Rechtes Liedgut auf Schulabschlussfeier:"Bei der extremen Rechten wird das ein höhnisches Grinsen auslösen"

Auf der Bühne, vor versammelter Lehrer- und Elternschaft, haben Schüler einer Abschlussklasse in Rheinland-Pfalz ein Lied der rechtsradikalen Band Sleipnir gesungen. Der Songtext verrät nichts über den politischen Hintergrund der Komponisten. Jan Raabe, Experte für rechte Musik, hält es dennoch für wahrscheinlich, dass die Jugendlichen zumindest teilweise wussten, wem sie da eine Bühne geben.

Johanna Bruckner

Die Mädchen tragen festliche Kleider in gedeckten Farben, viele haben kunstvolle Frisuren. Die Jungen stehen in Anzug und Krawatte auf der Bühne. Hinter den Schülern der Ausonius-Realschule, die an diesem Abend in der Stadthalle von Kirchberg ihre Mittlere Reife feiern, erhebt sich in Schwarz-Weiß das Panorama der 3700-Einwohner Stadt im Hunsrück (Rheinland-Pfalz). "Wir gingen schon damals in die gleiche Schule und damit fing ein langer Weg für uns an", singen die Jugendlichen voller Inbrunst, unter Begleitung von Gitarre, Bass und Keyboard. "Es kamen die ersten Träume und Ideale, wir rebellierten oft ohne Verstand." Das gesungene Lied - verewigt auf einem Handy-Video, das bei Youtube hochgeladen, mittlerweile jedoch wieder gelöscht wurde - stammt von der rechtsradikalen Band Sleipnir. Jan Raabe, Buchautor und Experte für rechte Musik, erklärt, mit welchen Strategien die Szene ihre Gesinnung verschleiert und so massenkompatibel wird. Und wie das Lied möglicherweise auf die Abschlussfeier gelangte.

Schüler performen das Lied "Verlorene Träume" der NAzi-Band Sleipnir

Schüler aus Rheinland-Pfalz haben bei ihrer Abschlussfeier das Lied "Verlorene Träume" der Nazi-Band Sleipnir gesungen. Mutmaßlich ein Klassenkamerad nahm die zweifelhafte Gesangsdarbietung mit seiner Handykamera auf und lud das Video bei Youtube hoch.

(Foto: Youtube)

Süddeutsche.de: Herr Raabe, Schüler singen bei ihrer Abschlussfeier, vor versammelter Eltern-und Lehrerschaft, das Lied "Verlorene Träume" der rechtsradikalen Band Sleipnir. Wie kann das passieren?

Jan Raabe: Meines Erachtens ist es extrem wahrscheinlich, dass die Gesangsdarbietung auf die Initiative eines Schülers oder mehrerer Schüler zurückgeht, dem bzw. denen der Bandhintergrund bekannt war. Man kommt eigentlich nicht auf Sleipnir und das besagte Lied, ohne den rechtsradikalen Hintergrund der Gruppe zu kennen. Allerdings sind rechte Schüler innerhalb der Schülerschaft meist bekannt. Und da frage ich mich schon, wie wahrscheinlich es ist, dass keiner der Klassenkameraden mal den Liedtitel oder Teile des Textes gegoogelt hat. Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass die Abschlussklasse wusste, dass sie einen Sleipnir-Song singt. Entweder war es den Schülern egal: Das besagte Lied hat schließlich keinen rechten Text. Vom Gestus her könnte es auch von den Böhsen Onkelz sein, die sind ja inzwischen auch bei einem breiteren, nicht durchweg rechten Publikum populär. Oder die Schüler haben den Auftritt tatsächlich als bewusstes politisches Statement hinter dem Rücken der Lehrer gesehen.

Süddeutsche.de: In Kommentaren unter dem betreffenden Youtube-Video haben mutmaßlich Anwesende gepostet, Lehrer hätten bei dem Auftritt den Saal verlassen. Was dafür sprechen würde, dass der Hintergrund des Liedes auch über die Schülerschaft hinaus bekannt war.

Raabe: Ich kenne den entsprechenden Post. Der Vorwurf muss natürlich sehr genau geprüft werden. Sollte er tatsächlich zutreffen, wäre das skandalös, denn dann hätte hier eingegriffen werden müssen. Vorstellbar ist allerdings auch, dass dem verantwortlichen Lehrer oder Chorleiter nur der Liedtext vorgelegt wurde - und der ist eben trügerisch harmlos. (Anm. d. Redaktion: In Rheinland-Pfalz haben bereits die Sommerferien begonnen. Die Schulleitung war deshalb für eine Stellungnahme gegenüber Süddeutsche.de nicht zu erreichen.)

Süddeutsche.de: Es geht um Freundschaft, Jugend, die Härten des Lebens ...

Raabe: Die allermeisten Rechtsrock-Bands und Gruppen aus der neonazistischen Szene verzichten heute auf offen volksverhetzende und NS-verherrlichende Texte. Das war Anfang bis Mitte der neunziger Jahre noch anders: Da wurde in der extremen Rechten viel härter getextet. Auch, weil strafrechtlich nicht so streng durchgegriffen wurde. "Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um" und "Hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz". Mit diesen Liedzeilen wurde die Band Radikahl aus Nürnberg 1991 bekannt. Erst später 1994 hat man sie dafür verurteilt. Danach war Bands dann klar: Wer offen neonazistisch textet, muss mit einer juristischen Verfolgung rechnen.

Süddeutsche.de: Insgesamt sind plumpe Nazi-Parolen von Seiten der Rechten in der Öffentlichkeit seltener geworden. Die Szene geht heute subtiler vor, um Anhänger zu werben. Auch in der Musik?

Raabe: Bei einem Teil der rechten Bands gibt es diese parallele Entwicklung, ja. Die Gruppen sagen sich: Wenn wir mehr Jugendliche erreichen wollen, müssen wir raus aus diesem rechten Ghetto. Wir müssen smarter werden, dürfen nicht mehr so offensiv texten. Sleipnir gehört eindeutig zu diesen Bands. Die Songs beispielsweise, die die Band zu den Schulhof-CDs der NPD beigetragen hat, enthalten zwar ein Bekenntnis zur Nation. Das wird aber so formuliert, dass der neonazistische Liedcharakter nicht sofort erkennbar ist. Da heißt es dann: "Wir sind national" oder "Wir sind für Deutschland", aber nicht: "Hitler war gut".

Auch rechte Musiker drücken mit ihren Liedern Alltagsgefühle aus

Süddeutsche.de: Bei dem Sleipnir-Song, der jetzt auf der Abschlussfeier in Kirchberg gesungen wurde, ist der politische Hintergrund überhaupt nicht mehr erkennbar. Gehört es auch zur neuen Taktik rechter Bands, ganz unverfängliche Themen zu besingen?

Raabe: Es ist falsch, zu glauben, dass rechte Bands ständig und nur Songs mit klassisch neonazistischen Themen machen. Auch rechte Musiker drücken mit ihren Liedern Alltagsgefühle aus, haben mal Liebeskummer oder merken, dass sie älter werden. Rechtsradikale Bands machen nicht ausschließlich politischen Message-Rock.

Süddeutsche.de: Die wenigsten Songs von Sleipnir haben jedoch so harmlose Titel und Texte wie "Verlorene Träume". Wo ist die Gruppe innerhalb der rechten Musikszene zu verorten?

Raabe: Sleipnir sind eine der wichtigsten und populärsten Bands des sogenannten Rechtsrock in Deutschland und auch international sehr bekannt. Das liegt zum einen daran, dass es sie schon seit mehr als 20 Jahren gibt. Frontmann Marco Laszcz macht bereits seit 1988 Musik. Die Gruppe hat sich dann 1991 formiert, wobei es immer wieder Mitgliederwechsel gab, zuletzt im vergangenen Jahr. Die erste CD "Mein bester Kamerad", die 1996 erschienen ist, wurde später vom Amtsgericht Ulm beschlagnahmt - mit der Begründung, dass die Songs menschenverachtend sind und gegen Ausländer hetzen. Sleipnir waren von Anfang an nicht nur rechts, sondern im harten, neonazistischen Kern der Szene verortet. Aber die Band hat über die Jahre auch eine musikalische Qualität erreicht wie nur wenige rechte Musikgruppen in Deutschland. Sie machen nicht nur brachialen Punkrock, der per se die Zuhörerschaft einschränkt. Sleipnir haben rockige, eingängige Lieder. Auch optisch ähneln sie eher einer Rockgruppe, das sind nur zum Teil Skinheads.

Süddeutsche.de: Welche Kontakte hat die Band in die rechte Szene?

Raabe: Sleipnir ist fester Bestandteil der neonazistischen Szene, die Band ist auffällig oft im Rahmen von Veranstaltungen der NPD aufgetreten. Der bekannteste Auftritt war wohl 2009 auf dem von der Partei organisierten Festival "Rock für Deutschland" in Gera. Das war als politische Demonstration angemeldet, aber faktisch ein Rechtsrock-Openair mit etwa 5000 Besuchern. Sleipnir waren einer der Headliner.

Süddeutsche.de: Was glauben Sie, wie die Aktion bei der Band ankommt: Freuen die sich, wenn ihr Liedgut bei solchen Anlässen gespielt wird? Oder ist den Musikern der politische Kontext dazu zu wichtig?

Raabe: Der Vorfall zeigt, dass das, was Sleipnir versuchen, ein Stück weit funktioniert: Lieder zu spielen, die softer oder sogar ganz soft sind, und eine weitere Verbreitung finden. Sleipnir hören auch Jugendliche, die nicht zum klassischen neonazistischen Kern gehören. Aber der Band gelingt es offensichtlich, zu denen eine Brücke zu bauen. Und wenn die soweit reicht, dass ihre Lieder auf einer Abschlussfeier gesungen werden, dann ist das für die Band ein Erfolg. Bei der extremen Rechten wird das ein höhnisches Grinsen über ihre Reichweite auslösen.

Linktipp: Wenn rechte Lieder zu Partyhits werden - jetzt.de-Autorin Kathrin Hollmer hat das erlebt und macht sich Gedanken über die "Ist doch nicht so schlimm"-Kultur unter Jugendlichen.

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