Razzia in Berlin:Ende eines Mythos

Razzia im Groß-Bordell

Nächtlicher Einsatz mit 400 Beamten: Razzia im "Artemis".

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Das Großbordell "Artemis" inszeniert sich gern als Club mit guten Arbeitsbedingungen für Prostituierte. Nun durchsuchten 400 Polizisten das Etablissement.

Von Verena Mayer, Berlin

Über Prostitution gibt es viele Mythen. Einer davon ist, dass es in dem Gewerbe besser und korrekter zugehe, seit in Deutschland Großbordelle erlaubt sind; dort sei es für die Frauen sicher und sauber, sie fänden fast schon einen klassischen Arbeitsplatz vor, ohne Gewalt und Zuhälter. Das Berliner Großbordell "Artemis" zelebriert diesen Mythos seit seiner Eröffnung 2005. Nicht nur, dass der Sauna-Club, wie sich das Artemis nennt, stets den Anschein erweckte, eine Art Wellness-Einrichtung zu sein, die Betreiber scheuten auch nie die Öffentlichkeit. Das Bordell machte Banner-Werbung bei Spielen von Hertha BSC, und immer wieder durfte das Privatfernsehen durch die Hamams, Pools und Saunalandschaften latschen, um den Frauen und Freiern Statements zu entlocken, wie nett und freundlich alles sei.

Seit Mittwochnacht dürfte dies ins Reich der Legenden gehören. Da durchsuchten 400 Beamte der Berliner Polizei das 3000 Quadratmeter große Bordell in der Nähe des Berliner Messegeländes, das nach Angaben der Betreiber jedes Jahr 110 000 Freier anzieht. Was man fand, waren Hinweise auf Steuerbetrug im großen Stil, auf Schwarzarbeit, organisierte Kriminalität und Menschenhandel. Zwei Betreiber des Bordells ("Weiße-Kragen-Kriminelle" nennt sie ein Ermittler) und vier Frauen, die den Ermittlern zufolge als sogenannte Hausdamen "ein wichtiges Passstück" zwischen den Betreibern und Prostituierten waren, wurden verhaftet. Rocker der Hells Angels sollen in dem Laden die Fäden ziehen, so die Vertreter von Staatsanwaltschaft, Zollamt und Polizei. Die Rocker hätten nicht nur freien Eintritt im Artemis, sie sollen auch Frauen an das Bordell vermittelt haben, und das offenbar nicht immer gewaltfrei. So hatte sich den Ermittlern eine Prostituierte anvertraut, die von einem Rocker zum Anschaffen ins Artemis geschickt und von dem Mann dermaßen malträtiert worden sein soll, dass sie nur mehr den Ausweg sah, zur Polizei zu gehen. "Das ist in diesem Milieu der letzte Strohhalm, da muss der Leidensdruck schon erheblich sein", so ein Ermittler.

Auch sonst seien die Frauen im Artemis, von denen viele aus Osteuropa und Russland stammen, "in Abhängigkeit gehalten und ausgebeutet" worden. So waren sie zwar auf dem Papier selbständig und frei, als Sexarbeiterinnen zu tun, was sie wollen. Die Realität sah jedoch wohl so aus, dass die Frauen in dem Bordell im Schichtbetrieb arbeiten mussten, immer vier Tage am Stück. Preise, Kleidung und Arzt-Wahl wurden ihnen offenbar diktiert, sie durften keine Werbung für ihre Dienste machen, und die Frauen, die nicht aus Berlin kamen, mussten im Artemis schlafen.

Dass man nun etwas gegen die Betreiber in der Hand hat, hat zwei Gründe: Zum einen liegt das daran, dass die Hauptstadt derzeit verstärkt gegen organisierte Kriminalität vorgeht. Zum anderen haben die Behörden einen neuen Hebel gefunden: das Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Denn auch Bordelle müssen Sozialabgaben und Steuern abführen, wenn Prostituierte dort wie Angestellte eingesetzt werden. Andernfalls machen sie sich wegen Beitragshinterziehung strafbar. Oder wie es ein Ermittler ausdrückte: Auch an Al Capone sei man am Ende über das Steuerrecht herangekommen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: