Prozess um Transplantationsskandal:Ärzte, völlig ahnungslos

Im Göttinger Transplantationsprozess kann sich der angeklagte Chirurg ein großzügiges Lächeln leisten - seine Kollegen bringen bislang kaum Belastendes vor. Angeblich haben sie von den Manipulationen nichts mitbekommen. Stattdessen schieben sie die Schuld auf ihren Chef.

Von Christina Berndt, Göttingen

Aus der ungewöhnlichen Vorstellung wurde erst einmal nichts. Eigentlich hatte der Angeklagte im Transplantationsprozess vor dem Landgericht Göttingen eine Art Vorlesung halten wollen. Der Richter hatte dem Chirurgen O. erlaubt, mit Beamer und Laptop einen Power-Point-Vortrag zu präsentieren.

Wie nötig die Lebertransplantation für einen seiner Patienten gewesen sei, wollte der ehemalige Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Göttingen dem Gericht erklären, das etwa im Mai 2014, nach 40 Prozesstagen, darüber entscheiden will, ob sich O. des versuchten Totschlags und der Körperverletzung schuldig gemacht hat. Doch ein vom Gericht bestellter Gutachter war dem Prozess offenbar wegen eines Missverständnisses ferngeblieben. So wurden zahlreiche Anhörungen des mit Spannung erwarteten achten Verhandlungstages verschoben.

Der selbstsichere Angeklagte O. nahm auch dies gelassen hin. Er lächelt die Zeugen meist freundlich an und scheint sich auch schon mal über die Oberstaatsanwältin lustig zu machen, wenn diese fehlendes medizinisches Wissen offenbart. O., der typisches Freizeit-Outfit eines Chirurgieprofessors trägt, dunkelblaues Jackett mit goldenen Knöpfen, lächelte am Montag sogar noch großzügig, als ein Zeuge sagte, der Chirurg sei ihm "arrogant vorgekommen".

An sieben Prozesstagen war es nun schon um den Vorwurf des Totschlags in elf Fällen gegangen. O. habe durch die Meldung falscher Gesundheitsdaten an die Organvermittlungsstelle Eurotransplant dafür gesorgt, dass elf seiner Patienten kränker erschienen, als sie in Wirklichkeit waren, und dadurch schneller eine Spenderleber bekamen, so die Staatsanwaltschaft.

Andere Patienten, die eigentlich an der Reihe gewesen wären, seien dadurch womöglich gestorben. Die von ihm transplantierten Patienten seien alle furchtbar krank gewesen, betonte O. noch einmal. Sieben von ihnen hätten sogar auf der Intensivstation gelegen, als er sie transplantiert habe.

Viel Belastendes ist bisher nicht gegen O. vorgebracht worden. Dass es am Göttinger Klinikum Manipulationen gegeben hat, haben Experten der bei der Bundesärztekammer angesiedelten Prüfungs- und Überwachungskommission ebenso wie die einer externen Kommission längst mit großer Übereinstimmung festgestellt. Aber war O. dafür verantwortlich?

In dieser Woche berichteten erstmals Ärzte von Manipulationen. Doch sie belasteten nicht O., sondern den beurlaubten Chef der Gastroenterologie, Professor R., gegen den nach wie vor in einem getrennten Verfahren ermittelt wird. Ein Arzt berichtete, er sei von R. aufgefordert worden, Blutproben mithilfe zweier Teströhrchen abzunehmen, um die Ergebnisse zu verfälschen. So hätten sich gefährlich niedrig erscheinende Gerinnungswerte ergeben.

Frappierende Wissenslücken

Man müsse so etwas tun, sonst bekämen die Patienten kein Spenderorgan, habe der Professor das begründet. Doch der Zeuge weigerte sich angeblich: "Ich mach' das nicht!", habe er gesagt und sei erbost auf die Station gelaufen, um seine Kollegen vor dem in seinen Augen unmoralischen Ansinnen des Chefs zu warnen.

Ein anderer junger Arzt berichtete, er habe in drei Fällen auf Geheiß von R. ähnliche Manipulationen vorgenommen. Er habe das getan, weil er sich abhängig fühlte von seinem Chef. "Ich hatte nicht die Vorstellung, dass ich damit jemandem schaden würde", sagte er. Die sich ergebenden ungewöhnlichen Blutwerte hätten anderen Ärzten und O. als zuständigem Chirurgen aber beim Blick in die Patientenakten eigentlich auffallen müssen, meinte der Zeuge.

Die übrigen verhörten Mediziner offenbarten erhebliche, zum Teil frappierende Wissenslücken. Viele wollen von Manipulationen am Klinikum, wo es nach Erkenntnissen der verschiedenen Prüfgremien bei 50 bis 75 Prozent der zu O.s Zeiten transplantierten Patienten Unregelmäßigkeiten gegeben hat, nichts mitbekommen haben.

Viele dieser Zeugen wurden von O. ausgesprochen freundlich begrüßt. Einen Arzt ermahnte der Vorsitzende Richter: "Sie schauen immer so ein bisschen rüber zu Herrn Doktor O. Bleiben Sie ruhig ein bisschen bei mir." Einen anderen fragte er: "Ist Ihnen die Situation hier unangenehm, weil Sie als Arzt gegen einen Arzt aussagen?"

Aus Sicht der Verteidigung wackelt die Anklage nun. Ob der bereits seit Januar 2013 in U-Haft sitzende Chirurg nicht mit einer Kaution in Höhe von 500.000 Euro, engmaschigen Meldeauflagen und Fußfessel nach Hause entlassen werden könne, wo ein vierjähriger Sohn auf ihn warte, wollten die Verteidiger wissen. Doch die Oberstaatsanwältin sah sich in ihrer bisherigen Auffassung zu den Tatvorwürfen bestätigt. Zudem bestehe weiterhin Fluchtgefahr.

Andere Patienten könnten heute noch leben

Am achten Prozesstag ging es vornehmlich um den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge. Mindestens drei Patienten habe O. transplantiert, obwohl diese gar nicht so krank waren, dass der Eingriff notwendig war, meint die Staatsanwaltschaft, im Gegenteil: Ohne Transplantation könnten die inzwischen verstorbenen Patienten heute noch leben. Einer dieser drei Patienten, um den es am Mittwoch ging, war 53-jährig nach zwei Lebertransplantationen gestorben.

"Hundeelend" sei es ihrem Bruder vor den Operationen ergangen, erzählte die Schwester des Toten unter Tränen. Der Mann hatte infolge seiner Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit eine Leberzirrhose entwickelt. Nun sammelten sich ständig große Mengen Wasser in seinem Bauch. Die Frau berichtete aber auch davon, dass ihr Bruder zum Zeitpunkt der Transplantation noch medikamentenabhängig gewesen sei - ein Umstand, der nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und auch nach den selbst vom Klinikum Göttingen erstellten Leitlinien keine Transplantation erlaubt.

Noch dazu befand sich die Leber des Patienten, wie die SZ erfuhr, nach Ansicht verschiedener Prüfer in einem recht stabilen Zustand. Der Patient hatte nach dem "Meld-System", das die Dringlichkeit für eine Transplantation markiert, nur eine geringe Punktezahl. Bei einem Wert unter zwölf aber sei das Risiko, infolge einer Lebertransplantation zu sterben, größer als der Nutzen des Eingriffs. Das Bauchwasser hätte man daher mithilfe anderer medizinischer Verfahren bekämpfen müssen. Weshalb O. dennoch transplantierte, das will er an einem der kommenden Verhandlungstage erklären, mittels einer Power-Point-Präsentation.

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