Rassismus-Debatte in den Niederlanden:"Schwarzmalerei" alarmiert Vereinte Nationen

Fremdenhass oder harmloser Kinderspaß? Weil der niederländische Knecht Ruprecht schwarz ist, führt eine ganze Nation Jahr für Jahr eine Rassismusdebatte. Doch diesmal hat der Streit eine andere Dimension erreicht. Die Vereinten Nationen haben sich eingeschaltet.

Von Thomas Kirchner

Es ist schon eine richtige Tradition geworden in den Niederlanden: Kommt der Herbst, kommt die Rassismus-Debatte. Anlass ist der Zwarte Piet, der Helfer des Sinterklaas (Nikolaus). Er hat ein schwarz angemaltes Gesicht, rote Lippen, Afro-Look-Perücke und trägt bunte Gewänder mit Pumphosen.

Früher fürchteten sich holländische Kinder auch ein wenig vor dem Schwarzen Peter, dem sie in der Zeit vor dem 5. Dezember in Einkaufszonen und auf Umzügen begegnen, schließlich mussten sie glauben, dass er ihre Verfehlungen kannte. Heute lieben sie den herumwitzelnden Gesellen, weil er ihnen Geschenke bringt. Vielen Einwanderern aber gilt er als personifizierte Diskriminierung, als "koloniales Relikt", gegen das sie jährlich aufs Neue protestieren.

Die Debatte hat nun eine andere Dimension erreicht, weil sich die Vereinten Nationen eingeschaltet haben. Eine Kommission des Hohen Kommissars für Menschenrechte will in den kommenden Wochen durchs Land ziehen und herausfinden, ob der holländische Knecht Ruprecht und das ganze Sinterklaasfest rassistische Züge tragen. Die Chefin der Kommission, die dunkelhäutige Verene Shepherd, hat das Ergebnis der Nachforschungen schon vorweggenommen: Die Nikolaustradition sei eine "Rückkehr in die Sklaverei" und müsse abgeschafft werden, sagte sie im niederländischen Fernsehen.

"Der Zwarte Piet ist eben schwarz"

Das wiederum löste einen Aufschrei aus, wie ihn das Land in dieser Form noch nie erlebt hat: Mehr als eine Million Holländer schlossen sich innerhalb weniger Stunden einer Facebook-"Pietition" an, die die unveränderte Beibehaltung des Festes fordert: "Finger weg von unserem Piet!" Inzwischen hat die Seite fast zwei Millionen "Likes". Sinterklaas sei bloß ein harmloser Kinderspaß, einzigartig in der Welt und nicht im Mindesten rassistisch, heißt es sinngemäß in Tausenden Kommentaren im Netz.

In Syrien und in Afrika hungerten Kinder, twitterte eine Frau, darum sollten sich die Vereinten Nationen mal besser kümmern. Ein anderer klagte, es wäre besonders schade um die Tradition, weil sie sich wohltuend unterscheide von dem seelenlosen Kommerz-Wahn, zu dem das christliche Weihnachtsfest geworden sei. Sogar eine Demonstration soll es am Wochenende geben. Die Politik duckt sich derweil. "Der Zwarte Piet ist eben schwarz", sagte Premier Mark Rutte bloß lakonisch.

Erste Kritik am Schwarzen Peter gab es schon Ende der Sechziger, doch bis vor einigen Jahren blieb es bei Gegrummel. Dann nahmen sich Aktivisten wie Quinsy Gario der Sache an. Der aus Curaçao stammende Künstler reichte nicht nur bei diversen lokalen Behörden Klage ein, sondern auch beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Schwarze würden hier als dumm, lustig und unterwürfig dargestellt, argumentiert er, das verletze viele.

Bestätigt fühlen kann sich Gario von einer Kommission des Europarats, die die Niederlande kürzlich aufforderte, strenger gegen Rassismus vorzugehen. Der nationale Ombudsmann Alex Brenninkmeijer befand sogar, das politische Klima in Den Haag sei von Grund auf rassistisch. Etwa ein Fünftel der Bewohner des Landes hat einen Migrationshintergrund, Hunderttausende stammen aus den früheren Kolonien in Südamerika und Südostasien: aus Indonesien, Surinam, den Antillen.

"Sinterklaas ist das Holländischste, was es gibt"

Was also tun? Die Tradition sei ja "nicht in Beton gegossen", versuchte die Zeitung Volkskrant zu beruhigen. Ganz früher hatte auch der holländische Nikolaus einen buckligen Gehilfen mit Rute. Erst 1850 gab ihm der Lehrer Jan Schenkemann in einem Buch seine heutige Gestalt. Man könnte doch, so der Vorschlag wohlmeinender - Böswillige sagen: politisch korrekter - Niederländer, den Schwarzen zum Bunten Peter verwandeln, ihm grüne, rote, blaue Farbe ins Gesicht schmieren. Als das ein lokaler Verein aber tatsächlich machen wollte, erhielt er Todesdrohungen.

Der Streit erinnert an die Debatte über die "Negerlein", die der Thienemann Verlag Anfang des Jahres aus Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker "Die Kleine Hexe" strich. Die Bücher müssten, um zeitlos zu bleiben, an den sprachlichen und politischen Wandel angepasst werden, begründete Thienemann-Verleger Klaus Willberg den Schritt. Er wurde gelobt, auch kritisiert, dann schlief die Debatte wieder ein.

Kampf für Überzeugungen

Das ist bei den Nachbarn nicht zu erwarten, wo das Selbstverständnis des Landes direkt betroffen ist. Für Dunkelhäutige steht der Zwarte Piet für die alltägliche Diskriminierung, die sie erfahren: bei der Arbeit, wenn sie eine haben, beim Einkaufen, in Behörden. Die anderen fürchten um ihre Kindheit. "Sinterklaas ist das Holländischste, was es gibt", sagt der Publizist René Cuperus, "das ist das existenziellste Element unserer Identität." Ein "Bunter Piet" wäre das typische "Polder"-Konsens-Modell, sagt er. "So würden wir es uns zu einfach machen. Das wäre Kapitulation. Man muss schon ein bisschen kämpfen für seine Überzeugungen."

Eine Karikatur zeigte dieser Tage das Dilemma der Niederländer: "Sorry, wir wollen nur weiße Peter anstellen", wimmelt der Nikolaus einen schwarzen Bewerber ab. Der protestiert: "Das ist Rassismus!"

Eine Lösung, die alle befriedigt, gibt es nicht in solchen Debatten. Der Idealfall wäre eine Gesellschaft, die souverän genug ist, Worte, Gesten und Zeichen in ihrem Kontext zu sehen. Der hat im Falle des Zwarten Piet nicht das Geringste mit Rassismus zu tun. Dann bliebe auch mehr Zeit und Kraft, gegen tatsächliche Fälle von Diskriminierung vorzugehen. Aber von dieser Souveränität sind nicht nur die Niederlande weit entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: