Raumfahrt:Die Marsmenschen von Pasadena

Wie man ein Marsmobil von Kalifornien aus steuert, wenn jeder Funkbefehl zwanzig Minuten bis zum Roten Planeten braucht.

Von Christopher Schrader

Seit vier Monaten lebt Eric Baumgartner auf dem Mars - zumindest richtet er sein Leben nach dessen Zeit aus.

Marsmobil Spirit

Marsmobil Spirit

(Foto: Foto: dpa)

Da kann im kalifornischen Pasadena die Sonne scheinen oder der Mond leuchten, sobald auf dem Mars die Sonne über der Marssonde Opportunity untergeht, beginnt der Nasa-Angestellte mit seinem Arbeitstag: Er verpackt das wissenschaftliche Programm in kurze Computerbefehle, das Opportunity am nächsten Sol, also am nächsten Marstag, absolvieren soll.

"Jeden Tag verschiebt sich mein Rhythmus um 40 Minuten", erzählt Baumgartner, "um diese Zeitspanne ist ein Sol länger als ein Tag."

Diesen Angriff auf die innere Uhr mutet die Nasa einigen Hundert Menschen im Kontrollzentrum Jet Propulsion Laboratory in Pasadena zu. Die Forscher und Techniker arbeiten hinter ständig geschlossenen schwarzen Jalousien.

Viele von ihnen tragen zwei Armbanduhren: links die normale für die Erdzeit, rechts eine Spezialanfertigung mit einem Marsfoto auf dem Zifferblatt, die langsamer tickt und den Verlauf eines Sol anzeigt.

Die Nasa-Mitarbeiter müssen sich einer technische Notwendigkeit anpassen: Jeden Sol bei Sonnenaufgang benötigen die Mars-Rover Befehle, die sie dann autonom abarbeiten. Denn die sechsrädrigen Gefährte lassen sich nicht von der Erde aus fernsteuern.

Die beiden Planeten Erde und Mars sind im Moment so weit voneinander entfernt, dass Signale mit Lichtgeschwindigkeit 20 Minuten pro Weg brauchen. Die Reaktionszeit eines "Fahrers" wie Eric Baumgartner betrüge also mindestens 40 Minuten.

Das wäre in der jetzigen Situation halsbrecherisch. Denn seit einigen Tagen tastet sich Opportunity am Rand eines Kraters entlang, den die Nasa Endurance genannt hat. Die Sonde sucht nach einer Stelle, wo sie gefahrlos in die Senke hineinfahren kann, um ihren Boden zu vermessen.

"Der Kraterrand vor uns ist 18 bis 20 Grad geneigt", sagt Baumgartners Kollege Brian Cooper. "Wenn wir nicht nahe genug an die Kante fahren, sehen wir nichts, wenn wir uns zu weit vorwagen, könnte der Rover hineinfallen."

Im Rausch der Spektren

Diese genaue Planung für den nächsten Marstag beginnt jeweils, wenn es für den Rover Nachmittag ist. Dann legen die Techniker im Kontrollzentrum die Randbedingungen für den nächsten Sol fest. Sie sitzen in einem großen L-förmigen Raum in der vierten Etage eines sechsstöckigen Bürobaus auf dem Gelände des JPL. Ihre Monitore zeigen ihnen, wie viel Energie der Rover hat und wann ein Mars-Satellit über ihn hinweg fliegt und Daten zur Erde weiterleiten kann.

Die Marsmenschen von Pasadena

Etwa zur gleichen Zeit treffen sich die Wissenschaftler im Science Download Assessment Room; er befindet sich für Spirit im vierten und für Opportunity im fünften Stock. Hier schauen sich die Forscher die Messdaten an, die frisch angekommen sind: Diese zeigen ihnen, ob es sich lohnen könnte, an einer Stelle zu verharren, einen Fels anzubohren und in dem Loch eine Messung zu wiederholen.

In diesem Raum sitzen meist auch einige Deutsche. Denn zwei der fünf Instrumente, die Daten vom Rover liefern, stammen aus Deutschland - genauer gesagt aus Mainz, von der dortigen Universität und dem Max-Planck-Institut für Chemie. Es hat der Nasa zwei APX-Spektrometer geliefert, die chemische Elemente im Marsgestein analysieren. Die Uniforscher haben Mössbauer-Spektrometer beigesteuert, die Eisenverbindungen im Fels messen.

"Seit die ersten Bilder hier unten angekommen sind, leben wir wie in einem Rausch", sagt Bodo Bernhardt von der Universität Mainz. "Wir haben mehr Spektren bekommen, als wir je zu träumen wagten." Offenbar haben die Mainzer Forscher also beim Verteilungskampf um die Zeit des Rovers gut abgeschnitten.

Denn wenn sich die Wissenschaftler am Marsnachmittag treffen, müssen sie Prioritäten festlegen: Weiterfahren oder weitermessen? Mit dem Mikroskop oder dem Mössbauer-Gerät? Den Stein vorher anbohren oder nicht? "Das Wissenschaftler-Team arbeitet sehr demokratisch, auch der Vorsitz wechselt", sagt Bernhardts Kollege Christian Schröder. Mit den Kompromissen könnten alle leben.

Die eigentliche Entscheidung fällt aber erst, wenn über dem Rover die Sonne untergeht. Dann trifft sich in einem großen Raum im sechsten Stock die Science Operations Working Group (SOWG), meist unter Vorsitz des Chef-Wissenschaftlers Steve Squyres von der Cornell University. Sie muss die technischen Randbedingungen, die Wünsche der Forscher und das Drängen aus dem Nasa-Hauptquartier abwägen.

"Für die Nasa bedeutet der Erfolg der Mission vor allem, dass die Rover fahren", sagt Ralf Gellert vom Mainzer Max-Planck-Institut. Das Drängen der Nasa-Oberen im fernen Washington schlägt sich in den täglichen Bulletins nieder, die stets stolz verkünden, wie weit die beiden Rover inzwischen gekommen sind.

Spirit hat mehr als eine Meile geschafft, Opportunity steht etwa bei einem Kilometer. Er ist in fünf Wochen über 800 Meter von seiner Landestelle zum Endurance-Krater gefahren.

Sobald sich die Forscher in der SOWG versammeln, setzt sich Eric Baumgartner an einen Schreibtisch hinter Squyres' Platz. Er hört mit halbem Ohr zu und beginnt derweil, das Computer-Programm für den nächsten Tag zu planen. Und wenn sich die Forscher geeinigt haben, übersetzt Baumgartner den Plan in Kommandos für die einzelnen Motoren.

Als Opportunity zum Beispiel vor einiger Zeit wenige Meter vom Felsen mit dem Spitznamen Berry Bowl zum Shark's Tooth fahren sollte, musste der Rover erst zurücksetzen, sich dann drehen, vorwärts fahren, drehen, fahren. Solche Sequenzen überprüft Baumgartner im "Videorekorder-Modus", wie er das nennt.

Dann taucht auf dem linken der beiden Monitore vor ihm eine Grafik des Rovers und seiner Umgebung auf, mit allen Felsen, Löchern und Neigungen. Der Roverfahrer kann diese Ansicht beliebig drehen, um aus jedem gewünschten Blickwinkel zu kontrollieren, ob der Rover wirklich so fahren kann, wie der Fahrer es ihm vorschreiben will.

Musik für den Morgenmuffel

Im Prinzip kann der Roboter aber auch allein navigieren. Das nutzen die Techniker vor allem, wenn es lange Strecken geradeaus durch Terrain geht, das sie noch nicht in allen Einzelheiten kennen.

Spirit und Opportunity analysieren dann die Strecke vor ihnen und teilen jeden Fleck in eine von drei Kategorien ein: grün für gute Piste, gelb für schwierig, aber möglich, rot für gefährlich und darum verboten. "Der Rover ist dann langsamer", sagt Baumgartner, "aber manchmal ist das sicherer, als wenn er Kommandos von der Erde folgt."

Auch die Bewegungen des Arms verlangen eine detaillierte Planung. Seine drei Gelenke, die wie Schulter, Ellbogen und Handgelenk des Menschen angeordnet sind, müssen aufeinander abgestimmt arbeiten. Hier gab es an Opportunitys zwanzigstem Sol beinahe eine Panne: Der Roboter sollte seine Hand nach vorne bewegen, hätte dafür aber erst den Ellbogen von oben nach unten drehen müssen.

Erst seine eingebaute Software erkannte den Konflikt. "Der Rover überprüft Befehle und verweigert sie, wenn sie gefährlich sind", sagt Baumgartner. "Wir hatten hier unten und dort oben nicht exakt die gleiche Software."

Der Rover-Fahrer schreibt nicht die ganze Programm-Sequenz selbst. Auch die Wissenschaftler kommen in den Sequencing Room, der für Opportunity im fünften Stock ist. "Unsere Kommandos sind ja nicht sehr schwierig", sagt Bodo Bernhardt, "einschalten, ausschalten, Daten übertragen, mal den Antrieb für die radioaktive Quelle verstellen."

Dennoch müssen die Forscher sehr genau überlegen, was sie tun. Denn genauso wenig wie die Fahrer im Laufe eines Sol in das Programm der Rover eingreifen können, haben die Wissenschaftler bei interessanten Daten die Möglichkeit, sofort den Plan zu verändern.

Unter den gleichen Zwängen arbeitet neun Zeitzonen weiter östlich ein weiteres Team, das einem Mars-Späher regelmäßig neue Befehle schicken muss. Im Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt (Esoc) wird der Flug der europäischen Sonde Mars Express gesteuert; hier hat unter anderem Erhard Rabenau die Aufgabe, die Programmsequenz zusammenzustellen.

Das Esoc lebt nicht wie die Kollegen in Pasadena streng nach der Mars-Zeit, aber auch hier spielen Tag und Nacht eine entscheidende Rolle: Wenn Mars Express aus dem Schatten des Planeten auftaucht, müssen die Kontrolleure den Funkkontakt wiederherstellen und die neuen Programmzeilen übermitteln. Etwa zwölf Stunden dauert es hier wie dort, bis die paar Hundert Befehle für die jeweiligen Mars-Späher zusammengestellt und geprüft sind.

Das Esoc übermittelt seine Befehle jedoch immer einen Tag im Voraus. In Pasadena ist der Zeitplan knapper: Erst bei Sonnenaufgang bekommt der Rover seine Anweisungen. Die Techniker in ihrem L-förmigen Kontrollraum wecken den Roboter vorher mit einem Rocksong auf, der zum kommenden Tag passt.

Als Opportunity zum ersten Mal mit einem neuen Betriebssystem losfahren sollte, hörte er "Teenage Lobotomy" von den Ramones. Und vor wenigen Tagen schickten die Techniker Cat Stevens' "Morning has broken" zum Mars - da hatte Opportunity zum ersten Mal besonders tief "geschlafen", um Energie zu sparen.

Der Roboter, zeigt sich dabei immer wieder, ist ein Morgenmuffel. Er reagiert auf die neuen Anweisungen nur mit einem knappen Kontrollton und geht dann wortlos seinem Sol-Werk nach.

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