Raupe Nimmersatt:Lecker Hecke

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Grüngelb, gefräßig, giftig: Eine aus Ostasien eingewanderte Raupe frisst sich durch deutsche Gärten, Vögel spucken sie wieder aus. Droht das Ende der ordentlichen deutschen Heckenkultur?

Von Titus Arnu

Kreuzförmige Wegachsen, Blumen, in der Mitte ein Brunnen und dazwischen Beete, von uralten Buchsbaumhecken eingefasst: Der barocke Propsteigarten in Hirzenach ist einer der wenigen erhaltenen Klostergärten des 18. Jahrhunderts am linken Ufer des Mittelrheins. Ein friedlicher Ort - aber die Gärtner treibt die Angst um. "Wir haben große Sorge, dass der Zünsler alles zerstört", sagt Elke End, Vorsitzende eines Fördervereins, der für die Erhaltung des Propsteigartens zuständig ist.

Der Buchsbaumzünsler: Das ist eine grüngelbe Raupe, die bis zu fünf Zentimeter groß wird. Während sich die kleine Raupe Nimmersatt aus dem bekannten Bilderbuch von Eric Carle durch einen Apfel, zwei Birnen, drei Pflaumen, vier Erdbeeren, fünf Apfelsinen, ein Stück Schokoladenkuchen, eine Eiswaffel, eine saure Gurke, eine Scheibe Käse, ein Stück Wurst, einen Lolli, ein Stück Früchtebrot, ein Würstchen, ein Törtchen und ein Stück Melone frisst (und dann immer noch nicht satt ist), schmeckt dem Zünsler ausschließlich Buchsbaum. "Das sind unheimliche Fresser", sagt Heinrich Beltz, Gartenbauingenieur und Buchsbaum-Experte an der niedersächsischen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau. Die Raupen vernichten erst die Blätter, dann fressen sie die Rinde, bis nur noch ein braunes Gerippe übrig ist.

Im Berliner Regierungsviertel haben die Raupen begonnen, die Hecken zu schreddern

Aus den Raupen schlüpft dann aber kein "wunderschöner Schmetterling" wie im Kinderbuch, sondern der unscheinbare schwarz-weiße Falter Cydalima perspectalis. Er stammt aus Ostasien und wurde 2006 zum ersten Mal in Deutschland gesichtet. Seitdem hat die invasive Art erfolgreich Fuß gefasst, von Süddeutschland entlang des Rheins bis Nordrhein-Westfalen und Holland, auch in der Schweiz, in Frankreich und Österreich wurde der Falter schon gesichtet. Selbst im Berliner Regierungsviertel haben die Raupen damit begonnen, die Hecken systematisch zu schreddern. Eigentlich kommen die kleinen Falter nur ungefähr fünf Kilometer pro Jahr voran, aber durch den Transport von befallenen Pflanzen über Gartencenter und Baumschulen hat sich der Schädling in den vergangenen Jahren viel schneller verbreitet, als er es auf dem Luftweg hätte schaffen können. Es ist eine massive Plage. Experten befürchten, dass der Zünsler ein Desaster anrichten könnte. Besonders nervös ist man in den Verwaltungen von großen historischen Parkanlagen. Buchsbäume können bis zu 500 Jahre alt werden und sind dementsprechend wertvoll. Ganze Schlossgärten werden zu großen Teilen mit Buchsbaumhecken strukturiert.

Saftiges Buchsbaumgrün: Der Zünsler bekommt richtig Appetit, wenn er das sieht. Er ist nach Expertenmeinung "ein unheimlicher Fresser". (Foto: Getty Images)

Der Buchsbaum war schon in der Antike als Zierpflanze beliebt, er ist leicht formbar, immergrün und gilt als extrem anpassungsfähig. In Barockgärten kam der Buchs groß heraus, in Form von grünen Skulpturen und Hecken in geometrischen Mustern. In deutschen Gärten ist der Buchsbaum besonders in Heckenform populär, als lebender Raumtrenner zum Nachbargrundstück. Heinrich Beltz, Autor mehrerer Fachbücher zum Themenkomplex "Formgehölze", bezeichnet die Pflanze als "immergrünen Alleskönner", der Buchsbaum sei "sehr schnittverträglich". Außerdem komme er mit den meisten Standorten klar, vertrage bis zu einem gewissen Grad Kälte und Hitze, Nässe und Trockenheit. Kurz, der Buchsbaum galt als äußerst robust - bis zuerst eine Pilzkrankheit und dann die Raupe auftauchten und ihm massiv zusetzten.

Droht nun das Ende der akkurat frisierten, mit Wasserwaage und Schnur ausgerichteten grünen Mauer? Buchsbaumhecken werden von deutschen Hobbygärtnern so geliebt und zärtlich umhätschelt wie vielleicht sonst nur das Auto. Es gibt in Baumärkten sogar eine Art elektrischen Heckenrasierer mit integriertem Laubsauger zu kaufen, der den Buchsbaum millimetergenau zurechtfräst und das Schnittgut sofort absaugt und in einem Sack sammelt. Sehr ordentlich, sehr sauber, sehr gerade - so liebt der Deutsche seine Hecke. Der Buchsbaum ist für den deutschen Garten das, was die Jeans in der Alltagsmode ist: passt zu allem, unkompliziert - also absolut unverzichtbar.

Und jetzt will eine aus China dahergelaufene Miniraupe das alles kaputt machen? In Fachforen schimpfen Hobbygärtner bereits über "diese asiatischen Mistwürmer, die sich quer durch Deutschland fressen". Die Angst vor der grüngelben Gefahr wird oft mit deutlich ausländertierfeindlichen Untertönen formuliert. Das Problem an der Raupe ist aber nicht ihr Migrationshintergrund, sondern die Tatsache, dass selbst potenzielle Fressfeinde sie nicht anrühren. Möglicherweise schmeckt der Zünsler heimischen Vögeln nicht, weil er sich ausschließlich von Buchsbaum ernährt. Die Pflanze enthält 70 Alkaloide, die größtenteils giftig sind. Gartenbesitzer hätten beobachtet, wie Meisen die Raupen wieder ausspucken, berichtet Heinrich Beltz. Andere wiederum hätten gesehen, wie Vögel die Raupen verspeisten. Wissenschaftlich tragfähige Untersuchungen dazu gibt es jedoch nicht.

Die Hoffnung: Dass die natürlichen Fressfeinde es auch nach Deutschland schaffen

Ein weiteres großes Problem ist, dass die Raupe Nimmersatt eben so klein und unauffällig ist. Wenn man eine Chance gegen den Buchsbaumzünsler haben will, muss man die jungen Raupen erwischen, am besten geht das im April und im Juli. Es gibt sehr wirksame biologische und chemische Gifte gegen den Schädling, doch damit ein vernichtender Schlag gelingt, muss man die Biester erst einmal entdecken. Und das ist nicht so leicht, denn die Eier haften an den Unterseiten der Blätter. Die Raupen fressen sich vom Inneren des Busches nach außen. Bevor der Befall offensichtlich wird, ist es oft schon zu spät. Falls man die Tiere bemerkt, solle man zuerst versuchen, sie mit konventioneller Kriegsführung zu bekämpfen, raten Experten: absammeln und Büsche abduschen, am besten mit einem Hochdruckreiniger.

Mit dem Kärcher gegen Killerraupen, eine typisch deutsche Hightech-Taktik. Vielleicht hilft aber auch Geduld. Der Buchsbaumzünsler hat in seiner Heimat natürliche Feinde, die ihn im Zaum halten, etwa die Asiatische Hornisse Vespa velutina. Fast zeitgleich mit dem Zünsler ist sie im Südwesten Frankreichs angekommen, vermutlich ebenfalls über den Seeweg aus China. Nun arbeitet sie sich beharrlich nach Norden voran, in Rheinland-Pfalz wurde schon ein Nest entdeckt. Die EU hat das Insekt auf die "Liste der unerwünschten Spezies" gesetzt. Eine chinesische Hornisse ist wirklich kein grundsympathischer Einwanderer - aber vielleicht rettet sie die Buchsbaumhecke.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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