Raser-Prozess in Wiesbaden:"Mein Leben ist zerstört"

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Tödliche Raserei: Bei einem Unfall auf der B 260 in Hessen starben vor zwei Jahren fünf Menschen. Nun steht der Unfallverursacher vor Gericht. (Foto: imago)
  • Ein Autofahrer überholt, ein anderes Fahrzeug wird zum Ausweichen gezwungen und gerät unter einen entgegenkommenden LKW.
  • Fünf Männer sterben bei dem schweren Unfall.
  • Jetzt muss sich ein 42-Jähriger vor Gericht verantworten. Doch der schweigt.

Von Hans Holzhaider, Wiesbaden

Der Unfall liegt jetzt fast genau zwei Jahre zurück, aber Michael W., 49, ist noch immer nicht hinweggekommen über das, was damals geschah. Seine Stimme bebt, als er dem Gericht erzählt, was sich am Morgen des 19. September 2013 auf der Bundesstraße 260 zwischen Nassau und Bad Schwalbach ereignet hat. Michael W. ist Straßenmarkierer, und an jenem Morgen war er mit seinem 18-Tonnen-Lkw mit Anhänger zu einer Baustelle unterwegs. 50 Meter vor ihm fuhr ein Kollege in einem weiteren Lkw.

Die Straße ist dort über Kilometer schnurgerade, aber sie führt auf und ab, durch Senken und über Kuppen. Hinter den beiden Lastwagen hatte sich eine lange Autoschlange gebildet. "Es war auf der Kuppe", sagt Michael W., "da hat mich der rote BMW überholt. Vor mir ist er halb wieder eingeschert, dann ist er wieder raus, um auch noch den Kollegen zu überholen." Michael W. hatte das entgegenkommende Auto schon von Weitem gesehen, "der war auch flott unterwegs. Das konnte nicht gut gehen." Der Fahrer des Peugeot 406 versuchte noch auszuweichen, kam mit den rechten Rädern auf das unbefestigte Bankett, geriet ins Schleudern, "und dann ist er kerzengerade in mich reingeschossen. Ich habe ihn 40 oder 50 Meter vor mir hergeschoben."

"Alle fünf sind tot."

Michael W. weiß noch, dass er ausstieg und versuchte, die Tür des Fahrzeugwracks zu öffnen. Dann erinnert er sich nur noch daran, dass er danach im Krankenhaus wieder aufwachte, ein Seelsorger war bei ihm, und eine Frau kam zur Tür herein und sagte: "Alle fünf sind tot."

"Das scheint Sie noch immer sehr mitzunehmen", stellt der Vorsitzende Richter fest. "Mein Leben ist zerstört", sagt Michael W., "seit dem Unfall kann ich nicht mehr arbeiten."

Das Schweigen des BMW-Fahrers

Der Fahrer des roten BMW hatte nicht angehalten. Michael W. hatte die Buchstaben RÜD für Rüdesheim auf dem Kennzeichen erkannt. Die Polizei bat die Bevölkerung um Hilfe bei der Fahndung nach dem Unfallfahrer, und bald kamen Hinweise auf Cris G., 42, der für seine "forsche Fahrweise" bekannt sei. Die Unfallstelle liegt auf dem Weg von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz. Aber Cris G. schwieg. Er schweigt auch jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht Wiesbaden. Kein Wort, das über die Feststellung seiner Personalien hinausgeht. Staatsanwalt Ulrich Schneider steht bei dem Prozess vor einer schwierigen Aufgabe.

Mark B., 48, Diplomingenieur, ist einer der Zeugen, auf die sich die Anklage stützt. Mark B. versteht wirklich viel von Autos. Er fuhr in der Autoschlange hinter den beiden Lkws, und er kann sich sehr gut an den roten BMW erinnern, der auch ihn überholte. "Ein 3er, compact, klassisches BMW-Rot." Besonders aufgefallen ist ihm der Auspuff: "Man sah den kompletten Auspufftopf. Trapezförmig, mit Doppelendrohr. Die Endrohre nicht verchromt, beige-grau, das heißt, es war kein Sportauspuff. Absolut markant."

Man zeigte Mark B. den BMW von Cris G., einen 3er compact, BMW-Rot, aber der Auspufftopf war durch eine schwarze Kunststoffblende verdeckt. Wenn man die allerdings abmontierte, sah man den Topf: Trapezförmig Doppelendrohr, unverchromt, beige-grau.

Auch Timo S., 34, war an diesem Morgen auf der B 260 unterwegs. Er hatte es ein bisschen eilig - neben ihm saß seine hochschwangere Frau, sie sollte zur Einleitung der Geburt nach Wiesbaden in die Klinik kommen. Trotzdem blieb Timo S. brav in der Schlange hinter den beiden Lkws: "Ich dachte, zum Überholen reicht es nicht mehr vor der Kuppe." Aber der rote BMW überholte trotzdem. Timo S. fiel ein Aufkleber auf, an der Heckklappe neben dem Kennzeichen. Der erinnerte ihn an das Emblem eines Motorrad-Clubs aus der Umgegend - "Tatoka Germany", mit einem geflügelten Kuhkopf als Emblem. So einen Aufkleber, sagt der Staatsanwalt, habe auch der Angeklagte auf seinem Auto gehabt und ihn nach dem Unfall entfernt.

Dass sich Cris G. zur fraglichen Zeit in der Nähe des Unfallorts befand, bezeugt Alexander H., 22. Der Student fuhr durch die Ortschaft Kemel, kurz hinter der Unfallstelle, als ihm Cris G. in seinem BMW entgegenkam. Er kannte das Auto und auch den Fahrer, er hatte beide schon öfter in der Gegend gesehen. Er erkannte auch das Kennzeichen, jedenfalls RÜD für Rüdesheim und die Buchstaben YY.

Kann der Angeklagte überführt werden?

Sieben Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt, aber noch ist ungewiss, ob die Indizien ausreichen, um Cris G. als den Mann zu überführen, der den Tod von fünf Menschen verursacht hat. Einer von ihnen war Abdel Naser al Khateib, 44, aus Jordanien. Seit elf Jahren lebte er mit seiner Frau Rolla in Deutschland, sie haben drei Kinder, sechs, neun und zehn Jahre alt. Auch Raid Abbas, ein Nachbar der Familie al Khateib, saß mit im Auto; er hinterlässt eine Frau und zwei kleine Kinder.

Am Morgen des 19. September 2013 waren die beiden mit drei Landsleuten unterwegs zur Arbeit. Fünf Männer in einem kleinen Auto. Als der rote BMW entgegenkam, hatten sie nicht die geringste Chance.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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