Bauer wegen Totschlags vor Gericht:"Die Kühe bleiben da"

Beginn Prozess gegen einen 72-jährigen Landwirt

Es sei wie damals gewesen, als "die Kommunisten" die Kühe und Pferde vom Hof holten, sagt Wilfried Z. vor Gericht.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)
  • In Potsdam steht ein Landwirt vor Gericht, weil er einen Mitarbeiter des Veterinäramts erschossen haben soll, der seine unter tierschutzwidrigen Umständen gehaltenen Kühe abholen wollte.
  • Der Mann spricht von einem Unfall. Er ist von seiner schwierigen Vergangenheit in der DDR geprägt - und erzählt, er habe die Amtsmitarbeiter für Räuber gehalten.

Von Hans Holzhaider, Potsdam

Es war ein trüber Januartag, kurz nach halb zehn Uhr vormittags, als auf dem Hof des Landwirts Wilfried Z. in Klein Behnitz im Landkreis Havelland zwei Viehtransporter vorfuhren. Frank M., 60, Mitarbeiter im Veterinäramt der Landkreisverwaltung, stieg aus und schickte sich an, eine Verfügung seiner Behörde zu vollziehen: Es stand der Abtransport der 30 Kühe und Kälber von Wilfried Z. an, die nach Ansicht des Amtes unter tierschutzwidrigen Umständen gehalten wurden.

Aber Bauer Z. wollte das nicht zulassen. Es gab einen kurzen, heftigen Wortwechsel, dann verschwand der Landwirt in der Waschküche des Anwesens. Als er wiederkam, hatte er eine Flinte in der Hand. Ein Schuss und Frank M. stürzte zu Boden. Innerhalb weniger Minuten war er verblutet.

Nun, ein gutes halbes Jahr später, hat der Prozess gegen Wilfried Z. vor dem Landgericht in Potsdam begonnen. Noch bis Ende September wird verhandelt. Die Anklage wirft Z. Totschlag und versuchten Totschlag vor, denn nach dem tödlichen Schuss auf Frank M. soll der 72-Jährige auch noch versucht haben, eine der beiden Amtstierärztinnen, die diese Aktion überwachen sollten, zu erschießen.

Das Leben scheint ihm übel mitgespielt zu haben

Wilfried Z. ist ein hagerer, kantiger Mann, die Haare sind kurz geschoren, um den Mund liegt ein Zug tiefer Verbitterung. Das Leben hat ihm, so sieht er es, übel mitgespielt. Den Vater verschleppten die Russen in ein Internierungslager. Von dort sei er nie wiedergekommen, erzählt Wilfried Z. dem Richter. Die Mutter bewirtschaftete den Hof weiter, auf dem die Familie angeblich schon seit dem 16. Jahrhundert lebte. 1961, im Jahr des Mauerbaus, wurde der Hof zwangskollektiviert; sieben Kühe und zwei Pferde holten sich "die Kommunisten vom Hof". Die Namen der Pferde weiß Wilfried Z. noch heute: Anita und Moritz hießen sie.

Nach seiner Militärzeit wollte Wilfried Z. die DDR verlassen, und nach Kanada auf eine Bohrinsel. Aber die Sache ging schief. Er musste ins Gefängnis, wegen versuchter Republikflucht, ein Jahr und zwei Monate. Weil es mit dem privaten Bauerntum vorbei war, arbeitete Wilfried Z. nach seiner Entlassung in der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. 55 Kühe, sagt er, habe er da ganz allein versorgt. 1989 aber, nach der Wende, bekam die Mutter den Hof zurück, und 1995 nach ihrem Tod übernahm er. Nun war er ganz allein; zwischenzeitlich war er zwar mal kurz verheiratet, in den 70er-Jahren, aber die Ehe war gescheitert.

Er habe nur in die Luft schießen wollen, sagt der Bauer - der Räuber wegen

Wilfried Z. macht jetzt einen Sprung in seiner Erzählung, direkt zu jenem unglücklichen 20. Januar 2015. "Da haben mich", sagt er zum Erstaunen des Gerichts, "Räuber und Banditen überfallen. Die dachten, ich bin nicht zu Hause." Als er hörte, wie das große Tor geöffnet wurde, sei er nach vorne gelaufen, und da war einer, der sah genauso aus, wie er sich einen Räuber vorstellte: "Dicker Schnurrbart, Schiebermütze." Was er wolle, habe er gefragt, und der habe gesagt: "Deine Kühe abholen". Nichts da, habe er gesagt, das sei Diebstahl, Hausfriedensbruch, "die Kühe bleiben da". Ein Wort gab das andere, dann habe der ihn auch noch gegen den Trecker geschubst.

In diesem Augenblick sei ihm, erzählt Wilfried Z., ganz heftig die Erinnerung gekommen, wie damals die Kommunisten seine Tiere abholten, und da sei ihm eingefallen, dass er doch in der Waschküche noch die Flinte stehen habe, die ihm damals die russischen Offiziere hinterlassen hatten. Er also in die Waschküche, die Flinte geholt, und daneben, im Kochpott, lag noch eine Patrone, die habe er auch eingesteckt.

Er habe nur in die Luft schießen wollen, sagt Wilfried Z., um die Räuber zu vertreiben, aber dann sei er über irgendwas gestolpert, und auf einmal gab es einen mächtigen Knall, "und der Mann fiel um, und die anderen liefen davon". "Tut mir sehr leid", sagt Z., "dass es so einen Unfall gegeben hat." Was die Leute von ihm wollten, das verstehe er bis heute nicht. Seinen Kühen sei es gut gegangen, er hat ein paar Fotos mitgebracht, die er dem Gericht gerne zeigen möchte. "Da", sagt er, "schauen Sie, die Kühe sind doch nicht krank."

Schriftverkehr über Hof in erbärmlichem Zustand

Der Vorsitzende Richter Frank Tiemann zeigt sich nach dieser Aussage sehr skeptisch. Ob Wilfried Z. wirklich an diese Räubergeschichte glaube? Schließlich war der Abholung der Kühe einiges an behördlichem Schriftverkehr vorausgegangen. Im Juli 2014 hatte das Landratsamt den Bauern schon aufgefordert, seinen Rinderbestand von 30 auf fünf zu reduzieren, weil er mit der Haltung der Tiere offensichtlich überfordert sei: der Hof in erbärmlichem Zustand, der Boden knietief mit Mist und Gülle bedeckt, überall Schutthaufen, defekte Zäune, offener Stacheldraht, erhebliche Verletzungsgefahr für die Tiere.

Wilfried Z. ist ein kranker Mann, dreimal in der Woche muss er zur Dialyse, er hatte die Sache offensichtlich nicht mehr im Griff. Aber er war nicht einsichtig. Über eine Rechtsanwältin ließ er Widerspruch gegen die Verfügung einlegen, die jedoch von der Behörde zurückgewiesen wurde. Dass er also wirklich an Räuber und Banditen glaubte, das erschien dem Richter ziemlich unwahrscheinlich.

Und dann die Sache mit dem Schuss: Wenn das wirklich ein Unfall war, warum, fragt Richter Tiemann, habe Wilfried Z. sich dann keine Sekunde lang um den Mann gekümmert, den er niedergeschossen hatte? "Der hat", antwortet Z., "nischt mehr gesagt."

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