Reinhold Messner im Interview:"Die Erschaffung des Nichts"

Ein Extremist bilanziert sein Leben: Messner spricht über seinen Weg auf die Gipfel der Welt, seine Gegner - und die Angst vor dem Tod.

Gernot Sittner

Reinhold Messner versteigt sich gerne in philosophische Gedanken, die er regelmäßig in Büchern und Essays ausbreitet. Klettern ist für ihn Kunst, sein Selbstbewusstsein löst bei kritischen Beobachtern manchmal Höhenkoller aus. Nun ist schon wieder ein Buch des Südtiroler Bergsteigers erschienen (Reinhold Messner: Mein Weg. Bilanz eines Grenzgängers. Herausgegeben von Ralf-Peter Märtin. Verlag Frederking & Thaler).

Reinhold Messner im Interview: Meister des Selbst-Marketings: Reinhold Messner hat als Extrembergsteiger, Abenteurer, Biobauer, Politiker, Autor und Vortragsredner Erfolg - und spricht gerne ausführlich darüber.

Meister des Selbst-Marketings: Reinhold Messner hat als Extrembergsteiger, Abenteurer, Biobauer, Politiker, Autor und Vortragsredner Erfolg - und spricht gerne ausführlich darüber.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Messner, wie hoch war Ihr letzter Gipfel, und wann haben Sie ihn bestiegen?

Messner: Der letzte Gipfel war in der Nähe des Nanga Parbat, etwas über 4000 Meter. Ich bin inzwischen ein Sonntagsbergsteiger wie die meisten anderen.

SZ: Achttausender sind für Sie nicht mehr drin - damit können Sie, nach eigener Aussage, durchaus leben. Wie kommen Sie damit zurecht, dass Sie bald ein Alter erreichen, in dem der gewöhnliche Arbeitnehmer pensioniert wird?

Messner: Ich kann damit tadellos leben, schließe aber nicht aus, dass ich noch mal einen kleineren Achttausender gehe. Und Rente - pensioniert kann ich noch nicht werden, das spielt bei mir keine Rolle, weil höchstens in der Zeit als Politiker mal für die Rente eingezahlt worden ist.

SZ: Trifft das Gerücht zu, dass Sie neuerdings eine neue Form von Grenzgang unternommen hätten: eine Kreuzfahrt zusammen mit Ihrer Lebensgefährtin?

Messner: Das ist kein Gerücht, sondern Tatsache. Ich habe in letzter Zeit mehrere gemacht, die aufregendste in die Antarktis, nicht nur mit meiner Lebensgefährtin, sondern mit zweien meiner Kinder. Das werde ich künftig öfter machen. Vor zehn Jahren hätte ich das abgelehnt. Aber ich genieße das heute, schreibe auf dem Schiff, lese, bin mit meiner Familie zusammen, finde es in keiner Weise langweilig.

SZ: Ihr neues Buch, "Mein Weg", vermittelt durchaus, was der Titel verspricht. Wer viel Messner gelesen hat, kennt das meiste allerdings schon: früher erschienene Texte, vor allem Interviews. Der Untertitel "Bilanz eines Grenzgängers" klingt nach Vermächtnis. Ein Vermächtnis in Form von Recycling - ist das angemessen, für einen Autor von mehr als drei Dutzend Büchern, noch dazu für einen Autor Ihres eigenen Anspruchs? Oder musste zur Buchmesse einfach wieder ein Messner auf den Markt?

Messner: Der Zugang zu diesem Buch war: Wir erzählen das Leben im Entstehen und nicht im Rückblick. Hier sind Interviews und Geschichten, die ich geschrieben habe zwischen Ende der sechziger Jahre und heute, die nur gekürzt, aber nicht verändert worden sind. Es war ja nicht voraussehbar, dass ich mit 60 ein Museum gestalte oder mit 50 zum Nordpol gehen will oder dass ich fünf Mal in meinem Leben umgestiegen bin von einer Tätigkeit in die andere. Ich habe nicht vor, das Schreiben aufzugeben, obwohl Schreiben mit die härteste Arbeit ist, die ich kenne. Aber es ist ja auch eine Aufarbeitung dessen, was ich weiß oder nur ahne, indem ich es zu Papier bringe. Das heißt: Ich rationalisiere erst, wenn ich schreibe. Das Schreiben ist die Basis für viele meiner anderen Tätigkeiten. Und ich glaube, dass ich viel an Spannkraft verliere, wenn ich das Schreiben aufgebe. Schreiben kostet mich die meiste Energie und hält jung im Kopf.

SZ: In der Einleitung zu "Mein Weg" schreiben Sie: "Auf meinen Wegen, die im Gehen entstehen, entstehen auch Linien, Linien in meinem Kopf. Das sind die Kunstwerke, die ich hinterlasse . . . Es ist die Erschaffung des Nichts." Als Lektor hätte ich Ihnen das nicht durchgehen lassen, wenn Sie es mir nicht überzeugend hätten erklären können.

Messner: Wenn ich eine tausend Meter hohe Wand durchklettere, erstmals, entsteht eine Linie, weil ich ja auf einer Linie steige, und diese Linie bleibt in meinem Kopf, in meiner Erinnerung lebendig. Wenn ich heute zurückschaue auf meine Linien, sehe ich diese als Linien im Kopf. Sie sehen sie natürlich nicht. Die Linie ist nicht greifbar, aber sie ist für mich existent. Ich sehe eine unendliche Folge von Rissen, von Griffen . . .

SZ: Und das ist ein Kunstwerk?

Messner: Muss Kunst Reales hinterlassen? Ich bin der Meinung, Kunst kann sich auch darin äußern, dass jemand etwas schafft, was nicht greifbar, nicht sichtbar, nicht hörbar ist. Und das soll mein Denkanstoß sein. Ich gehe noch weiter: Früher oder später werden wir nicht mehr die Möglichkeit haben, großartige Kunstwerke zu horten. Es wird zu teuer werden. In Tibet etwa hat man Wandmalereien alle 200 Jahre neu gemacht. Die Kunst bestand darin, das Handwerk nicht zu vergessen. Der nächste kann das wieder machen - 200 Jahre später.

SZ: Und das ist - Zitat Messner - "die Erschaffung des Nichts"?

Messner: Das Nichts ist ein Wert, den ich hoch oben ansiedle. Ich schiebe ihn eher in Richtung Kunst als ins Wirtschaftliche. Wirtschaftlich gesehen ist das Nichts nichts.

SZ: Ihr Landsmann Luis Trenker kommt bei Ihnen nicht oder kaum vor. War er für Sie irgendwie ein Vorbild - oder möchten Sie keinesfalls mit ihm verglichen werden?

Messner: Ich habe mit Luis Trenker keine Probleme. Er hat für mein Leben keine wesentliche Bedeutung. Er war Südtiroler, und geschichtlich hat er mit Südtirol sehr wohl eine enge Verbindung; zum Teil ist sie erfreulich, zum Teil nicht so erfreulich. In der Optionsgeschichte 1939 hat er sich windig verhalten. Er hat optiert und dann wieder rückoptiert. Das hat er öfters gemacht. Nächster Punkt: Trenker war ein ordentlicher Kletterer, aber er gehörte nicht zur damaligen Spitze. Trenker war ein großartiger Geschichtenerzähler, und zwar mit seinen Filmen - seine Bergfilme sind nach meinem Dafürhalten immer noch nicht übertroffen - und live auf der Bühne und vor der Kamera.

"Die Erschaffung des Nichts"

SZ: In vielen Ihrer Aussagen - in Ihren Interviews und Büchern - bildet die erste Person Singular das Satz-Subjekt. Und Sie weisen es ja auch nicht entschieden zurück, wenn man Ihnen stark egoistische Züge nachsagt. Können Sie sich vorstellen, dass Sie weniger angefeindet worden wären, wenn Sie sich etwas stärker zurückgenommen hätten? Oder gilt für Sie als Lebensmaxime "Viel Feind, viel Ehr"?

Reinhold Messner im Interview: Reinhold Messner (l.) und sein Partner Peter Haberl im Jahr 1975. Drei Jahre später bestiegen sie als erste Bergsteiger ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest.

Reinhold Messner (l.) und sein Partner Peter Haberl im Jahr 1975. Drei Jahre später bestiegen sie als erste Bergsteiger ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest.

(Foto: Foto: dpa)

Messner: Wenn ich den Everest hinaufsteige, dann kann ich ja nicht sagen, was die anderen dazu gedacht, gesagt oder gefühlt haben. Ich habe versucht, Bilder nach innen zu entwickeln und nicht nur zu beschreiben, wie der Berg ausschaut. Wie soll ich denn von den anderen, auch wenn sie Mitsteiger sind, Bilder nach innen entwickeln, wenn sie die mir nicht geben? Ich würde nie in einem Buch schreiben: Mein Partner Peter Haberl am Mount-Everest-Gipfelgrat ist plötzlich verzweifelt, weil . . . Das kann ich nur machen, wenn er mir sein intimes Tagebuch gibt. Mein Fokus war immer auf die Innenwelt gerichtet und weniger auf die Außenwelt. Das heißt: Ich war mehr interessiert an der Menschennatur als an der Natur des Berges. Aber ich habe immerhin auch ein halbes Dutzend historische Bücher geschrieben.

SZ: Und stimmt es: "Viel Feind, viel Ehr"?

Messner: Da muss ich lächelnd sagen: Wird am Ende vielleicht stimmen. Aber das interessiert mich weiter nicht. Ich habe in meinem Leben dauernd Widerstände gefunden. Ich habe früh angefangen, das Bergsteigen anders zu betreiben und zu sehen als die Vereinsmeier. Diese heroischen Werte der dreißiger Jahre habe ich immer abgelehnt. Ich habe nie verstanden, warum Menschen mit einer Fahne einen Berg hinaufsteigen. Durch meine Äußerungen sind mehr und mehr Widerstände entstanden, und ich habe die Möglichkeit gehabt, mich an diesen Widerständen zu formen und zu wachsen.

SZ: Messner auf Seite 171: "Mein Leben lebe ich für mich selbst." Nicht auch für andere?

Messner: Natürlich lebe ich mein Leben primär nicht für andere, aber ich nehme Verantwortung für andere auf mich. Ich gehe aber nicht her und sage: Ich lebe für andere. Es ist offensichtlich eine deutsche Krankheit, immerzu dienen zu müssen: einem guten Zweck, den anderen, der Gemeinschaft. Wir haben das Recht auch zum Egoismus. Es gibt zum Beispiel keine andere Motivation, auf Berge zu steigen, als den Egoismus. Ich sehe auch meine Museumsarbeit nicht als Arbeit für andere. Ein selbstbestimmtes Leben ist mir lebensnotwendig.

SZ: In einem Interview im Buch sagen Sie auf die Frage, ob Sie Schuld am Tod Ihres Bruders Günther bei der gemeinsamen Nanga-Parbat-Expedition übernehmen: "Die Schuld besteht nur in dieser einen Frage: Warum habe ausgerechnet ich es überlebt? Ich betrachte das als Ungerechtigkeit." Ist das Bekenntnis nicht wohlfeil?

Messner: Es ist aber so. Ich habe nicht das Gefühl, eine Schuld im juristischen oder auch im moralischen Sinn zu haben. Ich glaube, dass das Leute verstehen, die Unfälle miterlebt haben. Da bleibt immer dieses Gefühl: Es ist ungerecht, dass ich überlebt habe. Das heißt, es ist so zu deuten, dass die Empfindung, am Leben geblieben zu sein, eine Ungerechtigkeit den Verstorbenen gegenüber ist. Natürlich bin ich froh, dass ich am Leben geblieben bin. Aber es bleibt dieses Losgerissensein von einem Menschen, der gleich im Leben stand wie ich, der die gleiche Begeisterung hatte, die gleichen Lebenszugänge.

SZ: Wenn Sie Ihr Leben, wie Sie es bis heute gelebt haben, noch einmal leben könnten, was würden Sie anders machen?

Messner: Wir können nicht viel anders machen. Würden wir zurückgehen können, wir würden das Gleiche wieder tun, weil wir nicht anders können. Ich glaube heute, dass ich mein Leben genauso geführt hätte, auch wenn die Tragödie am Nanga Parbat nicht passiert wäre. Ich denke, wir kommen aus den Lebensmustern, aus der Lebensrichtung, die wir einschlagen, nicht heraus.

SZ: Originalton Messner: "Die Angst vor dem Tod ist die letzte Motivation, dieser Durst nach Lebensgefahr." Sie waren als Grenzgänger oft dem Tode nahe. Welche Art von Tod wünschen Sie sich?

Messner: Ich möchte auf keinen Fall am Berg umkommen. Es gibt auch nicht den Wunsch, irgendwo am Ende der Welt zu verschwinden. Gottfried Benn hat gesagt: "Das Bergsteigen ist ein am Tod provoziertes Leben." Wenn die Todesmöglichkeit nicht gegeben wäre, wäre es nicht so intensiv, was wir da oben machen.

SZ: Sie sagen, dass Sie immer wieder eine neue Herausforderung suchen und brauchen. Was ist die nächste?

Messner: Meine nächste Herausforderung kenne ich noch nicht, weil ich zunächst dieses Leben, das ich gerade lebe, zu Ende bringen werde. Ich habe mir ein fünfteiliges Museum ausgedacht, meine Bergwelten, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, einen Standort für mein letztes Museum zum Thema "Bergvölker" zu finden. Zwei, drei Jahre brauche ich für die Verwirklichung. Dann bin ich frei für die nächste Herausforderung. Ich werde eine finden, meine siebte Lebensphase.

Interview: Gernot Sittner

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