Prozessauftakt im Fall Madeleine:Ein Schicksal aus Beton

Der Angeklagte soll seine Stieftochter jahrelang missbraucht, ermordet und zuletzt einbetoniert haben. Nun beginnt der Prozess gegen Günther O., ihm droht lebenslange Haft.

Von Bernd Dörries, Essen

Prozessauftakt Mordfall Madeleine

Der Angeklagte Günther O. werde vorerst nicht aussagen, sagt sein Anwalt Wolfgang Weber. Sein Mandant leide derzeit an "nicht ganz einfachen Haftverhältnissen".

(Foto: dpa)

Günther O. hat die Hände vor das Gesicht geschlagen, er zittert, er schluchzt. Sein Gesicht ist bleich, es geht schon fast ins Weiße, die Augen werden von mehreren Ringen umkreist, selbst die Tätowierungen auf seinen Unterarmen sehen irgendwie müde aus. Das einzig Lebendige an ihm ist das grelle Rot des FC-Bayern-Trikots, das Günther O., 47, sich für die Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Essen am Mittwochmorgen herausgesucht hat. Das war so nicht zu erwarten.

Angeklagt wegen Mordes ist ein Mann, der seit vielen Jahren seine Familie terrorisiert haben soll, der zuschlug, wenn ihm einer dumm kam. Und der sich das nahm, was er wollte.

Als sie nicht mehr konnte, wollte er ihren Tod

In den vergangenen Jahren wollte er vor allem Sex mit Madeleine, die seine Stieftochter war. Mit 14 das erste Mal, mit 20 wurde sie von ihm schwanger. Und als Madeleine nicht mehr wollte, nicht mehr konnte, da wollte Günther O. ihren Tod. So sieht es die Staatsanwaltschaft. Günther O. hat mittlerweile das Schluchzen beendet und sich eine Lesebrille aufgesetzt. Er blättert in den Akten, manchmal schüttelt er den Kopf. Er scheint wieder der Alte zu sein.

Hin und wieder dreht er sich nach hinten und sucht den Blick seines Sohnes Daniel, der ein paar Meter weiter auf der Anklagebank sitzt. Weil er seine Halbschwester in den Tod gelockt haben soll, wirft ihm der Staatsanwalt Beihilfe zum Mord vor. Man kann nicht erkennen, ob sich die Blicke von Vater und Sohn treffen.

Das strenge Oberhaupt der Familie

Madeleine W. war gerade einmal sechs Monate alt, als sich ihr Leben mit dem von Günther O. kreuzte, der aus Österreich stammt. Er kommt nach Essen, arbeitet als Küchenhilfe, lernt Birgit kennen, Madeleines Mutter. Zusammen ziehen sie nach Sachsen, Günther O. ist das strenge Oberhaupt der Familie, der Despot, wie die Staatsanwaltschaft sagt. Spätestens als Madeleine 14 Jahre alt ist, will Günther O. erstmals Sex mit ihr. Er droht ihr mit Hausarrest, verspricht ihr ein Handy, wenn sie mit ihm schläft.

Über die Jahre sei ein totales Abhängigkeitsverhältnis entstanden, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Vater wacht eifersüchtig über seine Stieftochter, die keinen neben ihm haben soll. Wenn Madeleine Freunde mitbringt, schmeißt der Vater sie raus. Im Jahre 2009 wird es dem Vater zu viel, er zwingt die Familie, mit ihm zurück nach Essen zu ziehen, Madeleine soll alle sozialen Kontakte abbrechen, nur für ihn da sein.

Eine erste Flucht misslingt

Im Keller baut er ein Bettenlager. Im Jahr 2011 bekommt Madeleine ein Kind von ihrem Stiefvater und hat Angst, dass er es auch missbrauchen wird. Eine erste Flucht misslingt. Beim zweiten Mal findet Madeleine Unterschlupf in Frauenhäusern, bekommt schließlich eine eigene Wohnung in Gelsenkirchen. Vor allem aber beginnt sie sich zu wehren. Sie wird mutig.

Den Stiefvater zeigt sie wegen Vergewaltigung an, will Unterhalt für das Kind. Günther O. fürchtet offenbar, dass alles auffliegt, so sehen es die Ermittler. Er macht sich auf die Suche nach seiner Stieftochter, versucht, sich unter falschem Namen auf Facebook Zugang zu Mutter-Kind-Heimen zu verschaffen. Seinen Sohn beauftragt er, wieder Kontakt zu seiner Halbschwester aufzunehmen. Der schreibt der Anwältin von Madeleine, die leitet den Brief weiter. Daniel und Madeleine tauschen SMS aus, Daniel stellt ihr Geld in Aussicht.

Für immer festgehalten in Schnellbeton

Am 11. Februar 2014, einem Dienstag, verabreden sich die beiden am Bahnhof, Madeleine steigt in das Auto, der Stiefvater kommt hinzu, sie fahren in den Schrebergarten der Familie. Der Vater schlägt auf sie ein, erwürgt sie und betoniert Madeleine im Boden ein. Den Schnellbeton soll Günther O. einen Tag vor dem Mord in einem Baumarkt gekauft haben. So steht es in der Anklage. Dann fährt er zum Baumarkt und gräbt drei Zuckerhutpflanzen in die Erde über dem Beton. Es ist Februar, und die Polizei muss nicht lange suchen nach der Leiche.

Günther O. werde vorerst nicht aussagen im Verfahren, sagt sein Anwalt Wolfgang Weber. Sein Mandant, dem lebenslange Haft wegen Mordes droht, leide derzeit an "nicht ganz einfachen Haftverhältnissen".

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