Reformschule im Zwielicht:"Clockwork Orange" im Odenwald

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Furchtbare Misshandlungen, unbewältigter Missbrauch, Suizide: Ehemalige Schüler sollen an den Erlebnissen in der Odenwaldschule zerbrochen sein.

"Clockwork Orange" in Hessen: Der Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule nimmt immer größere Ausmaße an. Die heutige Rektorin der reformpädagogisch orientierten Schule, Margarita Kaufmann, berichtete der Frankfurter Rundschau nicht nur von grausigen Ritualen aus der jüngeren Vergangenheit.

Auch Suizide ehemaliger Schüler gehen offenbar auf Missbrauch während der Schulzeit zurück: Kaufmann kenne inzwischen vier ehemalige Schüler, die sich nach ihrer Zeit im Odenwald das Leben genommen hätten. Von allen vier berichteten Ex-Mitschüler, dass sie ebenfalls missbraucht worden seien.

An der hessischen Schule soll es bis weit in die neunziger Jahre hinein Fälle von sexuellem Missbrauch von Schülern durch Lehrer sowie durch Mitschüler gegeben haben. Ein Altschüler habe die Vorgänge, die bis weit in die neunziger Jahre reichten, mit der filmischen Gewaltorgie "Clockwork Orange" verglichen.

Mehrere Schüler sollen laut der Zeitung einen Vorfall beschrieben haben, bei dem ein gefesselter Schüler von Mitschülern mit einer Banane vergewaltigt worden sei. Ein Lehrer habe untätig danebengestanden. Dieser werde auch beschuldigt, in seiner Zeit an der Modellschule sowohl Jungen als auch Mädchen missbraucht zu haben.

Ex-Kultusminister bestreitet Vorwürfe

Der frühere hessische Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD) bestritt derweil, in seiner Amtszeit von 1991 bis 1999 über Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule informiert worden zu sein. "Das ist schlicht unzutreffend", sagte Holzapfel der Frankfurter Rundschau.

Der frühere Schulleiter Gerold Becker, der Schüler missbraucht haben soll, hatte nach Angaben seines Nachfolgers Wolfgang Harder im August 1998 den damaligen Kultusminister Holzapfel über die Vorwürfe informiert. Holzapfel widersprach dieser Darstellung: "Sie können sicher sein, dass ich das nicht für mich behalten hätte", sagte er dem Blatt. Er hätte Becker in einem solchen Fall auch sofort von seiner Tätigkeit als Berater des Ministeriums entbunden.

Staatsanwaltschaft ermittelt in zehn Fällen

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat inzwischen zehn Ermittlungsverfahren eingeleitet. In neun Fällen gehe es um sexuellen Missbrauch von Lehrern an Schülern, sagte ein Sprecher der Behörde.

Gegen den früheren Schulrektor Wolfgang Harder werde wegen möglicher Strafvereitelung ermittelt.

Zwei der Beschuldigten seien schon gestorben. Nach derzeitigem Kenntnisstand seien die Taten verjährt, sagte der Sprecher. Neue Sachverhalte würden aber geprüft. Die jüngsten Berichte ehemaliger Schüler mit neuen Missbrauchsvorwürfen liegen der Staatsanwaltschaft bislang nicht vor.

Im November 1999 hatte die Frankfurter Rundschau erstmals Missbrauchsfälle an der Schule publik gemacht. Anfang März dieses Jahres wurde erneut über Missbrauch an der Modellschule berichtet. Danach weitete sich der Skandal aus. Ende vergangenen Monats erklärten fünf der insgesamt sieben Vorstandsmitglieder der Schule ihren Rücktritt. Nur Rektorin Kaufmann und Geschäftsführer Meto Salijevic blieben im Amt.

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