Rassismus bei der US-Polizei:Was North Charleston und Ferguson verbindet

  • Der gewaltsame Tod des unbewaffneten Schwarzen Walter Scott erinnert an den Fall Michael Brown, der zum Symbol von Rassismus und Gewalt bei der US-Polizei geworden ist.
  • Die Fälle ähneln sich in vielerlei Hinsicht, doch von den Schüssen in North Charleston, South Carolina, gibt es Videobilder.
  • Für Mittwochmorgen sind in der Ostküstenstadt Proteste angekündigt.

Von Lena Jakat

Ein weißer Polizist erschießt einen schwarzen unbewaffneten Mann. Wer diese Schlagzeile aus North Charleston, South Carolina, liest, denkt unweigerlich an den Tod von Michael Brown in Ferguson, Missouri, im vergangenen Sommer.

Am Mittag des 4. August 2014 wird Michael Brown in Ferguson angehalten und aufgefordert, den Gehweg zu benutzen. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, der Polizeibeamte Darren Wilson verlässt den Streifenwagen. Wenig später wird der unbewaffnete Brown von sechs Kugeln getroffen und stirbt. Am diesem Samstagmorgen wird Walter L. Scott in North Charleston an einer Ampel angehalten, es geht um ein kaputtes Licht an seinem Auto. Der unbewaffnete Scott verlässt den Wagen, es kommt zu einer Auseinandersetzung mit dem Polizisten Michael T. Slager. Wenig später fallen acht Schüsse - Scott ist tot.

Und es gab in jüngerer Vergangenheit weitere Fälle, in denen wehrlose Menschen durch Polizeigewalt zu Tode kamen. In Albuquerque im Bundesstaat New Mexico wurde im März 2014 ein unbewaffneter Obdachloser von der Polizei erschossen. In New York starb im Juli der Schwarze Eric Garner, nachdem Polizisten ihn gewürgt hatten. In Cleveland erschoss die Polizei im November den zwölfjährigen Schwarzen Tamir Rice, der mit einer ungefährlichen Softair-Waffe herumgefuchtelt hatte.

Doch es ist die Stadt Ferguson, die wie keine zweite zum Synonym geworden ist für den besorgniserregenden Zustand der US-Polizei in vielen Städten. Zum Synonym für die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt und von Polizisten, deren latenter Rassismus täglich zu spüren ist, weil sie hauptsächlich Schwarze kontrollieren - "racial profiling" nennen Experten das. Zu einem Synonym schließlich für staatliche Institutionen, die den Kontakt zu denen, denen sie dienen sollen, längst verloren haben.

Die USA schienen auf einem guten Weg zu sein. Bis jetzt

Michael Browns Tod, vor allem aber die massiven Proteste, die darauf folgten, lösten in den Vereinigten Staaten eine nie dagewesene Debatte über Vorgehen und Bewaffnung der Polizei aus. Eine Sonderkommission des Weißen Hauses sprach in der Folge umfangreiche Empfehlungen aus, Generalstaatsanwalt Eric Holder reiste in Problemstädte im ganzen Land. Die Schwierigkeiten schienen erkannt und die USA bei der Lösungssuche auf einem guten Weg zu sein.

Und nun North Charleston.

Der gewaltsame Tod von Walter Scott, 50 Jahre, unterschiedet sich von Michael Browns Tod in einem maßgeblichen Punkt: Von den Schüssen in North Charleston existiert ein Video. Aufgenommen von einem Passanten, veröffentlicht von der New York Times und der Lokalzeitung The Post and Courier, sorgen diese Handybilder dafür, dass aus einer Polizeimeldung eine international beachtete Schlagzeile wird.

Denn das Video widerspricht den ursprünglichen Polizeiangaben, wonach es zwischen Scott und dem Polizisten zu einem Gerangel gekommen sei, im Zuge dessen er dem Beamten seinen Elektroschocker abgenommen habe. Das Video zeigt im Gegenteil Scott, wie er vor dem Beamten wegläuft und anschließend von Schüssen in den Rücken getroffen wird. Es zeigt auch, wie der Polizist dem Verdächtigen Handschellen anlegt, statt Erste Hilfe zu leisten. Wie auch die herbeigerufene Verstärkung daneben steht, anstatt zu helfen.

Schwarze in North Charlestons Institutionen unterrepräsentiert

Wie der 18-jährige Michael Brown war auch Walter Scott der Polizei nicht völlig unbekannt. Doch nach Informationen der örtlichen Zeitung Post and Courier ging es dabei um Vorladungen in Unterhaltsverfahren. Nur ein einziges Mal sei er unter dem Verdacht von Körperverletzung festgenommen worden, heißt es in dem Bericht: 1987, vor 28 Jahren. Nichts, was auch nur ansatzweise auf eine polizeibekannte Gewaltbereitschaft hindeutet.

North Charleston - nicht zu verwechseln mit der benachbarten Hafenstadt Charleston, die dem populären Tanz der 1920er Jahren seinen Namen gab -, ist die drittgrößte Stadt im US-Bundesstaat South Carolina. Wie in Ferguson, Missouri, besteht in North Charleston ein Ungleichgewicht zwischen der mehrheitlich schwarzen Bevölkerung und mehrheitlich von Weißen dominierten Machtstrukturen: 47 Prozent der 100 000-Einwohner Stadt sind schwarz, 37 Prozent weiß. Die Seiten der Stadtverwaltung zeigen allerdings ein anderes Bild: Bürgermeister Keith Summey ist weiß, ebenso wie sieben der zehn Mitglieder seines City Councils. Die Polizei von North Charleston bestand 2007 laut Zahlen des Justizministeriums, die die New York Times zitiert, zu 80 Prozent aus weißen Beamten.

In Ferguson wurde just an diesem Dienstag eine schwarze Frau in den Stadtrat gewählt, der nun zur Hälfte aus Afroamerikanern besteht - die 67 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die ethnische Zusammensetzung in dem Vorort von St. Louis hat sich seit 1990, als dort noch mehrheitlich Weiße lebten, massiv verschoben (eine grafische Aufbereitung finden Sie hier). Der Anteil schwarzer Polizisten in Ferguson liegt bei gerade einmal sechs Prozent, ein Umstand, der im Zuge der dortigen Unruhen immer wieder kritisiert wurde.

North Charleston - die Heimatstadt von Walter Scott - war bis in die 1990er Jahre geprägt von dem Marinestützpunkt, der der Region über Jahrzehnte Einkommen und Hunderttausende Arbeitsplätze beschert hatte. 1993 wurde die Schließung der Basis bekanntgegeben, ein wirtschaftlicher Schlag für die Stadt. Die finanziellen Einbußen sollen für die Region jährlich mehr als eine Milliarde Dollar betragen.

2009 kündigte Boeing an, seinen 787 Dreamliner in North Charleston bauen lassen zu wollen - ein Rettungsring für die örtliche Wirtschaft. Heute ist die Ostküstenstadt eines der wichtigsten Industriezentren des Bundesstaats South Carolina. Anfang April kündigte Mercedes an, dort ein Werk eröffnen zu wollen, und versprach 1500 weitere Jobs.

Die Armutsrate im County Charleston liegt mit 17,7 Prozent allerdings deutlich höher als jene im County St. Louis (10,5), zu dem Ferguson gehört. Die Kriminalitätsrate in North Charleston liegt ebenfalls höher als in Ferguson, laut der Daten-Aggregator-Seite City Data kamen dort 2012 zum Beispiel 12,9 Tötungsdelikte auf 100 000 Einwohner, in Ferguson waren es 9,4.

Walter Scott, der Mann, der in North Charleston am Samstag durch Schüsse aus der Waffe des Polizisten Michael T. Slager starb, kommt in dieser Statistik nicht vor. Möglicherweise noch nicht. Denn Slager wurde unter Mordverdacht festgenommen. "Wenn du falsch liegst, liegst du falsch", sagte Bürgermeister Summey bei einer Pressekonferenz. "Wenn du eine schlechte Entscheidung triffst - ganz gleich, ob als Vertreter der Staatsgewalt oder normaler Bürger auf der Straße, musst du mit dieser Entscheidung leben."

Bislang hat sich der 33-jährige Slager nichts zu Schulden kommen lassen. 2013 wurde er zwar verdächtigt, einen Mann grundlos mit einem Taser angegriffen zu haben. Die internen Ermittlungen wurden jedoch ergebnislos eingestellt.

Der Tod Walter Scotts ist allerdings nicht der erste Polizeiskandal in South Carolina. Im September wurde ein Polizeibeamter entlassen und wegen Körperverletzung angeklagt. Er hatte einen schwarzen Mann angeschossen und verletzt, als dieser nach seinen Ausweispapieren griff. 2011 erhob die örtliche Abteilung der Bürgerrechtsorganisation NAACP schwere Vorwürfe gegen die örtliche Polizei - wegen rassistischer Vorgehensweise: Junge schwarze Männer würden viermal so häufig angehalten wie weiße.

Für Mittwochmorgen (Ortszeit) sind vor dem Rathaus von North Charleston Proteste angekündigt.

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