Reinhold Messner über Edmund Hillary:"Er betrachtete Bergsteigen als Lebenshaltung"

25 Jahre nach Hillarys Erstbesteigung bezwang der Südtiroler Reinhold Messner im Jahr 1978 als erster Mensch den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. Messner beeindruckt das soziale Engagement des Briten Hillary ebenso wie sein Wagemut.

Martin Zips

SZ: Herr Messner, was beeindruckte Sie an Sir Edmund Hillary?

Reinhold Messner über Edmund Hillary: Messner über Hillary: "Er hatte die Gabe, es zu wagen."

Messner über Hillary: "Er hatte die Gabe, es zu wagen."

(Foto: Foto: AP)

Messner: Mich beeindruckte, dass er seine Berühmtheit dazu nutzte, den Sherpas, diesem kleinen Völklein am Fuße des Mount Everest, so vielfältig zu helfen. Das schätze ich viel mehr an ihm als seine bergsteigerischen Leistungen.

SZ: Hillary sorgte dafür, dass die Sherpa-Kinder eine Ausbildung bekommen.

Messner: Viel mehr! Er baute dort die ersten Schulen. Heute gibt es in Solu-Khumbu sogar Gymnasien. Hillary hat dort den Englischunterricht eingeführt und Krankenhäuser gebaut. Den dortigen Flugplatz hat er erfunden und teilweise mit eigenen Händen eingeebnet.

Es war seine geniale Idee, in einem engen Tal einen Flugplatz so zu bauen, dass die Maschinen bergaufwärts landen - das bremst sie, sonst wäre die Landebahn zu kurz. Gestartet wird bergabwärts. Mit solchen Ideen schuf Hillary die wirtschaftliche Basis für das heutige Solu-Khumbu. Dank ihm wurde der Sherpa-Bergstamm mit 40.000 Einwohnern zur erfolgreichsten Gruppe in Nepal.

SZ: Wie haben Sie ihn als junger Sportler wahrgenommen?

Messner: Erst als ich vom Extremkletterer, den eigentlich nur senkrechte Wände interessierten, zum klassischen Bergsteiger geworden bin, begann ich mich für Hillary zu interessieren. Als ich mich mit dem Gedanken trug, den Everest ohne Sauerstoffmaske zu besteigen, wurde mir klar: Hillary war vielleicht nicht der beste Bergsteiger seiner Zeit.

Doch hatte er die Gabe, es zu wagen. Das war der Schlüssel. 1953 war er als Bergsteiger aus dem Commonwealth mit dabei. Die Engländer wollten den Gipfel als Erste bezwingen. Doch es fehlten ihnen 100 Meter, die sie für zu gefährlich hielten. Die Expedition schien gescheitert. In diesem Moment sagte Hillary als Einziger: Ich gehe! Er nahm einen Sherpa seiner Wahl mit und fotografierte ihn dann auf dem Gipfel.

SZ: Wie war Ihre Beziehung zu Hillary in den folgenden Jahren?

Messner: Sir Edmund Hillary war der Erste, der mir zur maskenlosen Erstbesteigung des Mount Everest gratuliert hat. Er war ein großherziger Mann ohne Neidgefühle. Seine größte Leistung aber ist für mich sein soziales Engagement. Vieles, was auch ich in diese Richtung getan habe, sehe ich als Kopie dessen, was Hillary unternommen hat. Es ist ihm gewidmet.

SZ: Kann man sagen, dass Hillary ein Vertreter der alten Schule des Bergsteigens war, wie sie heute nur noch selten zu finden ist?

Messner: Ja. Er betrachtete das Bergsteigen als Lebenshaltung.

SZ: Wie ist die Situation am Mount Everest heute?

Messner: Ich schätze, dass im kommenden Frühling etwa 2000 Menschen versuchen werden, auf den Everest zu steigen. Ein paar hundert werden es schaffen. Immer wieder wird der Berg für eine Massenbesteigung präpariert: Er wird in Seile, Leitern und Ketten gelegt, damit das möglich ist. Ich will das nicht kritisieren. Aber es ist anders als früher.

SZ: Profitieren die Sherpas vom Massentourismus?

Messner: Sie machen die Logistik. Gute Sherpas verdienen heutzutage sehr viel Geld. Ohne sie hätten die Weißen ja auch keine Chance, auf den Gipfel zu gelangen. Die wichtigen Sherpas sind inzwischen zu wohlhabenden Leuten geworden. Noch 1978, als ich den Everest bestieg, war kein Sherpa in der Lage vorauszusteigen. Sie sind hinter uns hergestiegen und haben Rucksäcke getragen. Heute bereiten sie die Infrastruktur bis zum Gipfel vor - und kassieren Maut.

SZ: Ein Typ wie Sir Hillary - wäre der heute beispielsweise als Speedbergsteiger unterwegs?

Messner: Wenn man in der Natur mit seinen Freunden auf sich selbst gestellt ist, so muss man jeden Schritt dreimal überlegen: Was kann passieren? Wie komme ich wieder zurück? Diese Form des Bergsteigens hat Hillary vertreten. Und sie ist auch heute noch lebbar.

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