütenden Sherpas erschlagen. Steck ist verheiratet, Kinder aber will er mit seiner Frau keine. Es würde sich nicht mit seinem Beruf vertragen. Dieser ist zu riskant. Der Mutter sagt er darum auch nie im Detail, was er vorhat. Am 30. April 2017 ist Ueli Steck am Mount Everest tödlich verunglückt.

Wie muss man das Everest-Lhotse-Projekt einordnen?

Bin ich auf dem Everest, kann ich ­jederzeit abbrechen. Das Risiko ist also eher gering. Für mich ist es primär ein physisches Projekt. Entweder komme ich durch - oder habe keine Kraft zur ganzen Überquerung. Ich wählte diesen Ansatz auch, weil ich mit Risiko kaum besser oder erfolgreicher sein kann.

Trotzdem wollen Sie möglichst schnell vom einen zum anderen Gipfel, müssen auf über 8000 m übernachten, also in der ­sogenannten Todeszone.

Ums Tempo geht es mir nicht, sondern darum, diese Überquerung als Erster zu schaffen. Der limitierende Faktor wird diese enorme Höhe sein. Da oben kann ich mich nicht erholen. Irgendwann geht schlicht die Power aus.

Wie haben Sie sich körperlich auf dieses Ziel vorbereitet?

Ich weiss, dass ich lange in der Höhe unterwegs sein werde. Also habe ich viele Lauftrainings von bis zu fünf Stunden mit tiefem Puls absolviert, auch um eine exzellente Erholungsfähigkeit zu erlangen. Im Schnitt absolvierte ich gegen sieben Lauftrainings pro Woche mit bis zu 3000 Höhenmetern pro Einheit. Ich simulierte auch flache Strecken, primär auf dem Laufband, lief dabei vor allem Intervalle. Für dieses Projekt habe ich zudem mittels Freihanteln viel in meine Kraft investiert, bis dreimal die Woche. Besonders meine Schwachstellen habe ich auf­gearbeitet, beispielsweise waren meine Gesässmuskeln zu wenig gut trainiert. Total kam ich auf circa 100 Trainingsstunden pro Monat, das ist aber nicht außergewöhnlich.

Rennen Sie nur hinauf oder auch hinunter?

Schon auch hinunter, aber da muss ich aufpassen, weil diese spezifische Belastung heikel für Gelenke und Muskeln sein kann. Ein Klassiker meiner Vorbereitung war, dass ich von Grindelwald-Grund auf den Eiger rannte - via Westflanke. Da kommen viele Höhenmeter zusammen. Auf diese Weise musste ich nur bis zum Eiger-Gletscher zurück­rennen und konnte von dort die Bahn nehmen. Manchmal hatte ich auch den Gleitschirm dabei und flog zurück.

Wie reagierten die gewöhnlichen Eiger-Alpinisten in Vollmontur, wenn Sie mit Laufschuhen und Shirt an ihnen vorbeirannten?

Im Winter sind da selten Leute. Das ist wichtig, weil ich sonst viele Bergsteiger vor den Kopf stoße. Ich gehe also nicht dort trainieren, wo sich diese Alpinisten aufhalten. So werden sie nicht ­gestört, und ich habe meinen Frieden.

Sie rannten den Eiger in Turnschuhen hoch. Ist das nicht gefährlich?

Natürlich müssen die Verhältnisse dafür stimmen, sonst droht der Absturz. Aber wenn die Spur im Schnee gut war, konnte ich wunderbar trainieren.

3000 Höhenmeter an einem Stück rennend zu bewältigen, ist enorm. Haben Sie das immer gekonnt?

Nein, früher war ich ein viel klassischerer Alpinist, kletterte primär. In den letzten Jahren aber hat sich mein Fokus sukzessive verändert. Damit Sie mich richtig verstehen: Ich kann nicht täglich über viele Wochen 3000 Höhenmeter bewältigen. Das würde mich auslaugen.

Verlieren Sie wie ein Topläufer auf ein Ziel hin Gewicht, oder nehmen Sie zu, um Reserven zu haben?

Ich brauche in der Höhe etwas mehr Gewicht, weil ich sonst friere. ­Zudem zehrt eine solche Expedition über viele Wochen an den Kräften. Man ist immer draußen, in der Höhe. Die Erholung leidet. Darum muss man mit ein bisschen Reserve anreisen. Früher versuchte ich auch beim Gewicht ans Limit zu gehen, habe aber gemerkt, dass ich mir damit keinen Gefallen tue. Jetzt bin ich 68 kg auf 1,74 m. Hinzu kommt: Ich weiss noch nicht, wann genau ich zum Everest aufbrechen werde, kann also nicht auf Zeitpunkt X hinarbeiten. Allerdings reise ich nächste Woche schon in den ­Himalaja, um mich an die Höhe zu gewöhnen. Reise und Akklimatisierung können den Körper schwächen. Der GAU wäre, wenn ich krank würde. Dann kann ich die Übung gleich abbrechen. Auch bezüglich ­Immunsystem hilft mir ein wenig mehr Gewicht, in Nepal kann ich durchaus an leichtem Durchfall leiden.

Sie trainieren neben Körper auch Geist. Wie?

Primär hilft mir das Wissen, wirklich fit zu sein. Wenn ich meine Daten anschaue, kann ich abschätzen, ob ich mein Ziel erreichen werde. Hinzu kommt die Routine. Weil ich zudem nicht exakt wissen kann, was auf mich zukommen wird, versuche ich, viele ­Informationen zu sammeln. Aber: Man kann auch zu viel suchen und hinterfragen. Das, was ich nicht beeinflussen kann - wie das Wetter -, darf mich nicht beschäftigen. Sonst mache ich mich nur kaputt. Entscheidend ist, dass ich auf einer Expedition meine Ruhe habe.

Wann beginnen Sie, in Ihre Welt abzutauchen?

Jetzt schon. Wer mich etwa via E-Mail kontaktiert, erhält eine Abwesenheitsnotiz. Ich will keine Mails mehr beantworten müssen. Das ist mir wichtig. Ich will keinen zusätzlichen Stress.

Sie haben schon den sogenannten Tunnelblick des Sportlers?

Ja, ich gebe eigentlich auch keine Interviews mehr, will und muss mich abgrenzen und in meine Welt abtauchen. Da muss ich ein bisschen asozial werden und mich nicht mehr zu stark beeinflussen lassen. Sonst könnte ich meine Leistung unmöglich erbringen. Erhielte ich in dieser Phase zu viele Informationen, würde ich wahnsinnig.

Wer darf noch mit Ihnen reden?

Mein engstes Umfeld, das ist sogar sehr positiv. Mit meiner Frau bespreche ich auch Alltagssorgen der Expedition. Mit mir Unbekannten mag ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sprechen.

Werden Sie dünnhäutiger, je näher der Start rückt?

Wenn ich mich wirklich abgrenzen kann, werde ich dickhäutiger. Dann prallt alles an mir ab. Ist mein Panzer hingegen fragil, werde ich unruhig. Dann bin ich sogar schon gestresst, wenn ich mit jemandem ausserhalb meines Teams reden sollte.

Sie arbeiten mit einem Coach zusammen. Warum?

Weil Simon Trachsel viel mehr von Sportphysiologie versteht als ich. Zudem wirkt er wie ein Back-up für mich. Ich muss ihn nicht täglich anrufen, aber nur schon zu wissen, dass jemand mitdenkt, hilft mir. Sonst hinge alles an mir. Das wäre für mich zu viel. Ich würde mich ständig hinterfragen und sorgen, ob ich alles richtig mache. Daneben nützt mir schlicht seine Kontrolle, damit ich keine lapidaren Fehler mache.

Trachsel arbeitet als Physio­therapeut am Bundesamt für Sport in Magglingen, betreut unter anderen Dario Cologna. Haben Sie vom Langlauf-Olympiasieger gar Trainings übernehmen können?

Zumindest habe ich dank Simon auch Einsichten ins Training anderer Athleten erhalten. Davon profitiere ich enorm. Ich kann ja nicht wahllos allen Sportlern hinterhertelefonieren, von denen ich gern noch das eine oder andere betreffend Training wissen würde.

"Auch Wasser habe ich nie ausreichend dabei."

Wie ernähren Sie sich während einer Vorbereitung?

Ob ich ein Kilo mehr oder weniger habe, ist, wie erwähnt, nicht entscheidend ...

... wiegen Sie sich täglich?

Nein, nicht mehr. Ich schaute phasenweise sehr stark aufs Gewicht, wurde dann nervös, wenn ich bei Schlüsseltrainings nicht an meine Zeiten herankam. Ich begann mich sofort zu fragen, ob es mit dem Gewicht zusammenhängt. Diesen Teufelskreis musste ich durchbrechen.

Vertrauen Sie sich auch nach so vielen Jahren Leistungssport nicht?

Mittlerweile schon. Bezüglich Gewicht bin ich einfach ein Sensibelchen, ich weiss nicht warum.

Aber nach einem Training mit 3000 Höhenmetern und fünf Laufstunden können Sie eine Menge Kalorien verdrücken!

Ja, so 5000 bis 6000 Kalorien werden es schon sein. Ich höre auf mein Gefühl, esse, wenn ich hungrig bin. Vielen geht dieses Körpergefühl ab. Dabei muss sich ein Sportler spüren - auch bezüglich ­Essen. Dieses Gefühl unterscheidet den exzellenten vom guten Athleten.

Wo stehen Sie?

Ich weiß, was mein Körper braucht, spüre auch rasch, wenn ich zu viel oder zu hart trainiert habe.

Wie werden Sie sich während der Expedition ernähren?

Auch über sogenannte Regenerationsshakes, was ich daheim weniger tue. Da kann ich mich normal verpflegen. Wichtig ist am Berg etwa, die Riegel nahe am Körper zu haben, damit sie nicht ein­frieren. Wobei ich mir die notwendige Kalorienzahl am Berg ohnehin nicht zuführen kann. Ich schleppe nicht Tausende von Kalorien mit mir herum. Auch Wasser habe ich nie ausreichend dabei. Daran muss sich der Körper gewöhnen.

Wenn Sie den Everest hochsteigen, wie viel essen und trinken Sie dann?

Ich werde mich im Bereich des Fettstoffwechsels befinden, also auf niedriger Energiestufe. Für einen Gipfeltag nehme ich circa einen halben bis einen Liter Wasser mit, dazu kommen vier Riegel, was ungefähr 800 Kalorien entspricht. Mehr gibt es einfach nicht. Also darf ich niemals ans Limit.

Sie werden viele Stunden ohne Sauerstoffzufuhr in der Todeszone verbringen. Wissen Sie schon, wie viele?

Wohl zwischen 24 und 48. ­Darin besteht ja die Herausforderung: Bin ich dazu fähig? Kann ich mich noch fortbewegen? Man sagt, dass man da oben im Vergleich zur Meereshöhe noch 20 Prozent der Leistungsfähigkeit besitzt. Ob ich mich übrigens auf 8800 m oder 8500 m befinde, sind Welten. Der Sauerstoff nimmt nicht linear, sondern progressiv ab. Die Sättigung ist in dieser Höhe enorm tief, was sich auch aufs Denktempo auswirkt: Ich kann klar denken, aber nur sehr langsam.

Wie fühlen sich diese 20 Prozent auf 8800 m an?

Das ist ein Horror. Manchmal machst du ab 8500 m vielleicht 40 Schritte, ­erbrichst ein wenig, absolvierst drei nächste Schritte und schnappst bereits wieder nach Luft. Du denkst: "So komme ich da nie hoch!", bist also fix und fertig. Plötzlich kannst du wieder 20 Schritte machen, wirst zuversichtlicher. Ein steter Kampf halt.

Nimmt man die Verstorbenen entlang der Route noch wahr?

So viele Tote liegen von der Südseite her nicht herum. Und extra in die Schnee­löcher gehe ich nicht schauen.

Schlucken Sie während einer solchen Besteigung Medikamente?

Würde ich mit Medikamenten nachhelfen, wüsste ich eben nicht, wozu mein Körper fähig ist. Ich will mich nicht betrügen und verzichte auf Substanzen. Natürlich wäre es interessant, einmal mit Epo einen Berg hochzujagen. Sie könnten damit gar das Risiko minimieren, weil Sie schneller vorankämen. Das mag sein. Aber was bringt es mir, wenn ich weiß: Ich kanns mit Epo. Kann ich's auch ohne? Gleiches gilt für den Sauerstoff. Wie weiß ich, ob ich's ohne könnte, wenn ich ihn benutze?

Aber gegen ein allfälliges Lungenödem wegen der enormen Höhe haben Sie ein Mittel dabei?

Dexamethason, was quasi schwerem Doping gleichkommt. Aber bei einem Ödem erhältst du mit der Dexamethason-Einnahme ein Zeitfenster von 24 Stunden, in dem du dich vom Berg retten kannst. Die Frage ist: Wann nimmst du es? Ich würde es nur benutzen, wenn es hart auf hart kommt, würde nach der Einnahme absteigen und mein Leben zu retten versuchen. Ich würde also niemals Dexamethason einnehmen, um auf den Gipfel zu gelangen. Was andere tun, weiß ich nicht.

Wann wird diese Expedition für Sie ein Erfolg sein?

Natürlich will ich auf Everest und Lhotse. Aber das ist ein sehr hohes Ziel. Scheitern heisst für mich: Wenn ich sterbe und nicht heimkomme.

Dieses Interview erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 31. März 2017

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