Prozess um tödlichen Fußball-Streit:"Da hast du deine vier Sterne"

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"Heimtückisch" soll Holger B. zwei Menschen nach einem nichtigen Streit über Fußball erschossen haben - um sich abzureagieren. Nun hat der Prozess gegen ihn begonnen.

Hans Holzhaider, Hannover

Der 5. Juli 2010, ein Montag: Deutschland war im Fußballfieber. Zwei Tage zuvor hatte die deutsche Nationalelf im Viertelfinale der Weltmeisterschaft Argentinien mit 4:0 geschlagen. Jetzt schien alles möglich zu sein. Für Holger B., 42, Frührentner, dem Alkohol zugeneigt, stand fest: Deutschland würde Weltmeister werden.

Kurz nach drei Uhr morgens an jenem Montag kam Holger B. ins "Columbus", eine seiner Stammkneipen am Steintor in Hannover. Er trank zwei Bier und einige "Tuccis", Cola mit Weinbrand. Gegen halb sechs kamen zwei neue Gäste ins Lokal: Franco S., 45, und Giuseppe, genannt Pippo L., 49. Sie setzten sich an die Bar und redeten über Fußball - über was sonst. Italien war schon ausgeschieden, sie wünschten sich, dass jetzt Deutschland Weltmeister würde. Holger B. stellte sich dazu und mischte sich ein. Pippo trug ein blaues T-Shirt, mit vier Sternen auf der Brust - einen für jeden Weltmeistertitel der Azzurri.

Es gab ein bisschen Streit zwischen den Männern, nichts Ernstes. Holger B. meinte, es wären nur drei Titel, nicht vier. Die Bedienung ging dazwischen und trennte die Streithähne. Als Holger B. seinen nächsten Tucci bestellen wollte, stellte er fest, dass er kein Geld mehr hatte. Er müsse Geld holen, sagte er. Zwanzig Minuten später stand er wieder in der Tür. Sekunden später lagen Franco S. und Giuseppe L. in ihrem Blut auf dem Boden der Kneipe. Holger B. hatte beide mit einer Pistole erschossen, Franco S. war fast sofort tot, Giuseppe L. starb zwei Tage später.

Holger B. flüchtete, flog nach Mallorca, wo sein Stiefvater lebte, und stellte sich dort der Polizei. Seit Donnerstag muss er sich vor dem Landgericht Hannover verantworten. Er habe aus Verärgerung über den Fußballstreit heimtückisch und mit voller Absicht getötet, wirft ihm der Staatsanwalt vor. Er habe damit seine Frustration über seine desolate soziale Situation abreagiert, um wenigstens für einen Moment das eigene Ohnmachtsgefühl zu überdecken, so die Interpretation der Staatsanwaltschaft.

Pistole in der Plastiktüte

Holger B., ein großer, kräftiger Mann, betritt den Gerichtssaal mit einer Kapuzenjacke und einer Baseballmütze, die er auch während der Verhandlung nicht abnimmt. Sein Verteidiger gibt für ihn eine Erklärung ab: Ja, er habe Herrn S. und Herrn L. erschossen, aber an die Einzelheiten könne er sich nicht erinnern. Er sei selbst sehr erschüttert über seine Tat und schäme sich dafür, es sei für ihn selbst unfassbar, dass er so etwas getan habe. Er erinnere sich nicht, wie er ins "Columbus" gekommen sei, und auch nicht an einen Streit. Er sei seit vielen Jahren fußballbegeistert, selbstverständlich wisse er, dass Italien schon viermal Weltmeister war, über sowas hätte er sich nie gestritten.

Er trinke Alkohol, seit er 15 sei, er leide seit Jahren unter einer Angststörung, er nehme regelmäßig Psychopharmaka, so auch an diesem Tag. Die Pistole habe er gefunden, als er die Wohnung seiner Pflegemutter ausräumen musste; er habe sie nur behalten, um sich irgendwann einmal selbst das Leben zu nehmen. Mehr möchte er nicht sagen, Fragen möchte er nicht beantworten.

Karin H., 61, stand an diesem Morgen hinter dem Tresen im "Columbus". Sie erinnert sich sehr genau: Wie Holger B. Pippo anschrie: "Jetzt regeln wir das", wie er dann die Pistole aus einer Plastiktüte zog und Pippo in den Kopf schoss. Einfach so. "Er sagte: ,Da hast du deine vier Sterne.'" Karin H. tauchte hinter dem Tresen ab, sie hörte noch zwei Schüsse - die trafen Franco S. in den Hinterkopf und in den Rücken. Dann hörte sie nichts mehr, bis die Polizei kam.

© SZ vom 21.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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