Rechte von Frauen in Afghanistan:Gulnaz - vergewaltigt, verurteilt, begnadigt

Mit 19 wird sie vom Mann ihrer Cousine vergewaltigt. Der Täter kommt hinter Gitter, doch auch Gulnaz wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt - wegen "außerehelichen Geschlechtsverkehrs". Nun wurde die junge Afghanin begnadigt: Ihr Leidensweg ist damit nicht zu Ende.

Tobias Matern, Delhi

Sie ist in Freiheit. Aber wo sie sich genau aufhält, will ihre Anwältin nicht verraten. Denn sie ist nicht sicher, sie muss Rache fürchten. Die Afghanin, die sich nur Gulnaz nennt, ist Opfer eines schlimmen Verbrechens geworden. Gulnaz war 19 Jahre alt, als der Mann ihrer Cousine sie vergewaltigte.

Das war vor zwei Jahren. Als sie schwanger wurde, musste sich Gulnaz unangenehme Fragen von der Familie und Bekannten gefallen lassen. Sie hatte versucht, die Vergewaltigung geheim zu halten. Aber ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen, wird in Afghanistan gesellschaftlich geächtet. Für die Ehre der Familie stellt es eine Schande da - und es gibt kaum etwas, das Afghanen wichtiger ist als ihren guten Ruf zu wahren.

Hoffnung auf einen "Präzedenzfall für andere verurteilte Frauen"

Der Peiniger der jungen Frau wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die junge Frau allerdings auch: wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs, wie ein Gericht befand.

Zunächst sollte sie zwei Jahre hinter Gittern verbringen, später wurde die Strafe auf zwölf Jahre erhöht. Im Gefängnis brachte Gulnaz eine Tochter zur Welt. Der Vergewaltigten wurde zu verstehen gegeben, sie müsse den Vater des Kindes heiraten.

Der Fall sorgte international für Aufsehen. Schließlich betont die westliche Staatengemeinschaft stets, dass die Frauenrechte im konservativen, männerdominierten Afghanistan gestärkt werden müssen.

Die Europäische Union unterstützte ein Filmprojekt, in dem auch Gulnaz zu Wort kam und ihren Fall schilderte. Die Dokumentation wurde dann aber doch nicht in Afghanistan gezeigt, denn die EU wollte die Sicherheit der gefilmten Frauen nicht gefährden. Sogenannte Ehrenmorde sind am Hindukusch keine Seltenheit. Präsident Hamid Karsai setzte sich schließlich für Gulnaz ein, bis eine Kommission vor zwei Wochen entschied, die inzwischen 21-jährige Frau solle aus der Haft entlassen werden.

Gulnaz' Anwältin sagte der BBC, ihre Mandantin sei ohne Bedingungen freigekommen und sie müsse den Vergewaltiger nicht wie zunächst befürchtet heiraten. "Ich hoffe, diese historische Entscheidung schafft einen Präzedenzfall für andere verurteilte Frauen in Afghanistan", betonte die Juristin.

Aber Gulnaz könnte sich dennoch dem gesellschaftlichen Druck beugen müssen. Zumindest hatte sie kürzlich in einem Fernsehinterview gesagt, sie sei eventuell bereit, ihren Vergewaltiger als Ehemann zu akzeptieren, wenn sie dafür aus dem Gefängnis entlassen werde.

Der Nachrichtensender CNN zitierte auch den verurteilten Mann, der bestreitet, die junge Frau überhaupt vergewaltigt zu haben. Kurz bevor Gulnaz aus der Haft kam, zeigte er sich überzeugt, dass sie im Falle einer Freilassung von ihrer eigenen Familie umgebracht würde.

Nach Ansicht der Afghanischen Menschenrechtskommission herrscht beim Thema sexuelle Gewalt eine "Kultur der Straflosigkeit", wie sie im vergangenen Jahr in einem Bericht moniert hatte. Verbrechen würden stets als Privatangelegenheit der Familie abgetan. Die Vereinten Nationen kritisierten jüngst, ein Gesetz zum besseren Schutz der afghanischen Frauen vor Vergewaltigungen und anderer Gewalttaten werde von den Behörden nur mangelhaft umgesetzt.

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