Prozess wegen Totschlags in Berlin:"Ich fühlte mich als Jesus"

Mitten in Berlin zerstückelt ein Mann die Mutter der gemeinsamen sechs Kinder, den abgetrennten Kopf wirft er vom Balkon. Nun steht er vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hält ihn wegen einer schweren psychischen Erkrankung für nicht schuldfähig.

Annette Ramelsberger, Berlin

Prozess wegen Totschlags in Berlin

Orhan S. verbirgt sein Gesicht vor den Kameras der Fotografen hinter einer Zeitung. Später sagt er vor Gericht Sätze wie diesen: "Ich wollte sie zerstückeln, so dass nichts mehr zusammenpasst".

(Foto: dapd)

Der Kopf lag im Innenhof. Weiß, mit langen schwarzen Haaren. Die Polizisten haben ihn sofort gesehen, er lag gleich neben dem Aufzug. Darum herum Blut. Davor lag noch etwas anderes, aber da wollten sie nicht so genau hinschauen. Die Polizisten rückten an, weil sie der Notruf "Mann schlägt Frau" erreicht hatte - einer von so vielen, die täglich bei der Polizei eingehen. Sie fahren dann hin, die Frau weint, der Mann schnaubt, sie schlichten. Dann gehen sie wieder. Normalerweise.

In dieser Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2012 jedoch war nichts normal in Berlin. Als die Polizisten in der Köthenerstraße ganz nah am Potsdamer Platz eintrafen, riefen ihnen die Nachbarn schon von den Balkonen aus zu, dass oben Schreckliches geschehen sein musste. Und dass dort in der Wohnung auch noch sechs Kinder lebten, das älteste zwölf, das jüngste ein Jahr alt. Sie liefen die Treppe hoch, standen vor der Wohnungstür, da kam durch die gläserne Terrassentür ein Mann gerannt. Weit aufgerissene Augen, in Socken, die Hände voller Blut. Als die Polizisten ihn fassen wollten, trat und schlug er wild um sich. Nicht einmal auf Pfefferspray reagierte er. Erst als sie den Schlagstock einsetzten, ließ er sich fesseln. Sie brauchten vier Beamte dafür.

Auf der Dachterrasse fanden sie dann die Überreste von Semanur S. , 30 Jahre alt, Mutter der sechs Kinder. Der Mann, der ins Treppenhaus geflüchtet war, hatte ihr den Kopf und die rechte Brust abgetrennt und sie in den Hof geworfen. Er wollte auch ihren Arm abtrennen, er war weit damit gekommen. "Ich wollte sie zerstückeln, so dass nichts mehr zusammenpasst", sagt Orhan S. nun vor Gericht. "Ich fühlte mich als Jesus. Und sie war der Teufel." Der Mann, der so spricht, ist der Ehemann des Opfers, Vater der Kinder. Und er ist, davon geht die Staatsanwaltschaft aus, nicht schuldfähig. Er hat eine schwere psychische Erkrankung mit Halluzinationen.

Orhan S. wird nicht ins Gefängnis müssen, es geht darum, ihn auf Dauer in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Doch schon der erste Tag des Sicherungsverfahrens vor dem Kriminalgericht Moabit in Berlin zeigt, wie tief die Ursachen für den Hass waren, den dieser Mann verspürte. Wie lange schon die Psychose ihn in ihrem Besitz hatte und wie lange das niemandem so richtig auffiel.

Orhan S. lebte ein Leben, das er nicht wollte. Aber gegen das er sich auch nicht wehrte. Er wollte es allen Recht machen. Er und Semanur S. waren zusammengezwungen worden von den Eltern. Sie war 18, er 20 Jahre, als sie auf Geheiß der Familie heirateten. Der Junge, in Berlin geboren und aufgewachsen, hatte sich mit einer deutschen Freundin eingelassen, das sollte schnell unterbunden werden. Er fügte sich. Liebe wurde es dann nie. Die junge Ehefrau aus der Türkei war traditionell, trug Kopftuch, die beiden verstanden sich nicht wirklich. Orhan S. beschrieb seine Ehe vor Gericht so: "Es war eine Angewohnheit."

Auch die Geliebte erscheint vor Gericht

Richtig verliebt war er in eine andere, Layla, eine Nachbarin im selben Haus. Eine selbstbewusste Berlinerin, in Jeans und mit Witz. Mit ihr konnte er reden, scherzen. Auch mit ihr bekam er Kinder. Layla wurde der ständige Streitpunkt in der Ehe, auch in der türkisch-kurdischen Großfamilie. Alle warfen Orhan S. vor, er zerstöre sein Leben. Doch er liebte Layla. Zwei Kinder bekamen die beiden. Doch dann war auch seine Frau schon wieder schwanger von ihm, zum vierten Mal, und Layla kam ins Grübeln. Und dann erlebte sie Orhan 2007 plötzlich in völlig anderen Zustand. Er sprach davon, dass er Jesus sei und seine Frau Semanur der Teufel. Zwei Wochen war Orhan S. so wirr, dann kam er in die Psychiatrie.

Layla ist an diesem Tag auch im Gericht. Sie sagt kein böses Wort über ihren früheren Geliebten. Nicht mal, dass er sie einmal geschlagen und die Wohnung zerlegt hat. Das muss ihr der Richter aus der Nase ziehen. Sie sagt auch nichts Böses über Semanur, die Ehefrau. Die habe die Kinder der Freundin geliebt wie ihre eigenen, sagt Layla. Orhan habe sich eben nicht entscheiden können. Mal war er bei der einen Frau, mal bei der anderen. Dann begann er Drogen zu nehmen. Weil er das Leben so nicht mehr ertrug, glaubt Layla. Sie hat es ja auch nicht ertragen: Vor vier Jahren trennte sie sich von ihm.

Semanur aber kümmerte sich um ihren Mann, sorgte dafür, dass er seine Tabletten nahm. Doch um Weihnachten herum setzte er die Tabletten ab. Er wurde aktiver, aber auch leichter reizbar. Er warf seiner Frau vor, dass sie ihn verrückt gemacht habe. "Du hast meine Familie zerstört", sagte er ihr in jener Nacht. Und als sie anfing zu weinen, da habe er sie an den Haaren auf die Terrasse geschleift. Er hielt sich wieder für Jesus.

Die Kinder haben, so sagt die Polizei, nichts mitgekriegt. Die älteren schliefen. Nur das Kleinkind lief weinend durch die Wohnung. Sie leben jetzt bei Pflegefamilien.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: