Psychologie:Ihm zuliebe

Hoexter Couple Admits Second Murder

Unscheinbares Haus des Grauens: Das Wohnhaus in Höxter.

(Foto: Alexander Koerner/Getty Images)

Weshalb nur helfen manche Frauen ihren Partnern dabei, andere Frauen zu quälen? Hinter dem schwer verständlichen Phänomen steht eine ganz spezielle Psyche.

Von Violetta Simon

Vertraue niemals einem Fremden. Überlege dir genau, zu wem du ins Auto steigst. Fahre nur mit, wenn eine Frau im Wagen sitzt. Das waren Colleen Stans Faustregeln, als sie 1977 durch Kalifornien trampte. Zwei männliche Fahrer winkte die junge Anhalterin durch, erst zu einem Ehepaar mit Baby stieg sie ein. Eine Entscheidung, die die damals 20-Jährige für den Rest ihres Lebens bereuen würde.

Eine Ehefrau und Mutter, die ihrem Mann hilft, Frauen zu foltern und zu vergewaltigen - das erschien Colleen Stan so unwahrscheinlich, dass sie es einfach nicht in Betracht zog. Was sie nicht wissen konnte: Das Paar im Auto hatte einen Deal. Janice Hooker gestand ihrem Mann Cameron eine Sexsklavin zu, an der er seine sadistischen Fantasien ausleben konnte - damit sie nicht dafür herhalten musste.

Für Colleen Stan bedeutete dieser Deal, dass sie jahrelang Tag und Nacht in einer Art Sarg eingepfercht wurde, der sich unter dem Ehebett des Paares befand. Nur eine Stunde am Tag durfte sie raus, bekam Essen, konnte die Toilette benutzen - und wurde geschlagen und vergewaltigt. Ihre Geschichte wird in dem Film "Girl in a Box" erzählt, der im vergangenen Herbst in den US-Kinos lief. Besonders unerträglich erscheint das Grauen darin, weil es durch die Unterstützung einer anderen Frau ermöglicht wurde, der Ehefrau des Täters. Ähnlich wie im Fall des Folterhauses von Höxter, der gerade vor Gericht verhandelt wird.

Vor allem Frauen mit niedrigem Selbstwertgefühl wollen an der Stärke des Partners teilhaben

Warum tun Frauen so etwas? Dieser Frage widmet sich die Kriminalpsychologin Lydia Benecke in ihrem Buch "Sadisten". Benecke setzt sich seit Jahren als Therapeutin von Straftätern mit der Gedankenwelt von Schwerverbrechern auseinander. Weibliche Mittäter seien oft nicht sadistisch im eigentlichen Sinne, sagt sie: "Die meisten leben ihre Aggressionen aus, weil sie davon profitieren." Benecke erklärt auch, warum persönlichkeitsgestörte Menschen einander intuitiv als Partner wählen. "Gerade Frauen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl fühlen sich zu egozentrischen, dominant auftretenden Männern hingezogen", sagt die Psychologin. "Durch die Verbindung mit dem Partner versprechen sie sich - bewusst oder unbewusst - Schutz und Teilhabe an dessen Stärke."

So wie Janice Hooker. Sie ist 15, als sie Cameron trifft. Bis dahin hatte die schüchterne Epileptikerin kaum Kontakt zu Jungs. In der Ehe fühlt sie sich allerdings von den extremen Neigungen ihres Mannes überfordert. Aus Angst, Cameron zu verlieren, unterstützt sie ihn bei der Entführung von Colleen Stan. So wird aus der unzulänglichen Ehefrau eine Komplizin.

Auch in dem berüchtigten Haus in Höxter lebten die Täter in einer solchen Dreierkonstellation mit ihren Opfern. Denn außer Wilfried W., der Frauen über Kontaktanzeigen in den Saatweg 6 lockte, wohnte dort Angelika W., seine Ex-Frau. In dem Prozess vor dem Landgericht Paderborn sagte die 47-Jährige aus, sie sei 1999 in dem Wissen eingezogen, dass sie sich Wilfried W. unterordnen müsse. Es hätten strenge Regeln geherrscht, die sie zu befolgen hatte.

Vor den Frauen gab sich Angelika W. als seine Schwester aus. Jahrelang soll sie ihrem Ex-Mann dabei geholfen haben, seine Opfer zu ködern, als Leibeigene zu halten und zu foltern. Die Ermittler gehen von mindestens acht Frauen aus, die in dem Haus misshandelt wurden, für mindestens zwei von ihnen endete dies mit dem Tod. Die Leiche von Annika W. zerstückelte und beseitigte Angelika W. auf Geheiß ihres Partners. Warum sie sich nicht weigerte? Wilfried W. könne kein rohes Fleisch anfassen, sagte sie vor Gericht.

Noch ist nicht in allen Einzelheiten klar, was in dem Haus passierte. Doch ein Motiv zeichnet sich ab: "In der Dreiecksbeziehung ging es darum, Macht auszuüben über diese Frauen", sagt Staatsanwalt Ralf Meyer aus Paderborn. Der Chef sei Wilfried W. gewesen, sein Wort war Gesetz - und Angelika W. setzte es in die Tat um.

Hätte sie ihren Ex-Mann nicht verraten und den Taten so ein Ende bereiten können? Vor Gericht schildert Angelika W. detailliert, wie sie selbst jahrelang von Wilfried W. gequält und gedemütigt wurde. Warum sie dennoch bei ihm blieb, kann sie nicht sagen. Kriminalpsychologin Benecke leitet eine Erklärung aus vergleichbaren Fällen ab: "Durch die gemeinschaftliche Erniedrigung anderer Frauen steigt die Partnerin in der Hierarchiekette nach oben." Das Opfer diene als "Trittbrett" für den Aufstieg - vom Opfer zur Mittäterin.

Erleichterung statt Empathie: Endlich nicht mehr selbst der Fußabtreter sein

Ein Blick in die Historie sadistischer Straftaten zeigt, dass ein Verbrechen wie das von Höxter zwar außergewöhnlich in seiner Grausamkeit ist, aber anderen Taten in seinem Muster durchaus ähnelt: Immer wieder in der Geschichte haben Frauen ihre Partner dabei unterstützt, ihre Machtfantasien auszuleben. "Manche Frauen haben eine solch panische Angst davor, verlassen zu werden, dass sie bereit sind, alles zu tun, um seine Bedürfnisse zu befriedigen", sagt die Psychologin Benecke. Indem sie das dunkle Geheimnis mit ihm teilen, hoffen sie, ihn an sich zu binden. Jegliche Empathie für die Opfer werde dabei von einer anderen Empfindung überdeckt: von "der Erleichterung, endlich nicht mehr der Fußabtreter zu sein".

Angelika W., die Angeklagte im Höxter-Prozess, wäre jedenfalls nie auf die Idee gekommen, ihren Lebensgefährten zu verraten. Erst als das letzte Opfer im April 2016 in einem Krankenhaus an den Folgen der Misshandlungen starb, flog das Paar auf. Die Tramperin Colleen Stan verdankte ihre Rettung nach mehr als sieben Jahren in Gefangenschaft einem ziemlich profanen Gefühl: Eifersucht. Als Janice Hooker klar wurde, dass ihr Mann sich immer mehr zu Stan hingezogen fühlte und diese allmählich die Position der Zweitfrau einnahm, ließ sie die nunmehr 27-Jährige frei.

Diesen Entschluss begründete Janice Hooker vor Gericht auf ebenso ungewöhnliche Weise wie ihre jahrelange Mittäterschaft: Es sei gegen Gottes Gebote, zwei Frauen zu haben, sagte sie. An die Polizei wendete sie sich zunächst trotzdem nicht - ebenso wenig wie Colleen Stan. Die Frauen hofften, Cameron werde wieder der liebende Ehemann von Janice. Diese wollte ihn schließlich nicht verlieren. Sondern ihn für sich alleine haben.

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