Regentschaftsrekord:Queen forever

Von heute Abend an wird Königin Elizabeth II. die am längsten regierende Monarchin Großbritanniens sein. Hinter ihr liegen 63 Jahre und 216 Tage voller Hüte, Hunde und Haltung - eine Würdigung.

Von Alexander Menden und Christian Zaschke, London

Als die britische Königin Victoria im Januar 1901 im Alter von 81 Jahren starb, hatte sie 23 226 Tage, 16 Stunden und 23 Minuten regiert. Anders gesagt: 63 Jahre, sieben Monate. Niemand saß länger auf dem britischen Thron. Bis jetzt: An diesem Mittwoch, um halb sechs Uhr britischer Zeit, wird die 89 Jahre alte Elizabeth II. ihre Ururgroßmutter als am längsten regierende Monarchin des Landes ablösen. Eine Würdigung.

Am 31. Januar 1952 brach Elizabeth mit ihrem Ehemann Philip nach Kenia auf. Ihr Vater, König George VI., verabschiedete sie am Flughafen. Es sollte eine lange Reise werden, unter anderem standen die Fidschi-Inseln, Australien und Neuseeland auf dem Programm. Es kam anders. Am 6. Februar starb George auf Schloss Sandringham an Lungenkrebs. Ein verschlüsseltes Telegramm wurde an den britischen Gouverneur in Nairobi geschickt, doch der war verreist. Ein kenianischer Journalist rief Elizabeths Privatsekretär an und sagte, dass über den Ticker gerade der Tod des Königs gemeldet werde - ob das stimme? Der Sekretär informierte Philip, der sofort wusste, was diese Nachricht bedeutete: Dass seine Ehefrau nun Königin war - und dass seine Karriere bei der Marine zu Ende ging und von nun an ein Gutteil seines Lebens darin bestehen würde, zwei Schritte hinter Elizabeth zu gehen. Er bat seine Frau zu einem Spaziergang im Garten der Sagana Lodge, wo er ihr um 14.25 Uhr die Kunde vom Tod ihres Vaters überbrachte. Elizabeth reagierte gefasst. Noch am selben Abend reiste sie ab, um als Königin nach England zurückzukehren.

Natürlich war die Krönung von Elizabeth II. am 2. Juni 1953 ein historisches Ereignis. Aber einige Aspekte der insgesamt dreistündigen Zeremonie machten auch deshalb Geschichte, weil sie Premieren darstellten. So war Prinz Charles, der eine eigens für ihn gemalte Kindereinladung bekommen hatte, das erste Kind, das der Salbung seiner Mutter zur Königin von Großbritannien beiwohnte (alle ihre Vorgängerinnen, die allein geherrscht hatten, waren kinderlos geblieben oder erst nach der Thronbesteigung Mutter geworden). Auch war es die erste Krönung eines englischen Monarchen, die im Fernsehen übertragen wurde. Unter den rund 2000 internationalen Reportern befand sich auch die Korrespondentin des Washington Times-Herald, Jacqueline Bouvier, die spätere Frau des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. Ein bleibendes Erbe des Krönungstages ist ein Fleischsalat aus kaltem Huhn in einer Curry-Sahnesoße mit Rosinen, der den Gästen des anschließenden Banketts gereicht wurde. Als "Coronation Chicken" ist er bis heute einer der beliebtesten britischen Sandwichbeläge.

Das Schreckensjahr der Queen

Sollte sie je an Rücktritt gedacht haben, dann vielleicht im annus horribilis, wie sie selbst das Jahr 1992 nannte. Kein Jahr war für die Queen persönlich schlimmer als jenes Schreckensjahr. Im März hatten ihr Sohn Andrew und dessen Frau Sarah Ferguson ihre Trennung bekannt gegeben; von Fergie tauchten kurz darauf Oben-ohne-Aufnahmen auf. Prinzessin Anne ließ sich im April von Mark Phillips scheiden, und auch die Risse in der Ehe von Charles und Diana waren nicht mehr zu verheimlichen. Die Königin geriet zudem unter öffentlichen Druck, Einkommensteuer zu zahlen (im folgenden Jahr gab sie nach). Schließlich brach in Windsor Castle ein Großbrand aus. Mit einer für ihre Verhältnisse schockierenden Offenheit verriet Elizabeth, dass sie nicht "mit ungeteilter Freude" auf dieses Jahr zurückblicken werde.

Die Queen bekommt ihr Geld vom Volk. Sie erhält jährlich einen Betrag vom Finanzministerium, um ihren repräsentativen Pflichten nachkommen zu können, in diesem Jahr 40 Millionen Pfund. Dabei handelt es sich um einen Anteil an den Erträgen des milliardenschweren Kronbesitzes, zu dem unter anderem Dutzende Gebäude in London gehören, ferner Einkaufszentren, Freizeitparks, große Teile der britischen Küste und die Pferderennbahn in Ascot. Seit 1760 fließen die Erträge aus dem Kronbesitz an den Staat. Weitere Einnahmen hat die königliche Familie aus den Herzogtümern von Lancaster und Cornwall. Bezüglich des Privatvermögens der Queen gibt es lediglich Schätzungen, die der Palast nicht kommentiert. Die königliche Kunstsammlung, die Kronjuwelen und Residenzen wie Buckingham Palace und Windsor Castle gehören nicht Elizabeth persönlich, sondern werden treuhänderisch verwaltet. Die Schlösser Sandringham und Balmoral gehören allerdings zu ihrem Privatbesitz.

"Sie will keinen jungen Hund zurücklassen"

Monty Roberts, der sogenannte "Pferdeflüsterer", verriet jüngst, die Queen habe zu ihm gesagt, sie werde keine neuen Welpen ihrer Lieblingsrasse, der Corgies, mehr aufnehmen. "Sie will keinen jungen Hund zurücklassen", sagte Roberts. So solle einem Trauma der Hunde im Falle ihres Todes vorgebeugt werden. Seit die 18-jährige Elizabeth ihren ersten Corgie namens Dookie geschenkt bekam und tiefe Zuneigung zu ihm fasste, ist sie stets von Hunden umgeben gewesen. "Meine Hunde sind meine Familie", hat sie einmal gesagt. Ein ähnlich enges Verhältnis unterhält sie nur zu ihren Pferden. Wie vielen Briten fällt ihr ein herzlicher, emotionaler Umgang mit Tieren dem Vernehmen nach etwas leichter als mit Menschen.

Der Tod von Prinzessin Diana im Jahr 1997 ist eine wichtige Zäsur. Nach deren tödlichem Autounfall in Paris zeigte die Queen zunächst keinerlei öffentliche Anteilnahme. Sie blieb in Schottland auf Schloss Balmoral und schottete dort die Söhne Dianas, William und Harry, vor dem Medieninteresse ab. Elizabeth übersah dabei, dass im Land etwas Außergewöhnliches geschah: Große Teile Großbritanniens wurden von kollektiver Trauer übermannt. Die Queen wurde öffentlich wegen ihrer vermeintlichen Gefühlskälte kritisiert, und die Kritik wurde täglich lauter. Fünf Tage nach Dianas Tod reagierte Elizabeth, sie hielt eine bewegende Fernsehansprache, in der sie sagte, Dianas Tod vereine die gesamte Nation in Trauer und Respekt. Damit gelang es ihr gerade eben noch, den Einklang mit der Bevölkerung wiederherzustellen.

Die Windsors nennen sich "Die Firma" (und Buckingham Palace "Das Haus"), und es sieht so aus, als sei der Fortbestand dieser Firma für geraume Zeit gesichert. Zumindest ist die Nachfolge Elizabeths geregelt. Sie hat vier Kinder: Charles, Anne, Andrew und Edward. Thronfolger Charles wiederum hat zwei Kinder, die Prinzen William (Nummer zwei in der Thronfolge) und Harry. William hat ebenfalls zwei Kinder, George (Nummer drei der Thronfolge) und Charlotte, und da die Windsors überwiegend sehr alt zu werden pflegen, ist der Platz der Familie auf dem Thron womöglich bis ins nächste Jahrhundert gesichert. Es sei denn, der kauzige Charles macht sich als König so unbeliebt, dass die Briten kurzerhand beschließen, die Monarchie abzuschaffen.

Die geflickte Jacke der Queen

Als die Queen im vergangenen Jahr nach Frankreich reiste, sahen sich die Organisatoren vor ein Problem gestellt: Das Dach der vorgesehenen Staatskarosse war zu niedrig für Elizabeths Hüte, sodass kurzfristig ein Gefährt mit mehr Kopffreiheit besorgt werden musste. Dabei hätte man durchaus vorsorgen können, denn die Königin hat ihren Kleidungsstil über die Jahrzehnte nicht wesentlich verändert. Für offizielle Anlässe war Norman Hartnell zuständig, während Hardy Amies sich jahrzehntelang um die Tagesgarderobe kümmerte. Elizabeths farbkräftige Kostüme, Perlenketten, Handschuhe und oft recht umfänglichen Hüte, im ländlichen Kontext auch gern Kopftücher und Wachstuchjacken, blieben ebenso verlässliche Konstanten wie ihre Trägerin. Dolce & Gabbana bauten einmal eine ganze Kollektion um diesen Look. Die Queen selbst hängt an bestimmten Stücken. Als die Firma Barbour ihr zum 60. Thronjubiläum eine neue Jacke anbot, bat sie darum, die alte noch einmal zu flicken und zu wachsen.

Die Queen als Bond-Girl

In ihrer Eigenschaft als Staatsoberhaupt hat die Queen höchst würdevoll so manch befremdlichem Ritual beigewohnt. Doch ganz gleich, ob sie als ältestes Bond-Girl der Geschichte eine olympische Eröffnungszeremonie bereichert, einen Preisbullen tätschelt oder vom deutschen Bundespräsidenten ein hässliches Gemälde entgegennimmt: Stets bewahrt sie jene Haltung, die ihr schon als Kind in Fleisch und Blut überging. So oft sitzen wie möglich, stets verbindlich und distanziert bleiben, nie ohne Handschuhe Hände schütteln - so überlebt man als meistfotografierte Frau der Geschichte. Nur einmal geriet diese eiserne Haltung beinahe ins Wanken. Am Silvesterabend 1999 fand sich Elizabeth neben dem damaligen Premier Tony Blair wieder, der sie zum Absingen des traditionellen Neujahrsliedes "Auld Lang Syne" an der Hand fasste. Sie stand in einer spontan geformten Menschenkette, und während Blairs Frau Cherie wie im Wahn vor sich hin schmetterte, war dem Antlitz der Königin deutlich anzusehen, dass sie sich unwohl fühlte. Sie wird sich mit der Gewissheit getröstet haben, dass auch Blairs Amtszeit irgendwann vorbei sein würde.

Formal hat Elizabeth in der parlamentarischen Monarchie keine Macht. Sie ist dennoch eine politische Königin. Eines ihrer Leitmotive ist die Förderung des Commonwealth. Zudem engagiert sie sich seit jeher für das Ehrenamt, und ihre diesbezüglichen Äußerungen in den Achtzigern, als Margaret Thatcher das Land radikal umbaute, konnte man als Gegenentwurf zur sozialen Kälte des neoliberalen Großbritanniens verstehen. Ein diplomatisches Meisterstück gelang ihr 2011. Bis dahin hatte sie 129 Länder besucht, aber die Republik Irland noch nie: Historisch zu belastet schienen die Beziehungen zu sein. Bei ihrer Ankunft trug sie Grün, die irische Nationalfarbe. In Dublin gedachte sie der Iren, die im Kampf für die Unabhängigkeit gefallen waren. Beim Staatsbankett sprach sie einen Satz auf Gälisch und trug einen Anstecker in Form einer Harfe. Für sich genommen banale Gesten. Doch kein Premierminister hätte solche Zeichen der Versöhnung setzen können. Das konnte nur die Queen.

Eine der surrealen Konsequenzen von Elizabeths Langlebigkeit ist der Umstand, dass parallel zur echten Queen schon zu Lebzeiten eine fiktionale Version entstanden ist. Obwohl sie in verschiedenen Lebensaltern von verschiedenen Schauspielerinnen dargestellt worden ist, hat sich vor allem Helen Mirren zu einer Art Double zum Anfassen entwickelt. Der Autor Peter Morgan dient als kongenialer Spezialist für den fiktionalen Blick hinter die königlichen Kulissen; er hat das Drehbuch zu "The Queen" und das Theaterstück "The Audience" über das Verhältnis der Monarchin zu ihren Premiers geschrieben, aus dem gerade eine Netflix-Serie gemacht wird. Und er hat ihr Sätze wie diesen in den Mund gelegt: Ihre Aufgabe sei "kein Job wie jeder andere, da tritt man nicht einfach zurück - wie der Papst".

Berichtigung: Queen Elizabeth bricht den Rekord um 17.30 Uhr britischer Zeit. Nicht um 5.30 Uhr, wie zunächst fälschlich im Teaser dieses Textes stand.

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