Prozess wegen Totschlags in Berlin:"Ich wollte den Teufel schlachten"

Orhan S. hat seine Frau getötet und zerstückelt. Rechtlich ist das als Totschlag zu werten, der Angeklagte ist jedoch schuldunfähig: Er leidet an einer Psychose. Nun hat ihn ein Berliner Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.

Von Annette Ramelsberger, Berlin

Mit 17 hatte der Junge eine Freundin. Susanne hieß sie und war, so sagt er, seine große Liebe. Später, sehr viel später, hat er nach ihr gesucht. Hat die Adresse ihrer Eltern ausfindig gemacht, ihre Telefonnummer erbettelt - und dann bei ihr angerufen. Da war sie schon in den USA, verheiratet und hatte zwei Kinder. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss er erkannt haben, dass sein Leben nicht so lief, wie er sich das einmal erhofft hatte.

Orhan S. ist in Berlin geboren, in Kreuzberg zur Schule gegangen. "Ein Berliner Junge", sagt die Psychiaterin Dagny Luther, die ihn nun für das Landgericht Berlin umsichtig begutachtet hat. Denn Orhan S. hat eines der grausigsten Verbrechen dieses Jahres begangen.

Der Junge lebte zwar in Berlin, aber doch in dem kleinen kurdischen Dorf, aus dem seine Eltern kamen: Sein Vater hatte zwei Frauen, er selbst war das sechste von 14 Kindern. Die Familie war das Wichtigste, jeder hatte dazu beizutragen. Ein eigenes Leben gab es nicht. Da kam Susanne. Mit ihr riss er aus. Die Eltern reisten ihm nach. Die Beziehung zerbrach. Und Orhan litt. In dieser Krise hatte der Vater einen Herzinfarkt und bat seinen Sohn, ihm eine letzte Bitte zu erfüllen: zu heiraten. Und zwar eine anständige Frau. Eine aus der Heimat.

Der Berliner Junge gehorchte, so wie er immer gehorchte. Er fuhr in die Türkei, ins Dorf seiner Eltern. Die Frauen hatten sich herausgeputzt für den potenziellen Bräutigam. Orhan S. sagt, es habe ihn angewidert. Eine Frau wurde ihm vorgeführt, die trug einen Schleier, das Gesicht konnte er nicht sehen. Die hat er dann genommen.

Außer ihrem Mann hatte sie niemanden in Berlin

Die junge Frau hieß Semanur, sie war 18, er 20. Sie zog zu ihm nach Berlin und sie konnte kein Wort Deutsch. Bald schon bekamen sie das erste Kind. Dann das zweite, das dritte. Außer ihrem Mann hatte sie niemanden in Berlin. Sie war auf ihn fixiert, er konnte nichts mit ihr anfangen. Orhan S. sagt heute, er habe Semanurs Anwesenheit nur ertragen, wenn er bekifft gewesen sei. Eigentlich habe er immer nur Susanne geliebt, den Inbegriff seiner Freiheit. Semanur wusste nicht, was sie tun sollte mit diesem Mann, der auf dem Sofa saß und kiffte. Sie schickte ihn zur Nachbarin Leila, die in Berlin aufgewachsen war. Die sollte ihm erzählen, wie das ging zwischen Männern und Frauen. Leila erzählte es ihm. Und Orhan bekam mit Leila noch zwei Kinder.

Dann zog er mit Leila auch noch in eine andere Wohnung - ein Versuch, sich seine Freiheit zu erobern. Leila, eine intelligente, selbstbewusste Frau, sagt vor Gericht kein böses Wort über den Vater ihrer Kinder. Sie erlebte ihren Geliebten 2007 plötzlich in völlig wirrem Zustand. Er sprach davon, dass er Jesus sei und seine Frau Semanur der Teufel. Zwei Wochen war Orhan S. so wirr, dann kam er in die Psychiatrie. Es wurde eine Psychose attestiert, eine Störung, die zum Verlust des Realitätsbezugs und Wahnvorstellungen führt. Leila sagt, Orhan habe danach wieder zu kiffen begonnen. Da habe sie sich von ihm getrennt.

Die Ehe endete auf der Dachterrasse

Viele Menschen, die an einer Psychose erkranken, konsumieren Cannabis, weil das Rauschgift zunächst beruhigt. Gleichzeitig kann es aber auch gewalttätig machen. "Cannabis triggert die Psychose", sagt Dagny Luther. Sie ist eine erfahrene, präzise Ärztin.

Orhan S. kehrte zu seiner Frau zurück. Er saß wieder auf ihrem Sofa. Es kamen die Kinder vier, fünf und sechs. Er nahm starke Medikamente. An Weihnachten 2011 setzte er die Medikamente ab. Kurz darauf endete seine Ehe. Sie endete auf einer Dachterrasse am Potsdamer Platz, in einer Seitenstraße, wo die Familie wohnte. Orhan S. habe sich durch das Absetzen der Medikamente wie befreit gefühlt. Sein Wahn, Jesus zu sein, sei zurückgekommen, sagt die Psychiaterin. Es gab einen Streit mit seiner Frau, er blieb drei Tage weg, dann bat ihn der zwölfjährige Sohn, nach Hause zu kommen. Er kam, er kiffte. Und packte zwei Messer. Dann zerrte er seine Frau auf die Terrasse.

"Ich wollte den Teufel schlachten", sagt Orhan S. zur Erklärung. "Ich wollte sie zerstückeln, so dass nichts mehr zusammenpasst." Er hat ihr den Kopf abgeschnitten und ihn in den Hof geworfen. Die Polizisten haben ihn sofort gesehen, weiß, mit langen schwarzen Haaren. Auf der Dachterrasse fanden sie dann die Überreste von Semanur. Sie wurde 30 Jahre alt. Und in den Betten fanden sie die sechs Kinder. Schlafend, unverletzt.

Er sagt, es tue ihm leid

Orhan S. hat noch immer nicht verstanden, was er getan hat. Er sagt, es tue ihm leid. Aber er ist vollgepumpt mit Medikamenten. Er sitzt still auf der Anklagebank, meist in schwarzem Anzug und weißem Hemd. Wenn er gefragt wird, antwortet er freundlich. Seinen Schwestern im Zuschauerraum winkt er scheu lächelnd zu. Manchmal blitze jetzt allmählich etwas wie Verstehen auf, sagt die Psychiaterin. Er habe ihr gesagt, er vermisse seine Frau. Das seien erste Zeichen der Gesundung. Doch der Rückfall wird kommen: "Wenn er gesund ist, kann er die Realität nicht ertragen und flüchtet wieder in die Psychose." Und dann sei Orhan S. wieder sehr gefährlich. Die Behandlung könne sehr, sehr lange dauern.

Ob denn durch den Tod der Ehefrau die Gefährlichkeit nicht gebannt sei, fragt sein Anwalt. Nein, sagt die Psychiaterin. "Der Wahn ist nicht aufgrund der schwierigen Ehe entstanden", der Wahn komme durch die Krankheit des Gehirns. So eine Krankheit könne jeden befallen, ebenso wie die Leber krank werden könne. "Wenn er wieder psychotisch wird, ist er auch wieder gefährlich", sagt Luther. Schon hat Orhan S. in der Psychiatrie zwei türkische Pfleger in sein Wahnsystem eingebaut - sie würden ihn bedrohen, sagt er. Er wolle nicht versprechen, dass er ihnen nichts tun werde. Er wurde dann isoliert.

Die Tat von Orhan S. ist rechtlich als Totschlag zu werten, doch der Angeklagte ist schuldunfähig. Richter Mark Sautter, der das Leben dieses Mannes umsichtig durchleuchtete, schickte Orhan S. am Freitag in die Psychiatrie. Dort müsse er bleiben, solange er gefährlich sei, "unter Umständen lebenslang". "Dies war kein Fall exzessiver häuslicher Gewalt", sagte der Richter. "Diese Tat ist dem Beschuldigten eigentlich wesensfremd." Dann wandte er sich direkt an Orhan S.: "Ich wünsche Ihnen, dass die Behandlung anspricht. Und dass Sie mit dem fertig werden, was Sie getan haben."

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