WM in Frankfurt:Muggel auf Schnatz-Suche

Quidditch Weltmeisterschaft in Frankfurt am Main

Mit Besen zwischen den Beinen: Muggel-Quidditch.

(Foto: dpa)

Für die Harry-Potter-Sportart Quidditch braucht man vier Bälle, 14 Spieler und ein paar fliegende Besen. Nur, wie funktioniert das Spiel, wenn keiner fliegen kann? Ein Besuch bei Quidditch-WM in Frankfurt.

Von Sophie Burfeind, Frankfurt

Als Christian Zimpelmann auf den Platz stürmt, haben sie zwar schon verloren, aber den Schnatz, wenigstens den will er noch fangen. Der Schnatz ist ein gelber Tennisball in einem gelben Socken, der vom Hintern eines gelb gekleideten Mannes baumelt. Zimpelmann, Sucher der deutschen Nationalmannschaft, hüpft um ihn herum, rammt ihn an der Schulter, dann reißt er ihm den Ball mit einem eleganten Hechtsprung zum Po aus der Hose.

Die deutsche Mannschaft bricht in laute Jubelschreie aus, hüpft, umarmt sich, die Spieler rennen eine Runde auf dem Rasenplatz, eine Runde für die Fans, die am Rand des Spielfelds sitzen. Auch die können sich gar nicht mehr einkriegen vor Begeisterung, reißen ihre viermeterlangen Deutschland-Banner in die Luft, blasen in Schland-Tröten. Hunderte grölen "Oh, wie ist das schön!" Die Reporter stürzen sich auf Christian Zimpelmann, den verschwitzten Helden. Zum Sieg gegen die USA hat es zwar nicht gereicht, aber gegen den amtierenden Weltmeister ein Tor zu werfen und den Schnatz zu fangen, das ist schon eine kleine Sensation für die Deutschen.

Was einige vielleicht nicht mitbekommen haben: Nur ein paar Wochen nach der Fußball-EM in Frankreich fand an diesem Wochenende schon wieder eine Weltmeisterschaft statt. Nur diesmal auf dem Rebstockgelände in Frankfurt am Main und diesmal im Quidditch.

Kein Witz! Im Quidditch.

Wir erinnern uns: Quidditch ist jene Ballsportart, die in der Fantasiewelt von Harry Potter gespielt wird. Joanne K. Rowling ließ die jungen Zauberschüler aus Hogwarts in ihren Romanen in der Luft gegeneinander antreten, sie spielten auf fliegenden Besen. Wer den goldenen Schnatz fing, beendete das Spiel und wurde zum Helden. Meistens war das Harry Potter.

Eine Mischung aus Rugby, Handball und Völkerball

Vor elf Jahren fanden zwei Studenten in den USA, dass es diese Ballsportart auch für Nicht-Zauberer geben sollte. Seitdem wird Muggel-Quidditch gespielt. Das Spielprinzip gleicht dem aus der Romanvorlage: Es gibt Jäger, Hüter, Treiber und Sucher, die Tore sind drei Ringe, und es gibt den Schnatz - nur fliegt der nicht durch die Luft, sondern ist am Po eines Menschen befestigt. Weil Besen eine zentrale Rolle spielen im Quidditch, Muggel aber nicht fliegen können, klemmen sich die Spieler Besenstangen zwischen die Beine.

Quidditch Weltmeisterschaft in Frankfurt am Main

Auch der goldene Schnatz kann nicht fliegen. Deswegen baumelt er einem neutralen Spieler an der Hose.

(Foto: dpa)

Es ist Samstag, 8.30 Uhr, Deutschland gegen Norwegen, die Stühle am Spielfeldrand sind schon voller Fans. Besen hoch! Das Spiel beginnt. Man sieht Studenten, die mit roten PVC-Stangen zwischen den Beinen auf dem Platz herumrennen, man zählt fünf Bälle, mit denen sie sich abwerfen und die sie sich am Boden wälzend versuchen zu entreißen. Nicht selten kippen die Tore mit um. Dieses Muggel-Quidditch ist eine Mischung aus Rugby, Handball und Völkerball, wird einem erklärt. Dem Spiel zu folgen, ist fast unmöglich. "Man braucht schon ein paar Wochen, bis man die Regeln richtig verstanden hat", sagt Nadine Cyrannek, 24, Kapitänin der deutschen Mannschaft. Kein Wunder, das Regelwerk zu Muggel-Quidditch umfasst mehrere Hundert Seiten - erreicht also fast den Umfang eines Harry-Potter-Bandes.

Schon am Morgen fällt aber eines auf bei der WM in Frankfurt: Die Harry-Potter-Bezüge sind sehr sparsam dosiert. Die Spieler, das sind Studenten, die mit Bluetooth-Boxen über den Platz laufen und Eminem oder Sportfreunde Stiller hören, wenn sie gerade nicht spielen, und abends zusammen Bier trinken. Zauberumhänge oder Schals der Quidditch-Teams aus den Büchern sieht man keine. Ein paar Harry-Potter-Anklänge leistet man sich nur an den Würstchenbuden, wo es "Harry Pottwurst", "Stein der Heißen" (Frikadelle) und "Zauberstäbe" (Pommes) gibt.

Der Traum: Quidditch soll olympisch werden

Viele, die Quidditch spielen, sind gar keine Harry-Potter-Fans, erklärt Nina Heise nach dem Spiel. Die 23-Jährige ist die Präsidentin des Deutschen Quidditch-Bundes und hat die Sportart vor drei Jahren nach Deutschland gebracht. Quidditch lernte sie während eines Auslandsstipendiums in Southampton. Wie alle, die man hier fragt, sagt sie, dass sie Quidditch spiele, weil es so vielseitig sei; und weil Männer und Frauen zusammen spielen. Außerdem lerne man Studenten aus der ganzen Welt kennen. Und sie sagt: "Bei uns können alle mitspielen, weil es so viele Positionen gibt. Bei uns fliegt keiner raus, weil er nicht gut genug ist."

Weil es bei Quidditch also ein bisschen lässiger zugeht als bei anderen Sportarten, wird der Besensport in Deutschland immer beliebter. Mittlerweile gibt es schon an die 20 Teams mit 300 Spielern. Mit den USA können die Deutschen aber noch lange nicht mithalten: Da ist Quidditch schon zu einem professionell organisierten Studentensport geworden, an die 4000 Athleten spielen dort in etwa 200 Universitätsmannschaften mit.

Heise hofft, dass Quidditch eines Tages olympisch wird - auch wenn sie da gerade nicht so zuversichtlich ist. Denn im Moment nimmt noch keiner die Sportart mit dem Stock zwischen den Beinen so richtig ernst. Die Spieler erzählen, dass sie sich ständig Sprüche anhören müssen wie: "Die Hexe war schon wieder mit ihrem Besen in der Zeitung" oder: "Nimm doch den Besen aus dem Schuppen!" Was man natürlich auch gern wissen möchte bei all diesen Stangen zwischen den Beinen: Ist das nicht gefährlich, vor allem für Männer? Sven Schulz, 24, Sucher, verneint. Verletzungen im Besenbereich habe es noch keine gegeben.

Um Viertel nach drei trifft sich die deutsche Mannschaft zur letzten Teambesprechung vor dem schwarz-rot-goldenen Sonnenschirm. Gleich beginnt das Spiel gegen Brasilien. Der Coach schwört die Mannschaft ein - wer ein Tor schießt, kriegt ein Bier! - nach einer La-Ola-Welle geht es los. Zum ersten Mal an diesem Tag gewinnen die Deutschen - und den Schnatz fangen sie gleich noch ein zweites Mal.

Weltmeister wird das Team aus Australien.

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